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Klare Worte kommen von Jörg Evers, dem Präsidenten des Deutschen Komponistenverbandes, zur aktuellen Entscheidung der EU-Kommission im so genannten CISAC-Verfahren: In einem Interview mit der „Musikwoche“ äußert Evers – noch vor der Veröffentlichung des genauen Wortlauts der Entscheidung sowie deren Begründung – erste Einschätzungen zu dem aus Sicht der Urheber katastrophalen Ausgang der Beratungen in Brüssel.
(Das Interview aus der "MusikWoche" Ausgabe 31/2008, 24. Juli 2008)MusikWoche: Wie bewerten Sie die Entscheidung im CISAC-Verfahren?
Jörg Evers: Ausgehend vom bisher verfügbaren Sachstand muss diese Entscheidung als kulturelle und soziale Katastrophe für die europäischen Musikautoren und deren Verwertungsgesellschaften gewertet werden.
MW: Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Evers: Die in der Online-Empfehlung der Binnenmarktkommission von 2005 aus gutem Grund verworfene Option zwei, nämlich der Wettbewerb unter den Verwertungsgesellschaften um die Nutzer mit der zwangsläufigen Folge einer Abwärtsspirale der Vergütungen, wird nun mit der Entscheidung der Wettbewerbskommission unter dem Beifall lobbystarker Sender- und Nutzerkonglomerate, die so auf noch größere Profitmargen hoffen dürfen, tragischerweise weitgehend umgesetzt. Die Verwertungsgesellschaften sollen sich nun im fremden wie auch im eigenen Territorium mit den anderen ausländischen Gesellschaften - die alle das gleiche verfügbare Repertoire im Angebot haben sollen - in den Sektoren Online, Satellitensendung und Kabelweiterleitung um die Lizenznehmer bis zur Selbstzerfleischung balgen. Unter die Räder in diesem rücksichtslos entbrannten Konkurrenzkampf kommen hierbei zwangsläufig zuerst die staatsentlastenden Maßnahmen, welche die jeweiligen Verwertungsgesellschaften bisher in kulturellen und sozialen Bereichen zur Verfügung gestellt haben, was zu einem empfindlichen Aderlass und zu einer Verödung der Musikkultur Europas führen wird. Ferner werden - selbst wenn das Tarifierungs-Prinzip des „Country Of Destination“ weiter gelten sollte – die Vergütungen zu Lasten der Autoren zusätzlich unter Druck geraten, denn im Wettlauf um die Nutzer und um das nackte Überleben werden einzelne Verwertungsgesellschaften mit allen erdenklichen Rabattierungsmodellen versuchen, zusätzliche Mitnahmeeffekte wiederum auf Kosten der Rechteinhaber zu realisieren. Wie die Erfahrung gezeigt hat, kennen einige Verwertungsgesellschaften – besonders jene die über kein eigenes attraktives Repertoire verfügen – keinerlei Skrupel in fremden Territorien zu „wildern“ und jeden Tarif auf Teufel komm raus zu unterbieten, nur um das „Geschäft“ an sich zu ziehen. Die Zeche zahlen wiederum die Urheber.
MW: Wie beurteilen Sie die Argumentation der Wettbewerbskommission?
Evers: Es mutet geradezu als Verhöhnung an, wenn die Europäische Kommission nun behauptet, diese Cisac-Entscheidung wäre „zum Wohle der Autoren“ und „zum Wohle der kulturellen Vielfalt“. Das genaue Gegenteil ist hier der Fall. Das haben insbesondere die europäischen Autorenverbände immer wieder deutlich gemacht. Die Wettbewerbskommission hat es aber nicht für nötig erachtet, die Standpunkte der Autoren – der hauptsächlich Betroffenen – in den entscheidenden Gremien in ausreichendem Maße zu hören, geschweige denn zu berücksichtigen. Mit dieser Kommissionsentscheidung wird das laut Unesco-Konvention schutzwürdige, identitätsstiftende Kulturgut Musik endgültig auf das ausschließlich am Warencharakter orientierte Niveau von Schweinehälften reduziert.
MW: Ist die Entscheidung praktisch wirklich umsetzbar?
Evers: Um diese Frage detailliert beantworten zu können, fehlt derzeit noch der genaue Wortlaut der Entscheidung und ihrer Begründung. Dennoch ergibt sich aus den vorliegenden Verlautbarungen der Kommission hinreichend Anlass zur Befürchtung, dass das Ziel der Kommission, möglichst vielen Verwertungsgesellschaften europaweite Lizenzierungsrechte des verfügbaren europäischen Gesamtrepertoires zu ermöglichen, zu einem undurchschaubaren und administrativ kaum zu bewältigenden Rechtechaos führt.
MW: Mit was für Reaktionen rechnen Sie?
Evers: Die durch die Entscheidung zusätzlich drohende Inflation der Vergütungen wird voraussichtlich zu einem wahren Exodus von Rechteinhabern aus den Verwertungsgesellschaften führen, um – nach dem Vorbild von Pedl und Celas – ihre eigenen Rechte selbst individuell wahrnehmen zu können beziehungsweise wahrnehmen zu lassen. Die dadurch resultierende Fragmentierung und Atomisierung des Lizenzgebermarktes ließe den von der Kommission und der Nutzerkonglomerate als ursprüngliches Ziels angestrebten One-Stop-Shop zunehmend unrealisierbar werden. RTL und Music Choice hätten dann zu früh gejubelt.
MW: Woran krankt Ihrer Meinung nach das System in Brüssel?
Evers: Ich habe den Eindruck, dass die Haltung in Brüssel immer diffuser wird, es scheint keine ausreichende Kommunikation und Abstimmung zwischen den Kommissionen zu geben. Wir haben es mit bis zu fünf Kommissionen zu tun, die teils zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Verwertungsgesellschaften werden infolge dessen in ein schizophrenes Dilemma gestürzt. Es ist unverantwortlich, ein funktionierendes, kulturell so bedeutsames System derart zu demontieren und quasi zu verwüsten, ohne zugleich eine gangbare Lösung anzubieten. Es wäre die vornehmste Aufgabe für Herrn Barroso gewesen, die Kommissionen zu koordinieren. Es kommt mir aber so vor, als seien hier die Zauberlehrlinge losgelassen worden, und die Geister die man rief, wird man nun nicht mehr los.
MW: Wie sehen Sie die Rolle der deutschen Politik?
Evers: Was die Unterstützung der Bundesregierung und des Bundestages angeht, so können sich die Urheber nicht im Geringsten beklagen. Sowohl die Bundeskanzlerin, die Bundesjustizministerin, der Kulturstaatsminister und der Deutsche Bundestag haben diesbezüglich überzeugende Appelle an die Europäische Kommission gerichtet, die jedoch leider auf taube Ohren gestoßen sind. Ich bin gespannt, wie lange sich die nationalen Regierungen und das europäische Parlament solch selbstherrliche Aktionen der Kommissionen noch bieten lassen wollen.
Quelle: http://www.komponistenverband.de