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Halle: Theater der Welt übertrifft Erwartungen - nur Flughafen-Projekt enttäuscht +++ Leipzig: Wolfgang Engel verabschiedet sich vom Leipziger Schauspiel
Leipzig: Wolfgang Engel verabschiedet sich vom Leipziger Schauspiel
Leipzig (ddp-lsc). Der Intendant des Leipziger Schauspielhauses, Wolfgang Engel, hat am Samstag seinen letzten offiziellen Arbeitstag. Am Donnerstag war mit dem «Kaufmann von Venedig» Engels letzte Leipziger Inszenierung auf die Bühne gekommen. Der 64-Jährige, der 1995 die Führung des Leipziger Schauspiels übernommen hatte, werde aber weiter als freier Regisseur arbeiten, sagte eine Sprecherin. Verhandlungen mit den Opernhäusern in Leipzig und Chemnitz liefen bereits. Engel hatte sich vor allem mit seinen Klassiker-Inszenierungen am Leipziger Schauspielhaus einen Namen gemacht.
Engels Nachfolge wird der in Leipzig geborene Schauspieler und Regisseur Sebastian Hartmann übernehmen. Mit ihm wird auch ein fast komplett neues Ensemble in Leipzig spielen. Von den rund 30 Schauspielern hat Hartmann nach Angaben des Theaters nur eine Handvoll übernommen. Auch die gesamte künstlerische Leitung des Hauses wurde ausgetauscht. Hartmann beginnt sein Amt am 18. September mit der Aufführung eines Matthäuspassion-Triptychons.
Halle: Theater der Welt übertrifft Erwartungen - nur Flughafen-Projekt enttäuscht
Das Festival "Theater der Welt" übertrifft seine eigenen Erwartungen: ausgegangen war man von etwa 20.ooo Besuchern, nun besteht Hoffnung, dass es über 50.ooo werden könnten. Lediglich eines der Projekte muss sich mit deutlich weniger Zuschauern begnügen:
Den schönsten Panoramablick im Flughafen Leipzig/Halle haben Erik Göngrich und Stefan Shankland. Sie sitzen in einem Ladenlokal mitten in der gläsernen Mall, die jeder Passagier durchlaufen muss, wenn er zum Flugzeug will. Die beiden Künstler blicken auf Menschen, die mit Rollkoffern vorbeiziehen und in ihre Handys sprechen. Durch das Glas dahinter haben sie Aussicht auf Bäume, Autobahn und den Tower. Göngrich und Shankland haben sich, umgeben von Reisebüros, ein Atelier eingerichtet, in dem sie zum Nachdenken übers Reisen auffordern. «Stay Places» - Bleibeorte - haben sie ihren Laden genannt.
Gemeinsam mit 14 anderen künstlerischen Beiträgen bleiben die beiden noch bis zum Sonntag auf dem Flughafen. Ausflughafensicht heißt dieses Kunstprojekt, das im Rahmen des Festivals Theater der Welt hierher gezogen ist. Zwischen Fluggästen und ein paar versprengten Festivalbesuchern steht Benjamin Foerster-Baldenius, der Organisator des Ganzen, und erklärt den ungewöhnlichen Ort: «Wir sind an den Flughafen gegangen, weil hier die ganzen großen gesellschaftlichen Fragen eigentlich schon vorhanden sind, die man sonst im Theater mühselig auf die Bühne projizieren muss».
Unterhalb der Glasröhre, in der «Stay Places» residiert, ist die Erde aufgewühlt. «Meine Lieben, was ihr jetzt erlebt, ist die Enthüllung eines Symbols, ein steinernes Zeichen für eine Partnerschaft zwischen den Zeiten», ruft Marianne Sonneck in ein Megafon. Die Schauspielerin mit dem deutlichen österreichischen Akzent ist eines von zwei Mitgliedern der Künstlergruppe Club Real. Das zweite heißt Georg Springer und kommt als hunnischer Reiter Hank auf einem Moped an einen Erdwall herangefahren.
In einer frisch ausgehobenen Senke zu Füßen der beiden steht ein Papptor. In der gut zwanzigminütigen Aufführung von Sonneck und Springer erfährt man, dass die beiden auf dem Gelände des Flughafens die Trasse der historischen Salzstraße gefunden haben und dabei auf die römische Porta Tartarica gestoßen sind: Der futuristische Flughafen steht auf historischem Boden lautet ihre Aussage. Jeden Tag arbeiten sie weiter an ihrer fiktiven Ausgrabungsstätte. Bis zum Ende von Ausflughafensicht wollen sie sich durch das Maisfeld gegraben haben, das zwischen dem Flughafen und der Ortschaft Kursdorf liegt.
Weit hinter dem Dorf, wo eine Straße abrupt vor einem Zaun abbricht, haben Göngrich und Shankland Hunderte blau lackierte Europaletten zu einer begehbaren Skulptur aufgeschichtet. Von hier aus hat man einen wunderbaren Ausblick auf den Flughafen, das Dorf und das Rollfeld. Mehrmals am Tag kann man von hier aus hinten am Horizont die Heckflügel von World Airways entdecken. Die private Fluggesellschaft transportiert US-amerikanische Soldaten in die Kriegsgebiete Irak und Afghanistan. Ihre Maschinen machen in Leipzig regelmäßig Zwischenstopps - und natürlich provoziert das künstlerische Auseinandersetzung.
Vier Leipziger Künstler setzten sich auf einem Wandbild und in einer Zeitung mit der militärischen Nutzung des Flughafens auseinander. Beides durfte im Flughafen nicht veröffentlicht werden. Es gelte, ließ die Pressestelle des Flughafens wissen, Unternehmensinteressen zu schützen. Über die Pressekonferenz, auf der das Verbot bekanntgegeben wurde, berichtet Jan Wenzel, einer der Künstler, der Sicherheitsdienst des Flughafens habe zwei Mitglieder der Initiativen für das Nachtflugverbot und der IG Flughafen natofrei regelrecht umstellt: «Das war total absurd.»
Aber selbst diese Kontroverse hat Ausflughafensicht nicht die erhoffte Resonanz gebracht: So wie es dem Dorf an Einwohnern mangelt, fehlen dem Kunstprojekt die Besucher. Ausflughafensicht-Macher Foerster-Baldenius sagt: «Wir scheinen dann doch zu sehr fernab zu liegen.» Gemeinsam mit seiner Partnerin Cora Hegewald steht er nun jeden Nachmittag um drei persönlich vor der Festivalresidenz in Halle und lädt Besucher ein, einfach mit rauszufahren auf den Flughafen.
In Halle selbst steuert Theater der Welt mit voraussichtlich mehr als 50 000 Besuchern einem neuen Rekord in der Festivalgeschichte entgegen. Mit Blick auf den geringen Zuspruch am Flughafen spricht der künstlerische Festivalleiter Torsten Maß von einem «hochinteressanten, aber falschen Konzept» bei Ausflughafensicht: «Das wäre was für Berlin gewesen. In der Schule hätte man gesagt: Thema verfehlt.»
Robert Schimke