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Matsukaze an der Staatsoper Berlin. Foto: Bernd Uhlig
Matsukaze an der Staatsoper Berlin. Foto: Bernd Uhlig
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Zwei Schwestern – in tanztheatraler Verstrickung: Toshio Hosokawas Oper „Matsukaze“ an der Staatsoper Berlin

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Im Rahmen von „Infektion!“, dem Festival für Neues Musiktheater an der Staatsoper Berlin, erfolgte die deutsche Erstaufführung der dritten Oper „Matsukaze“ des 1955 in Hiroshima geborenen Komponisten Toshio Hosokawa auf ein vom Nô-Theater inspiriertes, deutschsprachiges Libretto von Hannah Dübgen.

Toshio Hosokawas Partitur versteht sich als ein interkultureller Diskurs: Der Schüler von Isang Yun und Klaus Huber kombiniert traditionelle japanische Musik mit zeitgenössischer Textur, sowohl in ihrem Instrumentarium, als auch in den der japanischen Kalligraphie nachempfundenen, malerischen Klängen von Flöte und Streichern. Die leisen Naturgeräusche der häufig nur als Windgeräusch bewegten Instrumente – wie jüngst auch bei seinem in der Berliner Philharmonie uraufgeführten Hornkonzert – werden in der Oper allerdings übertönt von zugespielten, elektronisch verstärkten Naturgeräuschen aus Japan.

Die Uraufführung der durch die Kulturstiftung des Bundes geförderten Produktion hatte bereits am 3. Mai dieses Jahres am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel stattgefunden und war auch schon beim Koproduzenten in Luxemburg, am Grand Théâtre, zu sehen. Bevor sie zum vierten Koproduzenten, dem Teatr Wielki in Warschau weiterwandert, erlebte sie ein doppeltes Heimspiel in der deutschen Hauptstadt: hier hat der Komponist studiert und später, als Fellow am Wissenschaftskolleg, die Choreographin Sasha Waltz kennen gelernt, die hier mit ihrer Truppe am Radialsystem zuhause ist.

Im Gegensatz zu den Nô-Spielen des 14. und 15. Jahrhunderts, wo nur männliche Darsteller auftraten, hat Hosokawa zwei dankbare Frauenpartien geschaffen. Ein Fischer (in der kleinen Baritonpartie: Kai-Uwe Fahnert) bringt einem buddhistischen Mönch die Geschichte zweier liebender Schwestern, Matsukaze (deutsch: Wind in der Kiefer) und Murasame (Herbstregen), nahe. Die Salzschöpferinnen haben vor Jahrhunderten den Prinzen Yukihira geliebt, der sie aber aus politischer Raison verlassen musste. Die ruhelosen Seelen der beiden Frauen begegnen dem schlafenden Mönch, und er schafft durch Gebet ihre Seelenreinigung.

Auf der leeren, nur von Nebel erfüllten Bühne beginnt das körperintensive Spiel der Choreographin Sasha Waltz, die nicht zum ersten Mal an der Staatsoper Berlin eine Operhandlung in die Form des Tanztheaters überführt. Auch bei „Matsukaze“ verschwinden die darstellerischen Grenzen zwischen Tänzern und Sängern. Nicht nur die Kiefer, auf der klassischen Bühne des Nô-Theaters als gemaltes Ewigkeitssymbol präsent und in dieser Opernhandlung als Phantasmagorie des den Frauen nachwinkenden Prinzen besungen, wird hier vielfältig tänzerisch interpretiert. Eindrucksstark ist das Herabsenken zweier transparenter Prospekte aus schwarzen Wollfäden. In der bekletterbaren Fäden-Installation des Bühnenbilds von Pia Maier-Schriever und Chiharu Shiota schweben die salzgewinnenden, singenden Schwestern an beinahe unsichtbaren Seilen, wie weiland 1876 in Bayreuth die Rheintöchter, nur ungleich beweglicher und auch kopfüber, in scheinbarer Schwerelosigkeit. Dabei intonieren die Sopranistin Barbara Hannigan als Matsukaze und die Mezzosopranistion Charlotte Hellekant als Murasame betörend, textverständlich und mit dramatischem Pep. Den bewusst statisch geführten Mönch, der den Wachtraum der Erinnerung nur mit seinem Kopf aus dem Graben schauend erlebt, gestaltet der Bassbariton Frode Olsen mit den in der Partitur gebotenen Repetitionen vor dem Vollton und mit schleifenden Tonverschiebungen eindrucksvoll.

Im zweiten Akt senkt sich ein Geviert, als begrenzende Pfosten des die Frauen einstens beherbergenden Salzhauses herab, die im dritten Akt von einem heftigen Regen aus Stäben überschüttet werden. So gibt es in der pausenlosen, gut anderhalbstündigen Oper viel zu schauen und zu bestaunen.

Dass die Zuhörer, fern der Schrecken des Tsunamis, im Wohllaut der Staatskapelle Berlin unter dem jungen Dirigenten Pablo Heras-Casado baden dürfen, wird insbesondere dem anwesenden Komponisten am Ende heftig gedankt. Bravos auch für das szenische Produktionsteam, die musikalische Leitung, vier Solisten, acht Sänger des Vocalconsorts Berlin, sowie die Tänzer von Sasha Waltz & Guests.

Weitere Vorstellungen: 16. und 17. Juli

 

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