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Levente Páll, Chris Lysack, Dovlet Nurgeldiyev, Paulo Paolillo, Wilhelm Schwinghammer (Fünf Kapellsänger von St. Maria Maggiore), Diogenes Randes (Papst Pius IV.), Roberto Saccà (Palestrina), Katerina Tretyakova (Ighino), Chor. Foto: Jörg Landsberg
Levente Páll, Chris Lysack, Dovlet Nurgeldiyev, Paulo Paolillo, Wilhelm Schwinghammer (Fünf Kapellsänger von St. Maria Maggiore), Diogenes Randes (Papst Pius IV.), Roberto Saccà (Palestrina), Katerina Tretyakova (Ighino), Chor. Foto: Jörg Landsberg
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Zwischen Schwarzweiß und greller Farbigkeit – Pfitzners „Palestrina“ in Hamburg

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Nach Frankfurt und München und vor Zürich (im Dezember dieses Jahres) steht Hans Pfitzners vierte Oper „Palestrina“ nun auch in Hamburg auf dem Programm. Dort dauert der schon bei der Hochschul-Produktion des „Christelflein“ aufgeflammte, heftige Gegenwind gegen den Komponisten an. Aufgrund von dessen nationaler und antisemitischer Haltung wurde soeben die Umbenennung der Hamburger Pfitzner-Straße vorgenommen.

Die Koproduktion mit der Bayerischen Staatsoper München wurde für die Hamburger Bühne in ihren Maßen geschrumpft, sogar der Schwellkopf von Lukretia, der Erscheinung von Palestrinas toter Frau, fällt hier merklich kleiner aus. Identisch ist das Produktionsteam von Hans Pfitzners Musikalischer Legende: Christian Stückl als Regisseur wählt eine Erzählweise im Spannungsfeld seiner beruflichen Hauptsäulen, dem Münchner Volkstheater und den Passionsspielen in Oberammergau.

Sein Ausstatter Stefan Hageneier rückt die Geschichte in einem triptychonähnlichen Grundraum optisch in die Gegenwart, zunächst in Schwarzweißtönen, dann mit schreiendem Giftgrün und kontrastierendem Pink anstelle des Kardinalsrots, mit kirchlichen Luxuslimousinen für Morone und einer noch längeren für die Nobelsänger der Sixtinischen Kapelle.

Generalmusikdirektorin Simone Young beginnt im Vorspiel mit anmutig breit ausmusizierten Übergängen, aber bald schon fällt das Zusammenspiel zwischen den Hamburger Philharmonikern und der Bühne merklich auseinander, häufen sich, trotz übergroßer, zumeist paralleler Schlagtechnik der Dirigentin, auch die Missverständnisse im Orchestergraben.

Hans Pfitzners dramatische Musiksprache zeigt sich weit klüger als ihre Protagonisten selbst, ja sie vermag sogar deren Meinung ad absurdum zu führen. So erklingt etwa, wenn Palestrina bei seiner Weigerung, das von ihm verlangte neue Werk zu schreiben, von einem Anderen spricht, der dem Kardinal diesen Wunsch erfüllen möge, im Orchester vorausahnend das Palestrina-Thema. Demgegenüber ist mehrfach ersichtlich, dass der Regisseur sich für die Inszenierung mehr am Text als an der Musik orientiert hat, so etwa bei den Engeln, die beim Vorspiel zum zweiten Akt die Szene bevölkern, obgleich Pfitzners aggressive Musik hier den blutigen Schluss dieses Aktes vorwegnimmt. Im dritten Akt prangt als Rückwand des Gehäuses von Palestrinas Haus – anstelle des Lukretia-Bildes im ersten Akt – ein großes Christusbild (ebenfalls in Grün und Pink), dem sich Palestrina beim Lukretia-Thema zuwendet. Aber auch in dem als volkstheatrale Hanswurstiade inszenierten Mittelakt nimmt es wunder, dass echte Witze verschenkt werden, wie etwas das Namensmissverständnis „Strinas – Pa – Les“ durch den greisen assyrischen Patriarchen Abdisu (Jun-Sang Han).

Es gibt aber auch erhellende szenische Momente: Während des Orchestervorspiels erlebt der Betrachter auf offener Bühne den Künstler beim verzweifelten Bemühen, seine Schreibhemmung zu überwinden, gipfelnd in einem Suizidversuch. Aufgrund seiner Weigerung lachen die toten Meister Palestrina zunächst stumm aus; dann aber werden die vorzeitlichen Kollegen – wie die politischen Drahtzieher in der Deutung Harry Kupfers an der Frankfurter Oper – sogar handgreiflich gegen den jüngeren Meister. Und mit dem Erklingen des finalen Rom-Themas, am Ende des ersten Aktes, nimmt eine schwarze Exekutionsmannschaft mit Gewehren Palestrina gefangen. Dieselben Lemuren führen dann beim Tridentiner Konzil zwei gemarterte Ketzer vor.

Mit der Münchner Sänger-Besetzung identisch ist nur Frank Stuckmann als Kardinal Borromeo; durch eine Fußverletzung gehandicapt, setzt er seinen Krückstock vermehrt als Schlaginstrument ein und bändigt zugleich das Dauerforte. Doch seine Gestaltung vermag nicht über den mangelnden Unterbau der Lesart für diese Partie hinwegzutäuschen. Die Rolle des Potentaten, der sich dem Künstler gegenüber als höchst zweifelhafter Freund erweist, da er Palestrina zur Durchsetzung seiner Idee einer Neukomposition der lateinischen Messe in den Kerker werfen lässt, bleibt eine papierene Behauptung. Roberto Saccá in der Titelrolle ist ein optisch sehr junger Vertreter des alt gewordenen Meisters, der die Partie heldisch stemmt, was manchmal, etwa beim den ersten Akt abschließenden „Frieden“ zu Intonationsproblemen führt.  Stimmlich makellos ist die Gestaltung der führenden Kardinallegaten des Papstes, Wolfgang Koch als Giovanni Morone und Jürgen Sacher als Bernardo Novagerio. Eine Fehlbesetzung ist Ann-Beth Solvang in der Hosenrolle des Schülers Silla, der hier gegen Ende des ersten Aktes als Säufer auftritt. Besser gefällt Katerina Tretyakova in der Rolle von Palestrinas Sohn Ighino.

Obgleich das Hamburger Programmheft mit Originalbeiträgen von Udo Bermbach und Kerstin Schüssler-Bach um Untersuchung und Aufarbeitung des Themas Pfitzner und das Dritte Reich bemüht ist, trifft die massive Hamburger Ablehnung – auf Betreiben der SPD – nunmehr Pfitzners 1917 uraufgeführte, von Thomas Mann und Bruno Walter hoch gelobte Partitur; die dritte Aufführung der Neuproduktion war merklich schlecht besucht.

Weitere Vorstellungen: 16. Juni, 2., 6., 9., 16. Oktober 2011 

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