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Europas kulturelle Vielfalt steht auf dem Spiel

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Das Freihandelsabkommen gefährdet Kultur und Demokratie · Von Monika Grütters
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In dem neuen Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, das derzeit verhandelt wird, die so genannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (engl. Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP), sehen viele Kulturschaffende bedrohliche Auswirkungen auf unser Kulturleben. Im Rahmen der Veranstaltung „Verteidigt die Kultur!“ an der Berliner Akademie der Künste hielt die Staatsminis-terin für Kultur und Medien, Monika Grütters, am 20. Mai eine Rede unter dem Titel „Es geht um die kulturelle Vielfalt“, die wir hier in Auszügen abdrucken.

Deutschland ist das Land mit der höchsten Theaterdichte der Welt, pro Jahr werden zehnmal mehr Besucher in den Museen gezählt als alle Bundesligaspiele zusammen haben. In Deutschland entfällt eine Neuveröffentlichung eines Verlages auf tausend Einwohner, jedes zweite Profiorchester spielt auf deutschem Boden, und in keinem anderen Land gibt es mehr Kulturfestivals als hier bei uns. Ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Kulturpolitik ist darüber hinaus die Erinnerungskultur.

Denn: Unsere Kulturförderung in Deutschland hat auch mit unserer bitteren jüngeren Geschichte zu tun. Sie zieht eine Lehre aus zwei deutschen Diktaturen, die lautet: Kritik und Meinungsfreiheit sind konstitutiv für eine Gesellschaft. Kreative und Intellektuelle sind das kritische Korrektiv dieser Gesellschaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen. Denn: Kultur ist eben keine Handelsware. Deshalb gibt es in Deutschland diese auskömmliche Kulturfinanzierung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affirmativ auftreten können. Öffentliche Kultur- und Medienförderung ist unsere Stärke, in den USA jedoch kaum vorhanden. Wir haben es da mit zwei diametral entgegengesetzten Gesellschaftsmodellen zu tun. Ich denke, wir Europäer haben hier viel zu verlieren und wenig zu gewinnen.

Ich habe neulich ein Gespräch mit dem US-Botschafter geführt. Er bestätigte: In den USA besteht kein Verständnis für starke kulturelle Förderung durch den Staat, sie wird als Protektionismus gesehen. Darum gibt es dort faktisch kaum staatliche Kulturförderung, sondern lediglich ein – zugegebenermaßen großartiges, die Kulturförderung sehr stimulierendes – System der Steuererleichterungen. Die staatliche Privilegierung der Kultur jedoch ist für uns alle Teil des deutschen und europäischen Selbstverständnisses.

Wenn es also um neue Marktmechanismen, um fallende Zollschranken, um mehr Miteinander, um klugen Wettbewerb, um viele neue Arbeitsplätze geht, so ist klar: Die Bundesregierung strebt den Abschluss einer transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft an, die viele Chancen diesseits und jenseits des Atlantiks eröffnen kann.

Das ist unbestritten, und dagegen stelle ich mich auch nicht. Wir treten allerdings jeglicher neuen Liberalisierungsverpflichtung der Kultur entgegen, weil wir Sorge haben, dass anderenfalls unsere einzigartige kulturelle Vielfalt auf dem Spiel stünde. Deutschland ist nicht ohne Grund 2007 dem Unesco-Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt beigetreten. Das war unser Bekenntnis zur besonderen Schutzbedürftigkeit des Kultur- und Medienbereichs. In den Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen, wie auch in dessen Ergebnis, muss das erneut zum Ausdruck kommen.

Gerade durch die medienbeherrschende Stellung der USA fürchten viele EU-Mitgliedsstaaten eine Beeinträchtigung unserer kulturellen Identität. Dies stellt auch eine immense wirtschaftliche Gefahr dar, die deutschen Interessen zuwider läuft, da eine Verdrängung der europäischen Inhalte, Dienstleistungsanbieter und Geschäftsmodelle durch die US-amerikanischen droht. Der Marktanteil an US Filmen in Deutschland beträgt circa 70 Prozent und erreicht in einigen EU-Staaten mehr als 90 Prozent; demgegenüber liegt der Anteil europäischer Filme auf dem US-Markt nur bei circa 7 Prozent.

Generell hat sich das Ungleichgewicht der Handelssituation in den letzten Jahren eher verschlechtert, obwohl die USA ihren audiovisuellen Bereich in hohem Maße liberalisiert haben. Eine Liberalisierung der Video-on-Demand-Dienste könnte dazu führen, dass viele US-Filme online verfügbar wären, bevor sie in Europa in die Kinos kämen. Bisherige Maßnahmen zur Förderung des europäischen Films, wie Fernsehquoten oder die Filmabgabe, stünden ebenfalls in Frage. Hinzu käme die bestehende Vormachtstellung der US-Konzerne im Internet wie Google und Apple, die nicht in unserem Sinn sein kann. Wir dürfen nicht vergessen: Medienmacht ist Meinungsmacht, Datenmonopole sind Deutungsmonopole – so einfach geht manchmal die Gleichung.

Die zu erwartenden problemati-schen Auswirkungen beträfen sehr unterschiedliche Aspekte – von Fragen des Datenschutzes, da in den USA andere Standards gelten, bis hin zu der weiter wachsenden Dominanz von US-Inhalten auf dem europäischen Markt. Darüber hinaus wären Unternehmenskonzentrationen zu erwarten, die dem Pluralismus der Medien in Europa kaum zugute kämen.

Eine Folge des völlig anderen Kulturverständnisses in den USA ist aber – neben konkreten Folgen in einzelnen Branchen – auch ein völlig anderes Verständnis des Urheberrechts. Während wir zuallererst den Urheber im Blick haben, denkt das US-amerikanische Copyright-System vielmehr vom Nutzer her.

Nach unserem Verständnis muss das Grundprinzip des europäischen Urheberrechts unverrückbar fortbestehen, wonach der Urheber insgesamt sowohl mit seinem Persönlichkeitsrecht als auch seinen ökonomischen Rechten im Mittelpunkt steht. Dazu gehört auch das EU-Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, das zum einen die Rechtsaufsicht der Verwertungsgesellschaften regelt und zum anderen die kulturelle und soziale Verantwortung der Verwertungsgesellschaften festlegt. Um das Freihandelsabkommen einmal ins rechte Verhältnis zu rücken, möchte ich darauf hinweisen, dass bei allen bisher abgeschlossenen Freihandelsabkommen der Europäischen Union oder bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und anderen Staaten immer Sonderregelungen für Kultur und Medien vereinbart wurden.

Ich fordere daher: Es dürfen keine weiteren Verpflichtungen aufgenommen werden, als ohnehin in WTO/GATS bereits gelten. Keine neuen Verpflichtungen für Kultur und Medien heißt durchgängige, komplette Ausnahme vom Anwendungsbereich für Audiovision und Aufrechterhaltung aller bisherigen Vorbehalte für den Kulturbereich. Das war bisher üblich – und das ist auch hier so verabredet. Der Verweis auf die Unesco-Konvention ist ein guter Schutzschild. Zusätzlich fordere ich eine Generalklausel, die Maßnahmen zum Schutz der kulturellen Vielfalt und der Meinungsvielfalt in allen Bereichen – auch Telekommunikation oder Urheberrecht – und durchgängig bei allen Kapiteln – auch Investitionsschutz oder regulatorische Zusammenarbeit – ausdrücklich für rechtmäßig erklärt, selbst wenn dem andere Bestimmungen des Abkommens entgegenstehen. Für das US-Ziel der nationalen Sicherheit ist dies in fast allen bestehenden Freihandelsabkommen anerkannt.

Andernfalls sehe ich europäische Errungenschaften und Standards bedroht: Buchpreisbindung, öffentlich finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Verbraucherschutz, Jugendschutz, Datenschutz, Schutz kultureller Vielfalt, Meinungsvielfalt und Urheberrecht. Es wäre ein regelrechtes Fiasko, wenn europäische Kulturförderungen künftig diskriminierungsfrei auch US-Einrichtungen zustünden – und womöglich einklagbar wären.

Ich bin nicht für eine „Wagenburgmentalität“ in Fragen der Kultur, aber eines ist sicher: Das Abkommen ist von großer Tragweite für unsere kulturelle Vielfalt, den Meinungspluralismus und letztlich für den maßgeblichen Wesenszug der Kulturnation Deutschland, für unsere Identität. Selbst wenn sich bei diesem Abkommen auf beiden Seiten Demokratien gegenüberstehen, geht es nicht zuletzt darum, „unser“ europäisches Verständnis von Demokratie zu schützen.

Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien

Die Rede im Original unter: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/05/2014-05-22-rede%2…

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