Was für ein einmaliges Erlebnis an diesem Spätsommerwochenende - flanierend von einem musikalischen Schmankerl zum nächsten, konnte man neapolitanischen Klängen, afrikanische Rhythmen aber auch renommierten Ensembles aus dem Alpenraum lauschen. Das alles in Freier Natur, mal unter Bäumen, mal auf einer Terrasse direkt am Starnberger See.
Die Evangelische Akademie in Tutzing mit ihrem prachtvollen Park machte möglich, was sich der engagierte Bürgermeister von Tutzing, Stephan Wanner und der Kulturmanager Markus Lobis aus Südtirol ausgedacht hatten. Das Musikfestival „volXklang“, das einen Trend aufzeigt, der nun schon seit vielen Jahren in den unterschiedlichsten Ausprägungen sichtbar wird: die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, zum Originären und Authentischen. Dazu gehört aber auch der Blick über Grenzen hinweg, die Suche nach Anknüpfungspunkten und Gemeinsamkeiten in fremden Musikkulturen. Die Idee des Festivals gefiel auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mitglied des Kuratoriums der Akademie, die ein Grußwort zur Eröffnung sprach.
Was sind dies nun für Musikerinnen und Musiker, die sich dieser Volksmusik mit X verschrieben haben? Sie setzten sich selbstbewusst mit Traditionen auseinander, reizen künstlerische Mittel konsequent aus und scheuen sich weder vor Tabubruch noch vor musikalischen Grenzgängen durch alle Genres. Den Auftakt des musikalischen Wochenendes machte das Ensemble Aronne Dell’Oro, das mit seinen romantischen Liedern in die Zeit zwischen Renaissance und dem 19. Jahrhundert entführte. Mit zwei Gitarren und Gesang zauberten die beiden Musiker süditalienische Atmosphäre ins aufgebaute Konzertzelt.
Im Anschluss begeisterte das Herbert Pixner Projekt, drei Musiker aus Nord- und Südtirol, die mit ihrer Mischung aus Eigenkompositionen, Volksmusik, Jazz und Weltmusik inzwischen auch die Bühnen außerhalb des Alpenraums erobern. Man nennt ihn auch den Paganini auf der Steirischen Harmonika und das absolut zu recht. Nicht nur hörens- sondern auch sehenswert, wie Herbert Pixner und sein Akkordeon buchstäblich miteinander verschmelzen.
Der nächste Morgen startete bodenständig mit Tanzaufführungen der „Tutzinger Gilde“. Stolz präsentierten sie ihre Fischertracht , so wie sie um 1850 am Starnberger See getragen wurde. Frech und unkonventionell ging‘s weiter mit „Opas Diandl“. Hier toben sich fünf Südtiroler lustvoll auf der Spielwiese der alpenländischen Volksmusik aus und würzen sie dabei mit ganz außergewöhnlichen Ideen, jetzt weiß man welch musikalisches Potenzial in Löffeln, Backformen und Sägen schlummern.
Experimentell exotisch präsentierte sich der bayrisch-sumatranische Gitarrist und Klangforscher Ardhi Engl. Er erfindet, baut und bespielt eigene Instrumente und Klangobjekte auf höchstem Niveau. Verblüffend die Maultrommel, der er Hip-Hop und Rap-Rhythmen entlockt oder sein Stangerlbass - ein Alurohr mit einer Saite - mit dem er ein andalusisches Volkslied anstimmt.
Eine weiteres Highlight waren die vier charmanten und virtuosen jungen Musiker von „Faltenradio“. Die Österreicher, allesamt studierte Klarinettisten, lehren in Wien, Linz und Salzburg und spielen in den renommiertesten Orchestern wie den Wiener Philharmonikern. Mit ihren Klarinetten, Bassetthörnern und Ziehharmonikas führen sie gekonnt inszeniert durch alle Musikrichtungen von Renaissance bis Jazz und beschreiben selbst ihr Spiel als „wild und gefährlich, romantisch und edel“.
Idyllisch unter einer Platane am See lauschte man schließlich noch dem Liedermacher Dominik Plangger. Früher als Straßenmusiker in ganz Europa unterwegs, steht er heute ab und zu mit Konstantin Wecker auf der Bühne, der an den Texten des Südtirolers gefallen gefunden hat. Kritisch erhebt Plangger seine Stimme gegen Krieg und Rassismus und singt für Freiheit und Revolution.
Von Fern mischen sich leise Klänge von Alphörnern unter die Balladen… doch das muss nicht stören und ist irgendwie der besondere Reiz an diesem Tag, der alle Winkel des Parks zum Klingen bringt.
Für Manuela Kerer, der künstlerische Leiterin des Festivals ist die sogenannte „Neue Volksmusik“ das pulsierende Abbild unserer Zeit. „Die Musiker schaffen es, eine Rückwärtsrolle mit einer Vorwärtsrolle zu verbinden und dabei voll und ganz im Jetzt zu stehen. „volXklang“ ist Tradition, Weitblick und Gegenwart verbunden mit Natürlichkeit und Authentizität.“ Dazu passt für sie das Zitat des französischen Politikers Jean Jaurès „Tradition pflegen heißt nicht Asche aufbewahren, sondern Glut am Glühen halten“.
Und dieses neue Interesse an der Volksmusik kennt inzwischen keine Grenzen mehr. Musiker von Miesbach bis zum Ural, von Island bis nach Israel und in die Türkei finden ihre Identität heute in der Volksmusik.
Die Evangelische Akademie, Denkwerkstatt am Starnberger See, sonst für ihre Tagungen, Seminare und wissenschaftliche Kolloquien bekannt, sieht sich auch als Ort für Experimente. In mehr als sechzig Jahren sind von hier zahlreiche Impulse ausgegangen, die in Politik, Gesellschaft und Kultur ihre Wirkung erzielten. So erhofft man es sich nun auch mit dem „volXklang-Musikfestival“- und der begeisterte Besucher sieht einer Fortsetzung im nächsten Jahr erwartungsvoll entgegen.