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Zum 8. Mal findet am 5. Juni der "Carnival der Kulturen" in Bielefeld statt, der vom Shademakers Carnival Club und dem Welthaus veranstaltet wird. Über 1400 Akteure in rund 70 Formationen sowie an die 100.000 Besucher bei der Parade durch die Innenstadt und beim Fest im Ravensberger Park werden erwartet.
Oft nur als Multikulti-Fest mit "farbenprächtigen Kostümen" und "karibischem Flair" etikettiert, steht der Carnival aber für mehr als dies. Er bietet Menschen jeden Alters und unterschiedlicher sozialer, geografischer und kultureller Herkunft eine Plattform kreativer Selbstbetätigung, gemeinsam ein Stück Utopie zu bewerkstelligen: Wir erobern die Straße, überwinden Barrieren in Kopf und Körper ebenso wie die Grenzen zwischen Klassen, Kultursparten und Kunstgattungen und vereinigen uns in der Vielfalt. Und dafür taugt eben jenes "Play Mas", ein an Masquerade angelehnter Begriff aus der karibischen Carnivaltradition.
Es will dies eine neuartige, soziale Kunstform sein, die das Zusammengehen von Laien und Künstlern, die Begegnung mit verschiedenen Kulturen und die Belebung des urbanen Raums vereinigt. "Nicht die Kunsttempel, nicht die bürokratischen Apparate der Kultur, sondern die Künstler und Macher sind von zentraler Bedeutung", heißt es im Programmheft des Bielefelder Carnival. Ein Stück "Demokratisierung der Kultur", sagen auch die Veranstalter des großen "Karneval der Kulturen" in Berlin. Da kommen Kostüm-, Tanz- oder Musikgruppen aus Schulen, Jugend- oder Kulturzentren, sozialen Einrichtungen und Vereinen - die einen auf Stelzen, mit wehenden Fahnen oder in selber gestalteten Masken, andere mit Instrumenten, Trommeln oder phonstarken Sound Systems. Darunter auch Kinder, Behinderte und viele, die nicht von Haus aus sowieso kulturerfahren sind, die sich nicht trauen oder keine Chancen sehen, sich in ihrer Art äußern zu können.
Damit ist der Carnival ein Medium und eine Plattform interkultureller Praxis wie kein anderes. Und dies auch über den Carnival hinaus. So hatte Simon Rattle, Chefdirigent der weltbekannten Berliner Philharmoniker, die Bielefelder Shademakers für die Produktion einer Kinderoper engagiert: "L\' Enfant et les Sortilèges" von Maurice Ravel, die mit Elementen des Carnivals auf die Bühne gebracht werden sollte. Eine "kreative Entdeckungsfahrt", auf die sich rund 120 Kinder von vier Berliner Schulen mit Feuer und Flamme stürzten. Sie machten das Ravel-Stück zu ihrem auch eigenen Stück und feierten dann den gelungenen Auftritt in der Philharmonie. Für die Kinder eine Horizonterweiterung ebenso wie für diese Bastion der Hochkultur.
Derlei Horizonterweiterung haben die Shademakers in ihren vielen Workshops immer wieder angestoßen. "Die Maske zu verstehen, zu gestalten, zu bauen, zu tragen und zu verkörpern, entwickelt die Persönlichkeit des Trägers. Der Akteur lernt sich besser kennen, lernt innere Grenzen zu überwinden, wird Teil eines größeren Ganzen." Ähnlich sieht es auch der aus westafrikanischen Benin stammende Tänzer Tchekpo Dan Agbetou, künstlerischer Leiter des Bielefelder Tanzsommers: "Der Tanz dient in vielen Kulturen als wichtigstes Ausdruckmittel tiefer Gefühle", heißt es in seinem Beitrag im Jahrbuch Kulturpolitik. Deshalb hat der Tanz für den Austausch der Kulturen einen so hohen Stellenwert. Das gilt vielfach auch für Musik. Und wenn alles drei zusammenkommt, "Play Mas" mit Tanz und Musik - dann kann der Carnival beginnen. Er steht für Gleichberechtigung und Chancengleichheit, verlangt eine Öffnung aller kulturellen Institutionen und ein eindeutiges "Ja" auf die Frage, um der es bei einem Kongress über Interkultur(politik) im Juni 2003 ging: "Brauchen wir nicht eher einen offenen, fließenden Kulturbegriff, der den vielfältigen Vernetzungen und seinen beständigen Veränderungen gerecht wird?"
Der Bielefelder Carnival ist Ausgangspunkt solcher Vernetzungen und beflügelt den Kulturaustausch zwischen lokalen und nationalen Szenen und Kulturen. So kommen die Shademakers regelmäßig nach Notting Hill und anderen Schauplätzen von Carnival Art, zugleich Gruppen aus London oder der Partnerstadt Rochdale (nähe Manchester) nach Bielefeld. Und noch im diesem Jahr will man - gefördert vom NRW-Landesprogramm Interkulturelle Arbeit - einen Leitfaden für Carnival Art als Medium interkultureller Praxis in Schulen und Jugendeinrichtungen vorlegen.
Weitere Informationen unter http://www.carnival-bielefeld.de sowie http://www.shademakers.de