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Dramaturgen diskutieren über Theater in der beschleunigten Gesellschaft

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Die Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft, die vom 31.1. bis 3.2.2008 am Thalia Theater Hamburg stattfand, ist erfolgreich zu Ende gegangen. Mehr als 250 Dramaturgen, Theatermacher aus unterschiedlichen Sparten und Berufszweigen, Theaterwissenschaftler und weitere hochrangige Experten verschiedener geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen diskutierten zum Thema „Geteilte Zeit – Theater zwischen Entschleunigungsoase und Produktionsmaschine“.

In Vorträgen und Tischreden wurde die Dimension Zeit aus philosophischer, soziologischer, physikalischer und wahrnehmungspsychologischer Perspektive untersucht, bevor in Theaterfachgesprächen das Thema im Hinblick auf seine ästhetische und institutionelle Relevanz beleuchtet wurde. Waren die Vormittage den theoretischen Auseinandersetzungen vorbehalten, wurde an den Nachmittagen in Workshops von Theatermachern, Performern und Studenten theaterwissenschaftlicher Institute anhand von Beispielen die theaterästhetische Bedeutung von Zeit praktisch vorgestellt und erprobt. Zu der kreativen Arbeitsatmosphäre während der Tagung trugen vielfältige neue Veranstaltungsformate bei, wie simultane Tischreden in einem gemeinsamen Raum, inszenierte Präsentationen und eine abschließende Meditationsübung aller Tagungsteilnehmer.

Als Fazit des Symposions wird hervorgehoben, dass die ästhetische Auseinandersetzung mit der vierten Dimension Zeit einen zentralen politischen Aspekt zeitgenössischen Theaters darstellt, wenn z.B. durch Vermittlung einer besonderen Zeiterfahrung gewohnte Wahrnehmungsprozesse außer Kraft gesetzt und zum Gegenstand kritischer Reflexion werden oder im Durchbrechen von Aufführungsroutinen ein alternativer Umgang mit gesellschaftlichen Zeitstrukturen aufgezeigt wird.

Das Theater ist in seiner Zeitbezogenzeit aber nicht nur Gegenwelt, sondern auch Spiegel der Gesellschaft. Tendenzen wie sinkende Zeitbudgets, permanenter Innovationszwang oder Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit machen sich auch im Theater bemerkbar und lassen künstlerische Prozesse von einem zunehmenden Effizienzdenken nicht unberührt. Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie Individualisierung, Flexibilisierung der Arbeitszeiten und die Prämissen des Informationszeitalters führen zu einem modifizierten Zeitnutzungsverhaltens des Publikums und haben Konsequenzen für die Inhalte und Angebotsformen der Theater.

Bei der Abschlussdiskussion mit den Intendanten Frank Baumbauer, Holk Freytag und Peter Spuhler, dem Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin sowie dem Chefdramaturgen des Staatsschauspiels Stuttgart Jörg Bochow wurden diese Zwänge problematisiert und daraus u.a. folgende Aufgaben und Forderungen abgeleitet: Die Selbstverantwortung der Theaterleiter im Sinne der Bewahrung künstlerischer Freiräume und für die Reflexion der Produktionsprozesse und -strukturen ist von substantieller Bedeutung für die künstlerische Gestaltung und Vermittlung von Erfahrungen für das Publikum und ist deshalb konsequent wahrzunehmen. Der Tendenz von Kulturpolitikern und politischen Rechtsträgern, die Direktion von Theatern an Manager statt an künstlerisch eigenverantwortliche, mit langfristiger Planungssicherheit ausgestattete Intendanten zu übertragen, gilt es entschieden entgegenzuwirken. Außerdem wurde die Gefahr benannt, dass durch die Deckelung bzw. Kürzung von Haushaltsbudgets nicht nur kleinerer Theater die Umverteilung von Arbeitsaufgaben auf immer weniger Stellen erfolgt, um das Spielplanangebot weiterhin aufrechterhalten zu können. Das hat die Auszehrung künstlerischer Ressourcen zur Folge und stellt das Theater als Ort für alternative Raum-Zeit-Erfahrungen letztendlich infrage.

Auffällig war die hohe Beteiligung von jüngeren Theatermachern und Theaterinteressierten an der Jahrestagung, die von dem Engagement der Dramaturgischen Gesellschaft für den Nachwuchs und eine breite, öffentlichkeitswirksame Debatte zeugt. Die Erhöhung der Mitgliederzahlen seit der letzten Tagung in Heidelberg um 150 Mitglieder, was einer Steigerung der Gesamtmitgliederzahl um 50 Prozent entspricht, sowie die begeisterten Rückmeldungen zu der Tagung in Hamburg, wie zuvor schon in Heidelberg, zeigen deutlich die positive Resonanz, die die Arbeit der Dramaturgischen Gesellschaft findet.

Hervorzuheben ist, dass neben dem Thalia Theater Hamburg eine Reihe weiterer Kulturinstitutionen bzw. künstlerischer Ausbildungseinrichtungen der Hansestadt wie das Schauspielhaus Hamburg, die Theaterakademie Hamburg und die Hochschule für bildende Kunst Hamburg in die Ausgestaltung des Symposions einbezogen werden konnte. Mit ihrem Grußwort an die Tagungsteilnehmer unterstrich die Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck diese gelungene Integration des Symposions in die kulturelle Infrastruktur der Hansestadt.

Das Symposion 2008 wurde unterstützt vom Thalia Theater Hamburg sowie der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Deutschen Bühnenverein und seinem Landesverband Nord und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Die nächste Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft findet voraussichtlich Ende Januar 2009 in Erlangen statt. Gastgeber werden dann das Theater Erlangen und das Theaterwissenschaftliche Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sein.


Quelle: http://www.dramaturgische-gesellschaft.de/