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Happening in Hallenbad und Bahnhof

Untertitel
„Landscape with man being killed by a snake“ von Heiner Goebbels
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Bereits im Vorfeld kursierten hohe Erwartungen. Neun Theatermacher, Regisseure, Choreographen und Musiker waren zur documenta x eingeladen und sollten ihre Reflexionen darüber in „Theaterskizzen“ umsetzen. Skizzen sollten es sein, um die Offenheit der Theaterformen am Ende des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren, gesucht wurde aber auch der „theatrale Diskurs, der die mit der Ausstellung verbundenen Themen und Fragestellungen aufgreift und weiterdenkt“ (so im Editorial des Programmheftes). Der Kurator war kein anderer als Trendsetter Tom Stromberg (ehemals Theater am Turm in Frankfurt), und quer über den Plakaten in der Documentahalle prangte schon Tage vorher das Schild: Ausverkauft. Die Theaterskizzen – insgesamt neun Produktionen – präsentierten sich dann als Happening. Eskortiert wie Honoratioren wurden die rund vierhundert Zuschauer quer durch Kassel gelotst: zum Hauptbahnhof, auf die Gleise, ins Hallenbad-Ost und in eine Werkskantine zu Würstchen und Kartoffelsalat. Unter einer Brücke, dort, wo Straßenbahngleise zwischen kahlen Hauswänden aufeinandertreffen, erwartete das Publikum ein Baugerüst mit Schäfchenwolken und einem Propeller; und dort kam es zu einer Szene, mit der das zeitgenössische Musiktheater repräsentiert werden sollte: „Landscape with man being killed by a snake“ von dem Frankfurter Musiker und Theatermacher Heiner Goebbels. Dessen Werk – und das ist inzwischen ein Gemeinplatz – gilt vielen als Inbegriff der Interdiziplinarität. Und auf Goebbels ist in dieser Hinsicht Verlaß. Da wandelt einer über das Baugerüst und spricht ins Mikrophon, Texte von Gertrude Stein und Philip von Sidney, in denen über die Unmöglichkeit von Geschichte und über Landschaftseindrücke philosophiert wird. Der Gitarrist rifft einen roten Faden durch das Stück, „the heater“, (Bastiaan Maris), befeuert seine riesigen Propangaspfeifen, daß es nur so dröhnt. Ein Kasselaner Chor wandelt mit Lampions durchs Bild, Hosianna, eine idyllische Reminiszenz. Schäfchen meckern, vom Sampler grollt ein falsches Gewitter, der richtige Regen folgt prompt nach. Dann fährt eine echte Straßenbahn durchs Bild, und die wirkt noch künstlicher als das urbane Idyll auf der Bühne. Die Szenerie hat schöne Bilder. Aber sie ist auch glatt. Keine Verstörungen, keine Kanten, auch kein Innehalten; und die musikalischen Mittel – repetierte Patterns, gesampelte Umweltgeräusche – sind alle bekannt. Am Schluß gibt es sogar eine Art musikalischer Reprise, und spätestens da kommen die Zweifel: Wie war das mit der Skizze und der Offenheit? Goebbels Stilleben ist eher mit Plakatfarben ausgemalt. Und wie war das mit dem theatralen Diskurs? „Landscape with man being killed by a snake“ ist ein echter Goebbels, erinnert an andere Werke, an die glücklose Landung oder Schliemanns Radio. Und Goebbels reflektiert damit weniger die documenta als vielmehr sich selbst. Sicher: ein Theatermacher ist keine black-box, in der sich Ausstellungseindrücke umstandslos in Theaterausdrücke verwandeln. Daß aber nicht nur Goebbels, sondern viele der Beteiligten sich autistisch gebärdeten, war angesichts der geschürten Erwartungen doch sehr enttäuschend. Jan Lauwers zeigte mit „Caligula“ einen Ausschnitt eines noch nicht fertig produzierten Stückes, Meg Stuart zeigte eine fix und fertig produzierte Tanz- und Video-Performance; und Christoph Martaler/Anna Viebrock zeigten ein Video ihrer derzeitigen Proben in der Berliner Volksbühne. Das alles hatte mit der ursprünglichen Konzeption der Theaterskizzen nicht viel zu tun und hinterließ – bei allem Vergnügen am Happening – ein wenig das schale Gefühl, daß die meisten Theatermacher die Theaterskizzen nur als Plattform für das eigene Ego genutzt hatten. Der mit Spannung erwartete theatrale Diskurs fand jedenfalls nicht statt, obwohl er für die documenta x erhellend und wichtig gewesen wäre.

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