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Der Streit um Brechts «Dreigroschenoper» - Heute findet in Greifswald die Hörspiel-Uraufführung über den Skandal am Stadttheater im Jahre 1928
Greifswald (ddp-nrd). Greifswald im Jahr 1928: Die Stadt ist gespalten. Einerseits versteht sich die Universitätsstadt als liberales Pflaster. Andererseits ist der Geist der Bürgerschaft konservativ bis national. Am Stadttheater wird Bertolt Brechts «Dreigroschenoper» aufgeführt, die gerade erst in Berlin ihre Uraufführung feierte. Das Stück, in dem Bettler, Huren und Räuber auftreten und das die bürgerlich-kapitalistische Welt der Weimarer Republik mit Spott und Satire kritisiert, gerät ins Kreuzfeuer der politischen Auseinandersetzung. Es wird schon nach einer Vorführung abgesetzt.
Der Skandal bringt das noch junge Theater in die Schlagzeilen. «Deutschlands reaktionärste Universitätsstadt Greifswald blamiert sich bis auf die Knochen», schreibt die «Leipziger Volkszeitung». In Berlin erfährt der 22-jährige Wolfgang Koeppen von den Ereignissen in seiner Heimatstadt. In einem Brief nach Hause bittet der angehende Journalist einen Freund um Details.
76 Jahre später, der Romancier Koeppen ist schon acht Jahre tot, fällt jener Brief Jan Decker in die Hände. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Greifswalder Koeppen-Archiv sichtet er den Nachlass des Schriftstellers und wird neugierig. Im Stadtarchiv wird er fündig. «Ich entdeckte eine ganze Mappe mit Amtsschreiben und Presseartikeln über den Theaterskandal», erinnert sich Decker, der heute am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert. In monatelanger Recherche rekonstruiert er die damaligen Ereignisse. Schließlich reift in dem 27-Jährigen die Idee, aus dem Stoff ein Hörspiel zu machen.
Am Dienstag wird das Stück mit dem Titel «er.ich» in Greifswald uraufgeführt. Zum 90-jährigen Jubiläum des Theaters Vorpommern haben Schauspieler wie Christian Holm und Hannes Rittig die Texte eingelesen und zu einem spannenden Krimi-Hörspiel auf CD gebrannt. Erzählt wird die Geschichte der beiden Koeppen-Freunde Jupp und Erich, die dem Skandalstück aus Berlin entgegenfiebern. Doch noch vor der Premiere in Greifswald wird Jupp, der im Jazzorchester der «Dreigroschenoper» spielt, ermordet.
Dass es seinerzeit tatsächlich zu einem Mord kam, sei fiktiv, sagt Autor Decker. Doch was die Chronologie der Ereignisse betrifft, habe er sich streng an die Fakten gehalten. Decker erinnert an den Theatergründer und damaligen Intendanten Emanuel Voß, der das Brecht-Stück nach Greifswald holte. Er berichtet von den Interventionen der deutsch-nationalen Volkspartei, die schließlich die Streichung der Oper vom Spielplan durchsetzte. Und er lässt den Feuilletonisten Hans Kloetzel vom «Berliner Tageblatt» nach Greifswald reisen, wo er mit Unterstützung Koeppens Licht in die Vorfälle bringt.
Das Hörspiel ist die erste große Eigenproduktion des Studentenradios «radio 98eins», das erst im Januar in Greifswald auf Sendung ging. Nach einer weiteren Aufführung im Geburtshaus von Koeppen werde das Stück im November ausgestrahlt, sagt Chefredakteur Philipp Dreesen. Zur Uraufführung am Dienstag (20.00 Uhr) auf der Probebühne im Greifswalder Theater wird Autor Decker über seine Recherchen berichten.
Ralph Sommer