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Denzil Delaere (Der Steuermann), Guido Jentjens (Daland). Foto: © Arno Declair
Denzil Delaere (Der Steuermann), Guido Jentjens (Daland). Foto: © Arno Declair
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Wagners „Holländer“ als Chor-Triumph – In Oberammergau will Regisseur Christian Stückl ein Opernfestival etablieren

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Eigentlich ist Wagners Musikdrama „Der fliegende Holländer“ für Menschen des Jahres 2017 nur auf zwei Interpretationsschienen akzeptabel: einmal als Wahngebilde einer erotisch heillos übersteigerten, neurotischen jungen Frau – wie das Harry Kupfer sensationell 1978 in Bayreuth gezeigt hat (auf DVD festgehalten); oder als politische Parabel auf die Vormärz-Revolutionäre, die in die Bürgerlichkeit zurückwollen und scheitern – was Herbert Wernicke 1981 in München inszenierte. Festspielinitiator und Regisseur Christian Stückl betonte diesbezüglich fröhlich, dass er noch nie eine Wagner-Oper gesehen habe…

Aus dem Tal der Ahnungslosen zu kommen, muss nicht in die Inszenierungskatastrophe führen. Prompt griff Stückl das Modell „Sentas Fixierung“ auf und ließ sie bis zum Treueschwur mit dem Holländer durchweg mit seinem Bild agieren. Doch er wollte nicht nur nachahmen: so führte Stückl früh in der Ouvertüre einen fremdländischen Jüngling ein, der das Holländer-Bild auf der Bühne ablegte, das Mary in einem Kurzauftritt entsorgen wollte, das aber Senta an sich riss, beide abgingen und der Jüngling bedeutungsschwanger in den Orchestergraben stieg. Auf der Cinemascope-breiten Passionsspielbühne hatte Stefan Hageneier einen nachtblauen, kahlen Hallen-Raum mit akustisch günstiger Decke und je drei Tür-Ausschnitten auf jeder Seite gebaut. In der Mitte kreiste eine bühnenhohe Trommel, bemalt mit wüsten Wellengebirgen. Zum Auftritt des Holländers blieb die Trommel halboffen stehen, zeigte ein graugrünes Segelschiff und schloss sich zum Aktfinale. Zur Heimkehr von Daland und Holländer öffnete sich die Trommel abermals und zeigte die Steuerbrücke eines Seglers, aus dessen Unterbau später die Geistermannschaft auftrat. Auf diese Steuerbrücke stürzte Senta dem Holländer nach und ließ alle vor dem hereingedrehten Sturmwogen-Halbrund zurück.

In diesem Einheitsbild ohne Lichtregie trat später der Jüngling während des Liebes- und Treueschwurduetts Holländer-Senta nochmals auf, zerpflückte eine Gerbera nach dem „Sie liebt mich, liebt mich nicht“-Muster, verschwand abermals im Orchestergraben – und blieb das Geheimnis des Regisseurs. Doch ansonsten erzählte Stückl die Haupthandlung in bürgerlichen Kostümen schlicht gradlinig und für ein Publikum abseits großer Opernhäuser gut verfolgbar.

Gewinner des Abends war die musikdramatische Realisierung. Bis auf kleine Probleme ausgerechnet bei der ohnehin, dafür aber gekonnt gegen eine Verkühlung ansingenden Senta von Iliene Kinča beeindruckte die gute Tonanlage, die über die unverfälschten vokalen Timbres hinaus auch die Gänge der Sänger auf der breiten Bühne über die fünf Lautsprechergruppen unter der Saaldecke verfolgbar machte. Sämtliche Männerrollen waren bis hin zu Guido Jentjens Daland gut besetzt, überragt im wörtlichen wie übertragenen Sinn von Gabor Bretz in der Titelrolle: ein „Anderer“ mit kernigem, dunklem Bassbariton. Sie alle führte Ainars Rubikis, nach Andris Nelsons eine weitere Dirigier-Begabung aus Riga: straffe Tempi, feine Abstufungen mit den Nachwuchsmusikern der Neuen Philharmonie München. Bei den premierenbedingten kleinen Diskrepanzen zwischen Orchester und Chor sollte seine ordnende Zeichengebung deutlicher werden. Denn er hatte eine „Wucht“ zu leiten und zu formen: Wie beim Passionsspiel machen alle begabten Oberammergauer des Ortes und der Umgebung mit – was einen Laien-Chor von über 180 Mitwirkenden ergibt!

Auch der erfahrende Wagnerianer wird wohl „Mit Gewitter und Sturm…“, den Spinnstuben-Chor, „Steuermann lass die Wacht…“ und das gespenstische Wettsingen zwischen Dorfgemeinde und Holländer-Mannschaft kaum wieder so hören: eine die 2800 Besucher in der Passionstheaterhalle überflutende Klang-Woge voll sicht- und hörbarer Sing- und Spiel-Begeisterung, beeindruckend einstudiert von Markus Zwink. Da waren Stückls Chor-Freiheiten, die Dirigent Rubikis mit trug, hinzunehmen: das Gespenster-Echo „Ew’ge Vernichtung“ sang die hinten stehende Seemannschorhälfte auf der Bühne; die Spinnstube der Frauen deutete Stückl zur großen Chor-Probe mit „…wenn du nicht singst, vom Schatz du kein Geschenk gewinnst“ unter Marys gespielt streng, aber mit-swingenden Leitung um, was Iris van Wijnen amüsant gelang – und das Wettsingen geriet zum tosenden Schrecken: so bislang „unerhört“. Oberammergaus „Fliegender Holländer“ also weniger ein Interpretations-, denn ein umjubeltes Klangerlebnis.

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