[…] Paul Hindemiths Begabung und Können lassen sich auch in diesen Partituren erkennen. Die sonderbare Form und der seltsame Inhalt der Dichtungen bedangen besondere Ausdrucksmittel. Die Musik zu Kokoschkas Drama mag man expressionistisch nennen, obgleich der Ausdruck hier wie in der Musik zur Groteske wegen des vielen satztechnisch, polyphon Bedingten wohl nicht ganz paßt.
Kompromiß also auch hier. Die Musik ist der Hauptsache nach modernsten Zuschnittes. Aber das Kakophonische ist nicht auch immer unbedingt ein Sinnloses, bloß und ausschließlich Zusammengeklaubtes. […] Nicht immer zeigt sich Hindemiths erfinderische Kraft stark und originell. Damit ziele ich keineswegs auf die Wagner- und Bizet-Reminiszenzen oder auf Straußische Anklänge, sondern auf Musiksätze seiner eigenen Feder. Einzelnes in beiden Partituren ist von großer Schönheit und Treffsicherheit des Ausdrucks. Anderes läßt diese letztere völlig vermissen.
Der Musik des „Mörders“ fehlt etwas, um überzeugend zu wirken: die Sinnlichkeit des Ausdruckes im engeren Sinne des Wortes. Vermag sie den seelischen Grund manches der Worte und Begriffe vortrefflich und durchaus selbständig auszulegen und weiterzuführen, so versagt sie gegenüber dem Erotischen, Animalistischen, Triebhaften. Versagt auch in bezug auf die dramatische Schlagkraft. Das ist oft, zu oft ein schier endloses Weitermusizieren mit zum Teil nicht gerade glücklich ersonnenen Motiven, das auf die Dauer ermüdet.
In dieser Musik geschieht zu wenig. Die Dichtung Kokoschkas hat das wohl zum Teil mit verursacht. Viel glücklicher erscheint mir im ganzen die Musik der Groteske, die im ganzen einen famosen, frechen Schmiß und nicht minder eine ganz hervorragende kunsttechnische Arbeit aufweist. Aber eines ist in bezug auf größere Partien gerade dieser Partitur doch zu sagen: sollen wir in dem Spiel eine Art von grotesken Märchen sehen, so ist sie doch gar oft zu dick und massig. Ihr gelegentliches Pathos wirkt ernst, wo es als Parodie erscheinen sollte. Das ist ein ästhetischer Fehler, der sich schnell rächt, weil der Hörer hin und her geworfen wird und dabei den Boden verlieren muß.
Möge Hindemith in Zukunft andere Dichter finden und endgültig solchen Experimenten, wie den hier gemachten, fern bleiben […]
W. Nagel, Neue Musik-Zeitung, 42. Jg., 7. Juli 1921