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Casting zwischen Kunst und Krawall

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Bußgeld gegen «Deutschland sucht den Superstar» - Menschliches Spektakel wichtiger als Talent - Für RTL kein Widerspruch zum künstlerischen Anspruch des Formats - Skandale und Tabubrüche bringen Quote


Berlin/Köln (ddp). Selbstsicher steht der junge Mann mit gegelten Haaren im Studio und wartet auf das Urteil. «Du wirst dein ganzes Leben lang ein scheiß erfolgloser Friseur bleiben», fasst Juror Dieter Bohlen im Urteil zusammen, das die Internet-Videoportale bei der Eingabe von «DSDS» als einen von 6000 bis 9000 Treffern erzielen.

Geht es um die RTL-Castingshow «Deutschland sucht den Superstar», spricht kaum mehr jemand über das gesangliche Talent der Bewerber. Während die Erinnerung an die Gewinner vergangener Staffeln verblasst, richtet sich das Interesse des Fernsehpublikums auf peinliche Auftritte untalentierter Kandidaten - und die Sprüche der drei Jury-Mitglieder, allen voran Dieter Bohlen.

RTL ist sich dieser Nachfrage bewusst. Entsprechend warb der Sender auf seiner Homepage für eine Folge der aktuellen fünften Staffel: «Total schräg geht\'s beim nächsten Casting weiter.« Für die Sprecherin des Senders ist das kein Widerspruch zum künstlerischen Anspruch des Formats: «Zum Konzept der Sendung gehört auch, dass sich unter den Kandidaten Leute befinden, die sich überschätzen«, sagt Anke Eickmeyer auf ddp-Anfrage.

Das Interesse der Zuschauer rückt die eigentliche Suche nach einem neuen Star dabei in den Hintergrund: In der vierten Staffel lagen die Einschaltquoten der Mottoshows bereits hinter denen der Castings zurück. «Skandale und Tabubrüche bringen Quote», sagt Jo Groebel, Medienpsychologe und Leiter des Deutschen Digital-Instituts in Berlin. Der Erfolg ergebe sich aus den Akzenten des Reality-TV.

Der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) wurden die verbalen Jury-Entgleisungen inzwischen zu viel. Sie beanstandet vier aktuelle Castingsendungen und fordert wegen Verstößen gegen die Jugendschutzbestimmungen von RTL ein Bußgeld in Höhe von 100 000 Euro. «RTL hat das Recht auf eine Stellungnahme», sagt eine Sprecherin der KJM. Danach werde die endgültige Höhe der Strafe festgelegt. Für die Strafe sei entscheidend gewesen, dass schon im vergangenen Jahr Sendungen beanstandet wurden und RTL darauf nicht reagiert habe.

Kritiker werfen «DSDS» seit langem vor, mehr auf schräge Töne denn auf Stimmgewalt zu setzen. Besonders fraglich sei, wie untalentierte Aspiranten überhaupt die Vorcastings überstehen könnten, die sie durchlaufen müssen, ehe sie bei Bohlen vorsingen dürfen. «Das Vorcasting ist ein logistisches Verfahren, weil vor der Jury nicht 30 000 Kandidaten auftreten können«, erklärt Eickmeyer. Es sei «keine Auswahl nur der guten Leute», der Jury werde ein Querschnitt aller Bewerber präsentiert.

So schafften es seit der ersten Staffel regelmäßig gesanglich untalentierte Kandidaten wie Daniel Küblböck und Lorenzo Woodard unter die letzten zehn Teilnehmer in die Mottoshows. Weniger Glück hatte kürzlich der 17-jährige Schüler Raymund. Er brach nach harscher Kritik während eines Castings im Studio zusammen und wurde danach am Telefon von Unbekannten beleidigt und bedroht.

«Die Wortwahl der Jury hat noch mal einen Zahn zugelegt», meint Groebel. Auf sozial schwachen Kandidaten sei zuletzt ungehemmter rumgetrampelt, peinliche Auftritte seien genüsslicher aufbereitet worden. Inzwischen habe RTL aber einen Gang zurückgeschaltet, «nach dem Motto: Mission erfüllt».

Die ausgestrahlten Castingszenen sind oft dominiert von krawalligen und rührseligen Momenten. Einer an der Nervenkrankheit ADS leidenden Kandidatin, dem in jeder Runde vergeblich nach seinem Glück suchenden Michael-Jackson-Imitator Menderes oder dem Casting-Kandidaten, der die Jury nach deren ablehnendem Urteil mit Wasser bespritzt, wird mehr Sendezeit eingeräumt als hoffnungsvollen Talenten, deren Weiterkommen zügig abgehandelt wird.

«Dramaturgisch ist das Format eine Art Zweiteiler», sagt Jo Groebel. «Die Castings sind flapsig und skandalig, die Mottoshows dann eine Heldenstory mit Sieg und Niederlage.» Das menschliche Spektakel sei längst mindestens so wichtig wie der eigentliche Talentwettbewerb.

Nach den Recall-Sendungen, in denen aus 120 verbliebenen Kandidaten 15 herausgefiltert werden, zeigt RTL am 8. März die Live-Show »Die Top 15 - Jetzt oder nie". In dieser Sendung werden die zehn Kandidaten bestimmt, die ab 15. März in den Mottoshows antreten.

Torsten Landsberg