Banner Full-Size

Abschied von den alten didaktischen Strategien

Untertitel
Konzerte für Kinder in der Diskussion – Dokumentation eines „taktlos“-Gesprächs beim Kongress in Weikersheim
Publikationsdatum
Body

Am Eröffnungsabend traf bei „taktlos“, dem Musikmagazin des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung, eine Expertenrunde zu einer Diskussion zusammen, die wir in Auszügen dokumentieren. Die Teilnehmer waren Ilona Schmiel (Geschäftsführerin der „Glocke Veranstaltungs GmbH Bremen“), Barbara Stiller (Projektleiterin der „Initiative Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Musicales Deutschland), Prof. Klaus-Ernst Behne (Präsident der Hochschule für Musik und Theater Hannover), die Musiker Heinz Friedl und Christian Mattick von der Projektgruppe „Musik zum Anfassen“ sowie als Moderator nmz-Herausgeber Theo Geißler.

Am Eröffnungsabend traf bei „taktlos“, dem Musikmagazin des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung, eine Expertenrunde zu einer Diskussion zusammen, die wir in Auszügen dokumentieren. Die Teilnehmer waren Ilona Schmiel (Geschäftsführerin der „Glocke Veranstaltungs GmbH Bremen“), Barbara Stiller (Projektleiterin der „Initiative Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Musicales Deutschland), Prof. Klaus-Ernst Behne (Präsident der Hochschule für Musik und Theater Hannover), die Musiker Heinz Friedl und Christian Mattick von der Projektgruppe „Musik zum Anfassen“ sowie als Moderator nmz-Herausgeber Theo Geißler.Theo Geißler: Konzerte für Kinder – das wird oft genug noch identifiziert mit „Peter und der Wolf“ oder „Young Person’s Guide to the Orchestra“, aber das kann doch nicht alles gewesen sein. Was macht heutzutage ein gutes Kinderkonzert aus?

Barbara Stiller: Konzerte für Kinder sind sicherlich dann gut und gelungen, wenn sich die Kinder wirklich berührt fühlen, wenn es für sie ein Erlebnis ist und wenn sie sich auch emotional an eine Gesamtszenerie angebunden fühlen.

Klaus-Ernst Behne: Man muss auch sagen, dass die „Hits“ der Kinderkonzerte durchaus ihre Vorzüge haben. Es ist mehr, dass sie für Erwachsene, Musiklehrer oder Medienmacher abgenutzt sind, aber nicht für den Sechs- oder Achtjährigen. Insofern würde ich sie nicht verbannen. Ich würde aber auf der anderen Seite auch versuchen, in stärkerem Maße zeitgenössische Komponisten zu gewinnen, um das Repertoire zu vergrößern.

Ilona Schmiel: Wenn Sie ein Haus leiten und sehen, dass das Durchschnittsalter Ihres Publikums im klassischen Bereich bei mindestens 56 Jahren liegt, dann machen Sie sich schon Gedanken, welche Mittel es gibt, dagegen zu wirken. Wir haben anders angefangen und haben das Haus für das Publikum geöffnet: Wir führen durch das Konzerthaus, zeigen, welche Arbeitsbereiche es gibt, wie es hinter der Bühne aussieht, und dann bringen wir die Besucher erst zur Musik.

Heinz Friedl: Wir gehen im Prinzip von einer ganz anderen Seite aus. Wir sagen, die Kinder sollen die Musik machen. Sie sollen selbst entscheiden, welche Musik sie mit uns entwickeln wollen, damit sind die Kinder insgesamt wesentlich aktiver, auch beim Zuhören.

: Ich glaube gar nicht, dass die Auswahl der Stücke wichtig ist. Man kann im Grunde genommen jede Musik in Konzerten für Kinder unterbringen. Wichtig ist der Raum, dass man auch an Orte geht, die dafür untypisch sind, und wichtig ist, dass man das Verhältnis Podium – Gestühl – Musiker – Publikum aufbricht, indem man die Kinder in die Musik einbringt oder die Musiker zu den Kindern bringt. Das ist viel entscheidender. Dann können Sie im Grunde mit jeder Musik Konzerte machen.

Christian Mattick: Wir haben in unserer Reihe auch eine Erfahrung von Seiten der Musiker gemacht, dass gerade die klassischen Musiker kein Gefühl dafür haben oder keine Notwendigkeit darin sehen, ihre Musik zu vermitteln. Sie stehen oft da und sagen, „Klassik ist gut, es ist von Hause aus so, jeder weiß es, es ist Hochkultur, wir brauchen uns nicht erklären!“ Das merkt man, wenn man mit Kindern zu tun hat. Es ist sehr wohl notwendig und Kinder reagieren sofort, wenn es nicht interessant wird. Da spielt der Raum, da spielt alles mögliche eine Rolle...

: Ich möchte aber erst einmal bei der Musik selbst bleiben. Es gibt ja ausgesprochen pädagogische Musik...
: Das sind dann Werke, die sozusagen die didaktische Strategie in der Partitur drin haben. Und die Partitur sagt: hier kannst du das und das machen. Aber die meisten Stücke, die es sozusagen im Kanon der Kinderkonzerte gibt, sind weit vor 1950 entstanden, weit vor dem Rock‘n‘Roll, und ich denke, dass diese Strategie, die 1920/30 einkomponiert worden ist, heute nicht mehr hilft. : Ich glaube, dass man das, was einem selbst am Herzen liegt, am besten vermitteln kann. Und wenn jetzt jemand hingeht und sagt, er muss jetzt in der Schule Popmusik vermitteln, aber er hängt dieser Musik nicht an, dann kann er es nicht vermitteln.
: Wie kommt Martin Hufners Kritik hier bei der Jeunesses Musicales an? (Siehe seinen Beitrag auf S. 55
: Da ist wohl insofern etwas missverstanden worden, als die Jeunesses Musicales mit der „Initiative Konzerte für Kinder“ mit Sicherheit nicht das alleinige Ziel verfolgt, dass die Kinder in 20 Jahren Abonnenten irgendwelcher wichtiger Konzerte werden oder ein Instrument lernen müssen, sondern dass die Kinder heutzutage Erlebnisse haben. Wir freuen uns genauso, wenn sie einfach von dem Erlebnis als solchem begeistert sind, wenn sie vielleicht hinterher in einen Chor gehen oder vielleicht passionierte CD-Sammler werden. : Herr Hufner hat eigentlich nur etwas beschrieben, was als Missbrauch nicht passieren darf. Denn es geht wirklich nicht darum, dass die Leute in zwanzig oder dreißig Jahren eine bestimmte Konzertkarte kaufen oder eine bestimmte CD kaufen. Es geht eigentlich darum, dass man über musikalische Anregungen in der Altersspanne vier bis acht Handlungskompetenz vermittelt an die nächste Generation. Handlungskompetenz kann heißen, dass ich in einen Chor gehe, dass ich ein Instrument spiele und dass ich einigermaßen selbstbestimmt entscheide, welche CD ich mir kaufe. : Es geht doch überhaupt nicht darum, ob jemand in 20 Jahren das Thema „Abo“ überhaupt noch diskutiert. Ich gehe davon aus, dass es in 20 Jahren kein Abo mehr geben wird und CDs auch nicht in diesem Umfang. Das Wichtigste ist, dass ein junger Mensch, egal welchen Alters, überhaupt in eine Live-Konzertsituation kommt. Wenn dieses Erlebnis dann positiv ist und gut präsentiert wird, dann ergibt sich die andere Kette vielleicht von alleine. : Aber es heißt natürlich auch, dass wir in Zukunft – wenn Kollegen Kinderkonzerte planen – in die Situation kommen können, einen Sponsor zu suchen. Und Sponsoren denken natürlich an das, was in ein oder zwei Jahrzehnten sein wird. Insofern kann ich mir vorstellen, dass Organisatoren von Kinderkonzerten hier in eine zwiespältige Situation kommen können. : Könnte sein. Meine Erfahrungen mit Sponsoren diesbezüglich sind allerdings komplett anders. Sie denken an das Erlebnis, das sie ihren Kunden, ihren Mitarbeitern vermitteln, an das Image ihrer Firma, aber sie denken derzeit nicht über zehn Jahre hinweg. Dieses Handicap sollte man sich gar nicht so hoch setzen.
: Aber es sieht im Moment fast so aus, als gäbe es einen Boom. Es gibt „Hauptsache: Musik“, es gibt Aktionen, die heißen „Let’s make music“ und werden von der Musikindustrie gefördert. Alle mit dem guten Ziel, Musik bewusst zu machen, aber alle auch relativ wirkungslos.
: Auch sehr zielgerichtet, und das ist wohl das größte Problem. Da wird gefördert, um etwas Bestimmtes zu erreichen. : Trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, auch da die gute Absicht hinter der Aktion zu sehen. Ich finde es ganz wichtig, Kooperationen einzugehen, Netzwerke zu schaffen unter Anbietern von Konzerten für Kinder, die bislang überhaupt noch nicht vernetzt denken. : Wir reden im Moment eigentlich über eine sehr konservative Form von Konzert – , sowohl im „normalen“ Konzertbetrieb für Erwachsene als auch in dem für Kinder ist es sehr wichtig auch darüber nachzudenken, wie man diese Form einmal aufbricht. : Frau Schmiel hat es ja vorhin schon angesprochen. Der Boden der klassischen Konzertkultur ist im Durchschnitt 60 Jahre alt. Das hat mit irgendwelchen Kindern nichts zu tun. Und die Leute, die diese Sachen machen, die machen sich Gedanken darüber, aber eigentlich müssen die Kinder das machen. Die wissen, was ihnen gefällt, was sie brauchen.
: Aber die Kinder haben ja, Gott sei Dank, noch nicht diese festgefahrenen Strukturen. Erziehend helfen wird man ihnen aber müssen, darum kann man sich nicht drücken.
: Aber nicht in unserer herkömmlichen Pädagogik, die immer sehr zielgerichtet ist, um ein Instrument zu lernen, um die Tonarten zu können, um verstehen zu können, wer ein Tschaikowsky ist. Das ist alles viel zu eng und ist auch nicht kindlich. Kinder denken eben nicht in solchen Schemata, sondern sie denken: Was ist spannend, was interessiert mich, was kann ich selber machen?
: Das heißt, unsere existierenden Strukturen – ich denke da an die ganzen Musikverbände, aber auch an die bildungspolitischen Konfigurationen – das sind alles untaugliche Instrumente für eine Vorbereitung auf eine angemessene Beschäftigung mit neuen Konzertformen für Kinder. Da sind augenscheinlich ein paar Fehler gemacht worden in früherer Zeit.
: Es ist sicherlich so, dass die bundesdeutschen Musikhochschulen überhaupt noch nicht darauf reagiert haben, dass an dieser Stelle etwas passieren muss. Ob man dafür Studiengänge einrichten muss oder ob man sich darauf konzentriert, an den einzelnen Hochschulen in bestimmten Studiengängen Workshops und dergleichen zu etablieren, das muss man sehen. Aber ich glaube, das Bewusstsein, dass da etwas jetzt im Moment geschehen muss, das ist eigentlich überall vorhanden.
: Wo findet man da den kompetenten Partner?
: Es gibt Möglichkeiten, Konzerthäuser zum Beispiel mit Hochschulen zu vernetzen. Wir haben in Bremen Familienkonzerte unter Teilnahme der Studenten der Hochschule der Künste in Bremen durchgeführt, die fanden auch im Konzerthaus statt. Ebenso haben wir Konzerte mit der Musikschule veranstaltet und arbeiten mit den beiden Orches-tern am Ort zusammen. Für viele Musiker ist es neu, sich in dieses Feld zu begeben. Aber da ist es einfach unsere Aufgabe, zu helfen und die Initiative zu ergreifen.
: Muss es denn so einen großen Unterschied geben zwischen Konzerten für Kinder und normalen Konzerten? Ich glaube, das hat dann auch sofort eine ganze Menge mit den Utopien zu tun, die wir jetzt vielleicht gemeinsam entwickeln könnten.
: Wenn man über Kinderkonzerte spricht, muss man aber natürlich auch über Erwachsenenkonzerte sprechen. Und diejenigen, die heute als Kind solche Konzerte hören, sitzen in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren im normalen Erwachsenenpublikum. Sie haben dann aber andere Hörgewohnheiten als die Generation zuvor. Insofern gehe ich schon davon aus, dass dieser Impetus, sich mit Kinderkonzerten intensiver zu beschäftigen, lang-fristig altersmäßig auch nach oben wachsen wird. So wie wir das heute gesehen haben in diesem musikpraktischen Beitrag, dass man mit Kindern experimentieren sollte, was die Musik betrifft, muss man auch experimentieren, was die Darbietungsform betrifft. : Doch für mich stellt sich die Frage, wer diese Impulse geben soll. Denn wenn ich mir diese ganze Hochschul- und Orchesterlandschaft anschaue, da sehe ich weit und breit nichts, was sich auch nur einen Millimeter in diese Richtung bewegt. Der bayerische Hauptschullehrplan hat im letzten Jahr „Erkundung von Geräuschen“ aufgenommen – bloß: Die Lehrer haben keine Ahnung, was sie damit anstellen sollen! : Aber ich denke, an den einzelnen Hochschulen gibt es durchaus Ansätze, dass bestimmte Kollegen sich einen Partner im Haus oder außerhalb des Hauses suchen, wenn es ein Konzertveranstalter ist, und experimentieren. Wir machen bei uns auch Konzerte, die sozusagen nicht im normalen Kanon stehen. Es gibt aber, das muss man durchaus sagen, Widerstände in jeder Musikhochschule und man möchte natürlich ganz gerne bei dem vertrauten Konzertritual bleiben. Das ist richtig. : Diese Widerstände verstehe ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Wir machen diesen Kongress „Neue Wege für junge Ohren“ unter anderem deswegen international mit einer großen Beteiligung, weil in anderen Ländern diese Themen Musikvermittlung für Kinder oder Konzertvermittlung mittlerweile längst mit großem Erfolg als Aufbaustudium in die Ausbildungszweige an den künstlerischen Musikhochschulen gedrungen ist, nämlich vorwiegend in England und den USA, von daher würde ich appellieren, in Deutschland so etwas auch anzudenken. : Es ist aber auch Aufgabe der jetzigen und künftigen Veranstalter und somit auch der Konzerthäuser. Solange wir überhaupt noch gewisse Subventionen bekommen, meine ich, dass wir gerade diesen Bereich sehr stark fördern sollten. Dann können wir uns auch Experimente, von der Hochschule, von diversen anderen Musikgruppen oder Orchestern, leis-ten. Es gibt eigentlich keine Widerstände. Wir müssen nur anfangen! : Wenn man neue Formen entwickelt, ist es mit Kindern sehr viel einfacher. Wenn man die Hörer mit in das Geschehen einbezieht, sind Kinder sehr viel direkter als Erwachsene, die völlig festgelegt sind, was sie gut und schlecht finden. Welche Formen dabei entstehen, können wir abwarten. Ich glaube, es entsteht einfach etwas Neues, weil das Alte ausstirbt. : Ich muss Frau Schmiel noch kurz widersprechen: „Solange die Mittel noch da sind und wir es uns leisten können“... Ich glaube, es muss wirklich ein Wechsel der Herangehensweise sein, nicht so lange wir es uns leis-ten können, sondern einfach: Das ist es, was unbedingt sein muss, das steht an allererster Stelle! : Dann habe ich mich falsch ausgedrückt. Wir haben für diesen Bereich keine Mittel, sondern akquirieren dafür Sponsorengelder. Lediglich die Frage bleibt bestehen, wo wir die Kinder abholen: Kommen wir in die Schule oder holen wir sie ins Konzerthaus und gehen mit anderen Präsentationsformen auf sie zu. Da Kinder nicht alleine ins Konzert gehen, brauchen wir auch deren Elterngeneration. Die 35- bis 40-Jährigen sitzen bei uns auch nicht im Konzert. Insofern ist auch die Frage, wie wir diese Gruppe dazu bekommen, eine entscheidende.
: Trotzdem: Machen wir es uns da nicht ein wenig zu leicht? Die Kinder wollen abgeholt werden, sollen abgeholt werden, dazu gehört Kompetenz. Wo lernen Lehrer, Pädagogen diese Kompetenz?
: Die Musiklehramtsstudiengänge beinhalten eigentlich eine ganze Menge.
: Da haben wir gerade Grausames darüber gehört.
: Nein, das stimmt nicht. Wir hatten bei uns gerade im letzten Se-mester ein Seminar über Kinderkonzerte, dann gab es auch ein Konzert mit wirklich großer Resonanz. Aber ich will nicht bestreiten, dass es dies öfters geben könnte und sollte.
: Barbara Stiller, ein Wunsch, wie Sie sich den weiteren Kongress vorstellen. Was soll noch passieren?
: Ich würde mir wünschen, dass wir von den vielen Ideen, die quasi aus aller Welt hier zusammenlaufen, profitieren, andererseits aber in Deutschland nicht das Gefühl haben, in der Diaspora zu leben. Auch hier gibt es wirklich gute, musikästhetisch überzeugende Angebote und vielleicht können wir von der Struktur anderer bildungspolitischer Systeme bei diesem Kongress einiges lernen. : Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nicht alle Utopien umsetzen kann, weil eine Musikhochschule einem Tanker vergleichbar ist – einem großen schweren Schiff, das sich sehr langsam bewegt. Aber ich habe versucht, an einigen Stellen ein wenig zu bewegen.
Und wenn das Nachahmer findet, dann wäre ich schon sehr zufrieden. Ich habe manchmal die Utopie, dass es mehr Konzerte gäbe, in denen ganz heterogene Musikstile sozusagen aufgebrochen nebeneinander stehen. Nicht nur Lachenmann neben Brahms, sondern wirklich auch Heavy Metal...

Die vollständige Sendung ist im Internet zu hören unter: www.nmz.de/taktlos

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!