Theo Geißler, Herausgeber der nmz, traf Michael Haentjes, den Vorsitzenden der Deutschen Phonoverbände, zum Gespräch. Mit Haentjes, dem Gründer der edel music AG, vertritt erstmals ein Independent-Unternehmer die Interessen der gesamten Phonowirtschaft.
Theo Geißler: Herr Haentjes, vom Musikwissenschaftler zum Millionär. War es Glück, war es Können, waren es spezielle Situationen oder Fähigkeiten?
Michael Haentjes: Spezielle Situationen, die dafür gesorgt haben, dass ich spezielle Fähigkeiten entwickeln musste. Vieles von dem, was sich in meiner persönlichen beruflichen Laufbahn entwickelt hat, kam beiläufig. Ich habe teilweise erst mit der Zeit festgestellt, auf was für Wegen ich mich befinde.
Geißler: Von der meistens als trocken verschrienen Musikwissenschaft in die Praxis, den harten Kommerz – das ist ja kein üblicher Berufsweg.
: Nein, das ist kein üblicher Berufsweg, obwohl ich den einen oder anderen Musikwissenschaftler auch im Kommerzbereich der Musikbranche getroffen habe. Das Studium der Musikwissenschaft war ja nicht in irgendeiner Art und Weise berufsqualifizierend, sondern es war im Wesentlichen zur Pflege des akademischen Nachwuchses bestimmt. Das habe ich nach einer Zeit festgestellt und auch, dass das vielleicht nicht das Optimale für mich ist. Ich habe immer eine Uraffinität zu Geld gehabt. Also habe ich schon sehr frühzeitig mein erstes Label aufgemacht, 1979 zusammen mit einem Partner. Da war ich 23 Jahre alt und habe noch studiert.
Geißler: Edel war bei seiner Gründung zunächst eine One-Man-Show. Wie kam es zur Explosion?
: Das hat noch eine ganze Zeit gedauert. Die Firma habe ich 1985 gegründet und am 16. März 1986 den ersten Umsatz fakturiert, sie war als Versandhandelsgeschäft für ein Nischenrepertoire gedacht. Ich wollte eine Nische nach der anderen abarbeiten, meine erste Nische war die Filmmusik. Das hat gut funktioniert, im Gegensatz zu anderen Nischen, die sich nicht bewährt haben. Ich habe festgestellt, dass man damit zwar gut über die Runden kommt, aber keine Sprünge machen kann und habe mich gefragt, womit man Sprünge machen kann. Deshalb haben wir uns von der Filmmusik abgewendet.
Geißler: Sie bezeichnen edel-Musik immer noch als Indie. Was unterscheidet es denn noch von einem Major?
: Die Größe ist ein Unterschied. Wir sind ja ganz klein im Vergleich zu Majors und weit entfernt vom Milliardenkonzern. Wir hatten einmal den Plan, ein Milliardenkonzern zu werden, in einem Jahr haben wir auch mal über eine Milliarde Deutsche Mark Umsatz gemacht. Das ist aber lange her, heute sind wir ein Mittelständler, eine kleine Firma mit 180 Millionen Euro Umsatz. Im Vergleich zum Major ist das sehr, sehr klein. Wir sind vielleicht trotzdem der größte europäische Independent, aber nicht mehr ausschließlich in dem Sinne einer Musikfirma. Wir haben auch einen starken Dienstleistungsanteil außerhalb des Musikgeschäftes.
Geißler: In Cannes haben Sie auf der MIDEM den Satz gesagt: Wir entwickeln eigentlich keine Künstler mehr, das überlassen wir den Majors.
: Wir überlassen es den anderen, nicht nur den Majors, sondern auch den vielen Independents, die dazu in der Lage sind und ihr Ziel teilweise unter hohem persönlichen Einsatz verfolgen. Die Majors haben internationale Netzwerke, sie sind eher in der Lage, die Kosten, die in der Künstlerentwicklung entstehen, zu amortisieren. Man braucht wirklich große Netzwerke, um einen Ausgleich zum hohen Risiko herzustellen. Uns ist das eine Zeit lang ohne Netzwerk gelungen, Mitte der 90er-Jahre haben wir eine Menge Künstler im stark kommerziell geprägten Bereich entwickelt. Aber dann haben wir das nicht mehr geschafft und wir sind als börsenorientierte Aktiengesellschaft den Aktionären gegenüber verpflichtet, auch dem Hauptaktionär gegenüber …
Geißler: …, der Sie sind.
: Wir haben beschlossen, dafür zu sorgen, dass wir ordentliches Geld verdienen und offensichtlich sind wir aufgrund unserer Struktur und unserer möglicherweise falschen Aufstellung nicht in der Lage, im Künstler, entwicklungsgeschäft tätig zu sein. Das hängt auch mit den Rahmenbedingungen des gesamten Musikgeschäftes zusammen, die deutlich schlechter geworden sind. Das sorgt natürlich dafür, dass das Entwicklungsbudget zusammenschrumpft und nicht nur wir, sondern auch die meisten Major-Companys weniger Geld für die Förderung neuer Talente zur Verfügung haben. Wer es sich erlauben kann, etwas künstlerisch Interessantes zu machen, den kann ich dazu nur beglückwünschen. Wir können das nicht.
Geißler: War dieser materielle Einbruch im Musikgeschäft der Grund dafür, dass die Majors den Vorsitz der Phonoverbände einem Indie überlassen haben, oder erachten sie den deutschen Markt inzwischen als uninteressant?
: Dazu müssen Sie die Majors befragen. Das politische Gewicht, das wir als Verband haben, kommt auch durch die vielen Mittelständler, die wir am Ende vertreten, zustande. Es ist natürlich gut, wenn dieses Gewicht auch durch ein entsprechendes Gesicht vertreten ist. Wir sind zwar eine von den Majors geprägte Branche, aber hunderte von Kleinbetrieben, die für die Gesamtbranche sehr wichtig sind, kann ich vielleicht besser vertreten als ein Major.
Geißler: Im aktuellen Handbuch werden im Vorwort zum ersten Mal bildungspolitische, ökologische und wirtschaftspolitische Positionen ganz deutlich formuliert. Das fällt zusammen mit Ihrem Amtsantritt.
: Das hängt mit meinem Amtsantritt zusammen und entspringt im Wesentlichen meinen Überzeugungen. Ich habe den Kollegen im Vorstand sowohl vor als auch nach meiner Wahl gesagt, welche Richtung ich als die richtige empfinde. Das hat Unterstützung gefunden, von der ich natürlich Gebrauch mache. Ich war viele Jahre lang kein politischer Mensch. Einer der Gründe, warum ich gerne angetreten bin, ist, dass ich glaube, der Branche und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu müssen, was ich an Gutem selber erfahren habe. Damit bin ich deutlich politischer geworden und zeige, dass wir nicht nur Umsatzmacher und Ergebnisbringer für die Anteilseigner sind, sondern dass wir mit der Ware Musik eine hohe gesellschaftliche Bedeutung haben. Das war mir schon immer klar, schließlich habe ich Musikwissenschaft studiert. Vor allem war ich Musikethnologe und weiß daher etwas über die Bedeutung von Musik in der Gesellschaft, gerade in unserer modernen Gesellschaft. Ich habe sicher viele Jahre einfach nur Musik gemacht und versucht, Erträge zu erwirtschaften. Jetzt bin ich in einem Alter, wo ich ein bisschen mehr reflektiere und sage, dass wir eine extrem wichtige Funktion haben.
Geißler: In der Musikpädagogik wächst die Freude über so eine Einstellung. In neuen Partnerschaften und neuen Kompetenzvernetzungen liegt möglicherweise ein großes Potenzial. Ich kann mir vorstellen, dass Sie in dem Bereich auch nach neuen Partnern suchen und neue Projekte planen.
: Das kann natürlich keine isolierte Aktion der Phono-Akademie sein, wir haben auch nicht die Mittel dazu, obwohl ich gerade versuche, unsere Mittel mächtig zu erweitern, um mehr bewegen zu können. Aber die Zusammenarbeit mit vielen anderen ist unabdingbar. Ich habe jetzt den Beirat der Phono-Akademie reaktiviert, der seit zwei Jahren nicht zusammengetreten war. Vielleicht schaffen wir es im nächsten Jahr einmal, ein Symposium zum Thema „Musikalische Grundbildung“ zu veranstalten. Es ist wichtig, all diejenigen, die daran Interesse haben, zusammenzubringen und zu versuchen, konzertierte Aktionen zu schaffen. Es reicht nicht, alleine dafür zu sorgen, dass wir Fortschritte an den Schulen erzielen, sondern dass wir auch an den Hochschulen für eine andere Ausrichtung in Bezug auf den Musikunterricht plädieren, dass die Musikhochschulen nicht in erster Linie darauf fokussiert sind, Instrumentalisten und auch da nur die außergewöhnlichen Talente nach vorne zu bringen, sondern dass im pädagogischen Bereich qualifizierte und motivierte Leute herangebildet werden. Ein großes Thema sind auch die Eltern. Die Schulen haben insgesamt wenig Mittel und es gibt kaum einen Schulleiter, der alle Lehrer zur Verfügung gestellt bekommt, die er gerne haben will. Wenn er einen Teil des Unterrichts nicht liefern kann, dann werden immer zuerst die Fächer Musik und Kunst gestrichen. Alle Eltern befürworten, dass die Hauptfächer im Vordergrund stehen. Die meisten Eltern wissen jedoch nicht, dass es eine Korrelation zwischen intensiver musikalischer Grundausbildung und guten Leistungen in den anderen Bereichen gibt. Das ist nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, wie viele intellektuelle Fähigkeiten beim Ausüben von Musik angesprochen werden. Hier müssen wir auch ansetzten und die Wichtigkeit des Musikunterrichts unterstreichen.
Geißler: Lange Jahre gab es, wahrscheinlich aus ideologischen Gründen, Berührungsängste zwischen Pädagogen und der Musikwirtschaft. Der deutsche Musikrat war eine pädagogisch dominierte Institution. Jetzt scheinen da stabile Brücken gebaut zu werden, die den Transport von tragfähigen Konzepten ermöglichen. Gibt es schon konkrete Kooperationsverträge?
: Die School-Tour ist ein gemeinsames Projekt der Phono-Akademie und des Deutschen Musikrats, die Bundeszentrale für politische Bildung ist ebenfalls ein Partner. Wir versuchen, zusammen mit dem Musikrat und einigen Verlagen Lehrerfortbildungsmaterial zu entwickeln. Es gibt eine Vielzahl von Gesprächen, ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal soviel Zeit in diese Angelegenheit investieren würde. Es macht deswegen Freude, weil ich den Eindruck habe, dass wir ein wichtiges Ziel verfolgen, das vielleicht eines Tages auch gesamtgesellschaftliche Wirkung entfalten kann, einmal auf den Bildungsstand bezogen und zum anderen auf die Integration von Minderheiten sowie die Deaggression in den Schulen. Die Verhältnisse an den Schulen sind in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden und Aggression spielt eine erhebliche Rolle. Ich glaube, dass wir mit verstärktem Musikunterricht viele Ventile schaffen können, um die Aggression in eine positive, kreative Richtung abzuleiten.
Geißler: Hat die gute alte, vielleicht etwas staubig gewordene Klassik in diesem Vermittlungsambiente noch eine Funktion?
: Musik startet ja immer damit, dass man leider ein gewisses theoretisches Rüstzeug vermitteln muss, das sich auf alle Formen der Musik bezieht. Es ist aber am einfachsten über die Klassik vermittelbar, insofern spielt Klassik da schon eine Rolle. Es ist heute relativ schwer für mich zu beurteilen, wie ich als Jugendlicher unter veränderten gesellschaftlichen und auch musikalischen Rahmenbedingungen mit Klassik umgehen würde. Ich wünsche mir natürlich, dass andere Menschen auch große Freude an aller Art von Musik verspüren. Das muss aber nicht unbedingt so sein. Ich bin nicht einer derjenigen, die grundsätzlich mehr für die Klassik tun, weil sie unser Kulturgut ist. Mein Ansatz wäre, dass man an vielen Dingen innerhalb der Musik Freude entwickeln kann. Ich würde jedem einmal vorschlagen zu gucken, welche Art von Musik sein persönliches Interesse weckt.
Geißler: Wir befinden uns in einer Zeit, in der der Endverbraucher sich durch neue Vermittlungsformen, wie beispielsweise das Internet, zunehmend seine eigenen „Bildungspakete“ zusammenstellt. Trotzdem braucht er ja eine Grundausstattung, um entscheidungsfähig zu sein. Ist das eine ganz große Aufgabe, in der auch die Kulturwirtschaft sich engagieren wird?
: Ich weiß nicht, in wieweit die Kulturwirtschaft außerhalb der Musikwirtschaft da Interesse zeigt. Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass diese Grundkenntnisse vermittelt werden. Das reine Selbststudium wird nie so systematisch sein, wie man es aus meiner aktuellen Überzeugung heraus braucht.
Geißler: Weg von einem etwas oberflächlichen Label hin zu einer Institution, die sich in die Bildungs- und Musikpolitik einbringt und tatsächlich zu einer Akademie wird…
: Hoffentlich. Die Phono-Akademie hatte als kulturpolitisches Institut genau diese Aufgaben, als sie gegründet wurde. In den letzten Jahren war sie im Wesentlichen ein Echoveranstalter und hat ein paar School-Tours organisiert. Das war nicht schlecht, aber ich glaube, in der heutigen Situation reicht das nicht. Unabhängig davon ist meine persönliche Überzeugung, dass man etwas für die Entwicklung der Gesellschaft tun muss. Da sitzen wir zufällig an der Quelle dessen, was vielleicht nicht als Allheilmittel gilt, aber mit dem man sehr, sehr viele Wunden lindern kann.
Geißler: Über diese Überzeugung kann man sich, wenn man das Ganze von außen betrachtet, nur freuen. Herzlichen Dank.