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„Rappresentatione di Anima et di Corpo“ im Theater an der Wien. Foto: Werner Kmetitsch
„Rappresentatione di Anima et di Corpo“ im Theater an der Wien. Foto: Werner Kmetitsch
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Zwischen Himmel und Hölle: Robert Carsen inszeniert Cavalieris „Rappresentatione“ im Theater an der Wien

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Roland Geyer hat an den Beginn der letzten Spielzeit seiner über die Jahre ziemlich erfolgreichen Intendanz am Theater an der Wien wohl bewusst die erste Oper der Musikgeschichte gesetzt. Sein designierter Nachfolger Stefan Herheim erbt als kommender Künstlerintendant gleichsam einen angesparten Vorsprung gegenüber dem vor allem in seinem Selbstverständnis Weltspitzen-Staatsopern-Tanker am Ring. Das zweite (Stagione-) Opernhaus in Wien bleibt jedenfalls im Rennen. Selbst, wenn es nur so weitermacht, wie bisher…

Um aus „Rappresentatione di Anima et di Corpo“ von Emilio de’ Cavalieri (1550–1602) ein Stück Musiktheater zu machen, das das Publikum von heute jubeln lässt, wie bei der Aufführungsserie im Theater an der Wien, braucht es schon einen Regisseur wie Robert Carsen. Dazu so versierte Spezialisten wie das Alte-Musik-Ensemble Il Giardino Armonico und einen Dirigenten wie Giovanni Antonini. Im Verein mit so flexiblen Protagonisten wie Georg Nigl (als Zeit, Welt und verdammte Seele), Cyril Auvity (als Verstand), Anett Fritsch (Seele), Daniel Schmutzhard (Körper), Florian Boesch (als guter Rat) und Margherita Maria Sala (Vergnügen) und all den anderen, gelingt es tatsächlich, aus dieser Komposition aus dem Jahre 1600 ein Stück Musiktheater zu machen, das auch nach über 420 Jahren noch zündet. Noch ein paar Jahre vor Monteverdis Orfeo geschrieben, kann das Stück für sich in Anspruch nehmen, die erste Oper zu sein. Oder eben eine der ersten. Irgendwo zwischen Oratorium und geistlicher Oper.

Carsen nähert sich dieser religiösen Belehrung darüber, was Menschen sollen, um in den Himmel zu kommen, und was sie lassen müssen, um die Hölle zu vermeiden, radikal von heute aus. Auf leerer Bühne sind alle Mitwirkenden zu Beginn wie Reisende in Alltagszivil versammelt. Eine Probensituation bei der jeder seine Sprache spricht und seine Fragen an den Sinn des Unternehmens  und den des Lebens hat. Aus dieser Tabula-rasa-Situation heraus beginnt das Spiel, wenn die personifizierte Zeit wie ein Obdachloser dazwischenstolpert, die Vergänglichkeit des Lebens beschwört und dazu auffordert, so viel Gutes wie möglich zu tun. Der Abend hat streckenweise die Züge eines Oratoriums. Die damit verbundene Statik bricht Carsen immer wieder, wohl durchdacht, mit sparsam eingesetzten Bühneneffekten auf. Die Allegorien Anima und Corpo erleben als junges Paar von heute in Jeans eine Reise zu sich selbst.

Für die Prüfungen, die beide durchmachen, findet Carsen einige grandiose Bilder. Einen der Effekte liefert der Komponist selbst frei Haus. Wenn das Vergnügen (Margherita Maria Sala) mit ihrer knapp kostümierten Truppe zum Bacchanal hereinbricht, und Anima den Wert dieser Vergnügungen anzweifelt und ihre Fragen laut ausruft, erhält sie durch das Echo, mit der Wiederholung des jeweils letzen Wortes immer genau die „richtige“ Antwort.

Wenn die Welt (Mondo) und das Leben (Vita Montana) mit ihren goldenen Gewändern ihren großen verführerischen Auftritt haben, dann ist das auch die Stunde für Kostümbildner Luis Carvahlho, der mit Carsen zusammen auch die Bühne entworfen hat. Der Schutzengel der beiden jungen Leute nimmt diesen Verführern ihre glänzende Hülle. Diesen Angelo Custode verkörpert der Counter Carlo Vistoli kraftvoll als strahlend weiß gekleideter Sympatikus. Was unter der Oberfläche als körperlicher Verfall sichtbar wird, ist so schockierend, dass sich Corpo und Anima abwenden.

Wenn sie metaphorisch eine riesige, langsam bis zu Rampe vorgefahrene (Himmels-)Pforte durchschreiten, wittert man den klerikalen Auftraggeber. (Papst Clemens VIII. hatte das Jahr 1600 zum „Heiligen Jahr“ ausgerufen, um der Reformation, den Katholizismus auf allen Kanälen entgegenzusetzen.) Doch was die jungen Leute hier bekommen, das sind düstere Kirchenfürsten, denen man jede inquisitorische Strenge zutraut. Während zwei von ihnen als Anwälte von Himmel und Hölle argumentieren, entfaltet das spektakulärste Bild der Inszenierung seine Faszination. Sechzehn Menschen fahren gen Bühnenhimmel auf, um dann wie in einem Gemälde des jüngsten Gerichts den Tiefen der Hölle entgegen zu stürzen. Die emanzipatorische Wende, weg von den Lehren, die mit dem Versprechen auf den Himmel locken und mit der Hölle drohen, hin zu einem selbstbestimmten Handeln für das Gute, die den beiden gelingt, endet in einem fröhlich ausgelassenen Fest aller jetzt weiß gekleideten Protagonisten, Tänzer (Choreografie: Lorena Randi) und Mitglieder des fabelhaften Arnold Schoenberg Chores (Leitung: Erwin Ortner) und im überbordenden musikalischen Jubel.  

Der springt ohne Abstriche auf das Publikum über, das diese Begegnung mit den Anfängen der Oper feiert.

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