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Der Komponist Hans Samuel. Flyer des Veranstalters.
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Wie aus Hans Jochanan wurde – Ein Konzertprojekt zum jüdischen Komponisten Hans Samuel

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Essen, im April. Verwüstet, verschüttet, verloren – die jüdischen Künstlerbiographien treiben uns um. Unterhalb der Schwelle von Exzellenz mit den bekannten, den gut erforschten Namen wird die Überlieferungslage schnell prekär, gehen die Vorkenntnisse gen Null. Wie jetzt wieder, als im Rahmen der Jüdischen Kulturtage Rhein-Ruhr einer dieser im Geschichtsschutt Begrabenen ans Licht trat. Das heißt: So richtig eigentlich nicht. Bis in die Zielgerade kämpfte ein ambitioniertes Konzertprojekt an zwei Fronten: Wer war Hans Samuel? Und: Was sagt uns die Musik des Hans Samuel? Georg Beck mit Antworten und neuen Fragen.

Fragen, die am Ende unaufgelöst im Kirchenraum hängen blieben. Dabei waren mit Erlöserkirche Essen und Alter Synagoge Essen zwei einschlägig erfahrene Veranstalter, mit dem Organisten Dominik Gerhard und ensemble shtetl zwei kompetente Ausführende am Werk. Auch der Rahmen ausgesprochen günstig insofern die Jüdischen Kulturtage jede Menge interessiertes Publikum in die Essener Kirche zogen. Man kam zahlreich, man kam mit Fragen, man ging dann allerdings auch wieder mit Fragen.

An der Einstellung der Veranstaltenden, der Ausführenden lag es nicht. Allenthalben viel guter Wille, einer vergessenen Figur der lokalen Musikgeschichte zur fälligen Gerechtigkeit zu verhelfen. Überhaupt kam der Impuls dafür aus den Reihen der Musiker selbst. ensemble shtetl-Klarinettist Markus Emanuel Zaja (beim Konzert unglücklicherweise krankheitsbedingt verhindert) hatte den Hans Samuel-Stein überhaupt ins Rollen gebracht als er in den Schauvitrinen der Alten Synagoge vor einiger Zeit dessen Noten entdeckt hatte: Ist da noch mehr? Ja – und ob! So fing es an.

Im Konzert war es dann Martina Strehlen vom Archiv der Alten Synagoge Essen, der die heikle Aufgabe zufiel, die Konturen zu zeichnen, die Mosaiksteinchen zu benennen: Ein schwieriger, menschenscheuer Charakter, ein jüdisches Organistenleben, ein Brenn- und Ausgangspunkt in einer musikaffinen Essener Rabbinerfamilie. Unter den vier Kindern der Samuels auch ein Hans, wobei schon diese Namensgebung auf die im Prinzip gut bekannte, bis zur Verblendung integrationswillige Grundhaltung des deutschen Judentums hindeutete: Man wollte, in erster Linie, gute deutsche Juden sein und brauchte eben deswegen, unter Umständen, sträflich lang bis man erkannte, dass man es nicht mehr sein durfte.

Auch Hans Samuel hatte mit dieser Erkenntnis, die über Sein und Nichtsein mitentschied, ganz offensichtlich seine liebe Not. Seine späte Flucht, 1939, noch dazu aus der Berliner Höhle des Löwen, wo er – erstaunlicherweise – eine Organistenstelle an einer jüdischen Gemeinde hatte ausfüllen können, zeigt, dass er vor dem sich anbahnenden Zivilisationsbruch viel zu lang die Augen verschlossen, Abwehr-Strategien, Flucht-Optionen erst in letzter Minute erwogen hatte.

Stationen voller Rätsel

Peu à peu entpuppte sich das Ganze als eine Thematik, deren Dimensionen ein tabellarischer Schnelldurchgang, eingeklemmt zwischen Musikdarbietungen, kaum gerecht zu werden vermochte – zu unbeschrieben dafür das Blatt dieses Hans Samuel, zu undeutlich, zu unausgeleuchtet dafür vor allem die Umstände der späten Verwandlung des Hans in einen Jochanan Samuel im Kontext seiner Emigration ins britische Mandatsgebiet mit einem eher prekären Auskommen als Klavier- und Orgellehrer, und – wiederum erstaunlicherweise – mit Konzertreisen an die Stuttgarter Stiftskirche in späteren Jahren. Stationen voller Rätsel.

Auch im musikalischen Teil ein eher unklares Bild, wenngleich darin doch als deutlichster Punkt dieser jüdischen Künstlerexistenz eine lebenslange Faszination für die Orgel, für das Orgelspiel kenntlich wurde – am Anfang mit schönster Zufallskonstellation: Hier eine Walcker-Orgel in der Synagoge, dort eine Walcker-Orgel in der Erlöserkirche, an der Organist Jakob Ebing dem jungen Hans Samuel regulären Unterricht erteilt hatte, wodurch die Verbindung fürs Erinnerungskonzert „essen–berlin–jaffa. der komponist hans samuel (1901-1976)“ natürlich gestiftet war. Historisch gesehen war dies freilich eine Verbindung über Trümmer hinweg. Beide Schwesterorgeln hat der Krieg, der große Gleichmacher, in Schutt und Asche gelegt.

Wie hatte Hans Samuel künstlerisch auf die bald unleugbare Ausgrenzung geantwortet? Gab es Versuche, das „Jüdische“ zu entdecken? – Sein Orgelstück „pentatonic toccata“ deutete darauf eher nicht hin. Als Eindruck hielt sich vielmehr ein dunkles Mäandern durch Skalen, ein Tändeln, ein Suchen, das anders als Samuels großes Vorbild Bach, einfach nicht wusste, wohin, so dass der unvermittelte Abbruch nach rund zehnminütiger Spieldauer fast folgerichtig erschien. Das Stück hörte einfach auf. Auch Dominik Gerhard, der diese Toccata, der alles Festliche abging, aus dem Manuskript vortrug, wusste nicht zu sagen, ob das Ende nun verloren ist oder ob Hans Samuel nicht weiterschreiben konnte oder wollte.

Das dokumentarische Prinzip

Das andere klingende Beispiel aus Samuels Komponierwerkstatt durfte man wohl als eines seiner Hauptwerke ansehen, wenngleich die 1947 entstandene „sephardic cantata“ ebensowenig Rückschlüsse zuließ auf Stil und Handschrift. Was man hörte, war ein gemäßigter Modernismus, der jede Anspielung auf Realerfahrung mied, wenn man einmal von einem latent-depressiven Grundton absah. Was sich herausschälte, war eine gewisse Indifferenz, die ensemble shtetl möglicherweise dazu veranlasst haben mochte, zwischen die sieben Teile dieser „sephardic cantata für 3-5 Orchesterstimmen“ Improvisationen einzufügen. Eine Entscheidung, die man zum Besten dieser liturgischen Schabbat-Musik und ihres Komponisten getroffen zu haben glaubte, und die doch unvermittelt ins Gegenteil umschlug, insofern die Trennschärfe im Verlauf dieser halbstündigen Darbietung verlorenging. Irgendwann wusste man einfach nicht mehr, was Sache war. Stattdessen schien die Absicht, zu dominieren, einen irgendwie im Ungefähren operierenden jüdischen Komponisten hineinzuholen in einen „jüdischen“ Grundkonsens, den es freilich nicht gibt. Das leicht Klezmer- respektive Jazzartige in diesen Interpolationen deutete darauf hin.

Als Fazit bliebe, das akkumulierte Fragepotential produktiv in ein Hans Samuel-Folgeprojekt zu überführen. Eines, das harmonisierenden Darstellungen eher widersteht, so schwierig, so unübersichtlich die Partiturbilder auch sein mögen, hängt unsere Annäherung an faktenarme Künstlerbiographien, an prima vista uneindeutige Werkästhetiken nun einmal unverrückbar am dokumentarischen Prinzip: Hinstellen, was da ist. Nichts hinzudichten. Improvisieren? Gern! Nur, tunlichst hinterher. – Womit das letzte Wort zu Hans Samuel nicht gesprochen sein sollte. Mehr von diesem Verschollenen zwischen Kirche und Synagoge sollten wir bald hören. 

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