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Die Ideologen des „Nationalsozialismus“ konstruierten einen direkten Zusammenhang zwischen den Formen der Kunst und der Gesellschaft. Durchaus schematisch unterschieden sie zwischen positiv aufbauender nationaler, „natürlicher“ Kunst auf der einen Seite und „zersetzender“, „kulturbolschewistischer“ oder „entarteter“ Kunst auf der anderen Seite. Inhaltliche und stilistische Argumente wurden dabei mehr und mehr durch rassistische Dogmen ersetzt.
Auf die Bücherverbrennungen des Jahres 1933 und die Inhaftierung kritischer Künstler folgte 1937 die Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“; sie löste Beschlagnahmungen in Museen und Sammlungen aus und blieb auch nach 1945 im öffentlichen Bewußtsein. Die ähnlich zielbewußte Steuerung durch die Nazis auf dem Gebiet der Musik wurde dagegen verdrängt. Kaum jemand wollte wahrhaben, daß das Musikleben im NS-Staat keineswegs eine unpolitische Oase gewesen war, wie man gerne im Hinblick auf die Furtwängler-Konzerte behauptete. Ebenso wie in der bildenden Kunst gab es auch hier eine strenge, rassischen Kriterien folgende Kontrolle. Nur wenige wußten noch von der Düsseldorfer Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“, die 1938 in Anlehnung an die Münchner Kunstschau abschreckende Beispiele des „Undeutschen“ an den Pranger stellte und jüdische Operetten- und Schlagerkomponisten, atonale Werke wie auch den Jazz als „artfremd“ einstufte. Von Düsseldorf ging sie noch nach Weimar und Wien, bis der Kriegsbeginn diesem Spuk ein Ende bereitete.
Wie kam es 1988 zur Wiederentdeckung dieser vergessenen Ausstellung? Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Projekt, bei dem ein Düsseldorfer Orchesterintendant mit einem Berliner Musikpublizisten zusammenarbeitete? Die Ausstellung handelt von Kulturpolitik und ihren Folgen. Eine kulturpolitische Entscheidung stand auch an ihrem Anfang. Als Konsequenz der Auseinandersetzungen zwischen Herbert von Karajan und dem Berliner Philharmonischen Orchester um eine vakante Klarinettenstelle mußte Dr. Peter Girth seine Stelle als Intendant des Orchesters aufgeben. Er wechselte in gleicher Funktion zu den Düsseldorfer Symphonikern über. Zu den ersten größeren Aufgaben, die ihn in dieser neuen Position erwarteten, gehörte 1987 ein Veranstaltungs- und Ausstellungszyklus mit dem Titel „1937. Europa vor dem 2.Weltkrieg“. An diesem Gemeinschaftsprojekt waren neben den Düsseldorfer Museen, neben der Deutschen Oper am Rhein, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Heinrich-Heine-Institut und dem Filminstitut auch die Düsseldorfer Symphoniker beteiligt. Mit Konzerten wollten sie den Rückblick auf die einander so entgegengesetzten Groß-Ausstellungen des Jahres 1937, die grandiose Weltausstellung in Paris und die deprimierende Propagandaschau „Entartete Kunst“ in München, musikalisch begleiten. Die Dramaturgie der vier thematisch gebundenen Konzerte hatte Peter Girth mir anvertraut.
Bei den Recherchen tauchte unerwartet die Ausstellung „Entartete Musik“ auf, die ein Jahr nach 1937, nämlich im Mai 1938, in Düsseldorf stattgefunden hatte. Ich war überrascht, daß die rheinische Stadt sich so ausführlich den beiden historischen Ausstellungen von Paris und München widmete, während sie ihre eigene Tradition in Vergessenheit geraten ließ. Dabei stellte sich heraus, daß Düsseldorf im Propagandasystem der Nazis als Musikstadt eine zentrale Rolle hatte spielen sollen: die „Reichsmusiktage“, die hier 1938 zum ersten Mal stattfanden und zu denen die Ausstellung „Entartete Musik“ gehörte, waren vom Propagandaministerium als wichtigste und repräsentativste Musikveranstaltung in NS-Deutschland konzipiert. [Abb. 1] Als ich dies in einem Aufsatz für den Katalog des Düsseldorfer Gemeinschaftsprojekts in Erinnerung rief, meinte Peter Girth spontan, diesem wichtigen Thema müsse eine eigene Ausstellung gewidmet werden. Erste Pläne dazu entstanden im Februar 1987. Als Girth drei Monate später die Vorschau auf die Konzert-Saison 1987/88 veröffentlichte, wies er kühn bereits auf die Eröffnung der Ausstellung „Entartete Musik“ hin. Sogar ein Termin war dort genannt: der 16. Januar 1988.
Wer aber sollte dies nun finanzieren? Im Etat eines Orchesters ist dergleichen nicht vorgesehen, ebensowenig die Herstellung eines aufwendigen Katalogbuches. Daß dennoch beides zustandekam, ist nur der Mithilfe privater Sponsoren zu verdanken. Da diese vor allem in der Schweiz beheimatet waren, stand bereits frühzeitig fest, daß die Ausstellung nach Düsseldorf auch in Zürich gezeigt werden sollte.
Die Rekonstruktion erwies sich als schwierig, hatte es doch 1938 keinen Katalog gegeben. Es existiert allerdings die als Broschüre gedruckte Rede, die Hans-Severus Ziegler, der Initiator der Ausstellung, bei ihrer Eröffnung am 25. Mai 1938 im Düsseldorfer Kunstpalast gehalten hatte. Auf der Titelseite der Broschüre prangte eine infame Zeichnung, die einen schwarzen Jazzmusiker mit Saxophon zeigte. [Abb. 2] Was an dieser Karikatur provozierte, war nicht allein das bewußt vergröberte Gesicht, das im Kontrast stand zur Kleidung, zu Frack und Zylinder. Mehr noch erstaunte der große Judenstern, den dieser Musiker statt einer Nelke im Knopfloch trug. Für die Nazis schien diese fiktive Figur der Inbegriff der „Entartung“ zu sein: ein jüdischer Neger, der in europäischer Festkleidung Jazz spielt, der – so sollte die Assoziationsreihe weitergehen – die Primitivität des Urwalds mit dem Abendländischen unverschämt vermischt und verquickt. Kenner erinnerte die Karikatur an ein ähnliches Bild auf den Noten zur Oper „Jonny spielt auf“. Gegen die Titelfigur von Ernst Kreneks Erfolgsoper hatten NSDAP-Mitglieder schon vor 1933 protestiert. 1930 war im Land Thüringen, das damals einen NSDAP-Innenminister hatte, ein Erlaß „Wider die Negerkultur“ veröffentlicht worden. Formuliert hatte ihn eben jener Hans-Severus Ziegler, der später als Staatsrat und Generalintendant in Weimar mit der Ausstellung „Entartete Musik“ an seine frühere Aktion anknüpfte.
Neben der gedruckten Rede Zieglers einschließlich der darin enthaltenen Abbildungen erwiesen sich auch zeitgenössische Zeitungsartikel als wichtige Quellen. Ein Bericht von Wolfgang Steinecke, dem späteren Leiter der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, listete das in Düsseldorf Gezeigte so penibel auf, daß er den fehlenden Katalog ersetzte. Einige wenige Photos gaben Aufschluß über die damalige Form der Präsentation, zu denen Tonkabinen mit Hörbeispielen gehörten. Da insgesamt aber die Quellensituation mager war, entschlossen wir uns, den historischen Kontext der Ausstellung, nämlich die „Ersten Reichsmusiktage“, ebenfalls zu berücksichtigen. Aus Düsseldorfer Archiven erhielten wir dazu wertvolles Photomaterial, ein Originalprogrammheft und die Speisekarte eines Empfangs, den die Stadt Düsseldorf nach einer kulturpolitischen Kundgebung mit Richard Strauss und Joseph Goebbels in den Rheinterrassen gegeben hatte. Diese Speisekarte enthält die jeweils mit dem Doktortitel versehenen Autogramme des Komponisten, des Propagandaministers wie des Oberbürgermeisters. [Abb. 3] Da über die Ausstellung von 1938 selbst nur relativ wenig Material zur Verfügung stand, ergab sich also wie von selbst die stärkere Einbeziehung des Umfeldes. Die kommentierte Rekonstruktion entwickelte sich zum knappen Überblick über die NS-Musikpolitik einschließlich ihrer ideologischen Voraussetzungen und historischen Konsequenzen.
„Die Düsseldorfer Ausstellung von 1988 ist viel mehr geworden als eine „kommentierte Rekonstruktion“, schrieb der eigens aus Ost-Berlin angereiste Eberhardt Klemm in der Zeitschrift „Musik und Gesellschaft“; „sie ist eine übersichtlich, klug und sachlich zusammengestellte Gesamtschau alles dessen, das zum Faschismus auf dem Gebiet der Musik geführt hat, und eine Gesamtschau seines wirkenden und nachwirkenden Ungeistes.“
Peter Girth hatte einer ersten Konzeption den Untertitel „Über die Schwierigkeiten im Umgang mit neuer Musik und Kunst“ beigegeben. Dieser Untertitel wurde fallengelassen, nicht aber der bewußte Gegenwartsbezug. Die Ausstellung mündet deshalb in Antworten zeitgenössischer Komponisten auf die Frage „Was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Entartete Musik‘, woran erinnert er Sie und assoziieren Sie mit ihm gegebenenfalls Aktuelles?“ Schriftliche Stellungnahmen kamen von Hans Werner Henze, Herbert Brün, Klaus Huber, Manfred Trojahn, Jürg Wyttenbach, Wolfgang Hufschmidt, Friedrich Goldmann, Frank Michael Beyer, Aribert Reimann, Günter Bialas, Jürg Baur, Günther Becker, Dieter Schnebel, Mauricio Kagel, Hans Jürgen von Bose, Pierre Boulez und Wolfgang Rihm. Mauricio Kagel hatte ein Originalexemplar des berüchtigten „Lexikon der Juden in der Musik“ zur Verfügung gestellt, in das er – ähnlich wie einst Béla Bartók in seinem berühmten Protestbrief – seinen eigenen Namen handschriftlich hinzufügte. Ähnlich eindrucksvoll erscheint weiterhin die Stellungnahme von Wolfgang Rihm, derzufolge die Denunziation heute subtiler laufe. „Der Begriff ‚Entartung‘ wird heute nicht etwa deswegen gemieden, weil wir so demokratisch, liberal, offensinnig oder geschichtsbewußt geworden wären, sondern weil er nicht mehr angewandt werden muß. In den Köpfen und Herzen (so dort etwas Platz hat) der meisten Menschen gibt es einen Konsens darüber, was ‚entartet‘ ist. Es wird immer das sein, was eine andere Freiheit meint als die, die man die eigene nennt.“ Obwohl Wolfgang Rihm seine Antwort erst am 20. Dezember 1987 formuliert und übersandt hatte – auch Dieter Schnebel, Friedrich Goldmann und Aribert Reimann stellten ihre Beiträge in letzter Minute fertig –, obwohl sogar viele Abbildungen und Essays, dazu die Dokumente aus dem Pariser Centre de Documentation Juife ebenfalls erst im Dezember eintrafen, konnte rechtzeitig zur Eröffnung am 16. Januar der aufwendig gestaltete Katalog fertiggestellt werden. Dies war nur möglich durch Tag- und Nachtarbeit aller Beteiligten (einschließlich der Setzer, Grafiker und des Verlegers Klaus Kleinherne).
Die Resonanz schon der Pressekonferenz, erst recht der Eröffnung, überstieg alle Erwartungen. Im Rundbau der Tonhalle, der sich für einen Ausstellungs-Rundgang anbot, stellten sich dem Besucher am Eingang Litfaßsäulen entgegen. Die kommentierte Rekonstruktion spiegele, so Emil Fischer in der Westdeutschen Zeitung (WZ), „in welch totaler Weise auch das Musikleben von den Nationalsozialisten vereinnahmt und gleichgeschaltet wurde. Die Ausstellung vermittelt in Texten, Abbildungen und Tondokumenten ein beklemmendes Bild jener Zeit. Sie ist in zehn Kojen chronologisch und sachlich gegliedert.“ In der „Rheinischen Post“ meinte Wolfram Goertz: „Der Rückblick, den Dümling und Girth wagen, besticht durch pädagogischen Eros und wissenschaftliche Kompetenz gleichermaßen. Bei den collagehaften Tonbeispielen bedarf es des Kommentars nicht mehr. Da tönt der Brüller Adolf Hitler neben dem Sänger Richard Tauber, neben Hanns Eisler, neben Richard Wagner. Es überläuft einen kalt.“
Unter der Überschrift „Ein brauner Fleck wird weggewischt“ stellte der Düsseldorfer Kritiker Alfons Neukirchen die Schau in einen musikgeschichtlichen Kontext: „Wie schuldlos auch immer Düsseldorf an seinem fatalen Glück sein mochte, zur Stadt der „NS-Reichsmusiktage“ und zum Schauplatz der Ausstellung „Entartete Musik“ auserwählt worden zu sein – nicht zu früh und nicht zu spät ist dieser häßliche braune Fleck nun abgewaschen worden. Der Konterschlag der rekonstruierten Ausstellung ist nicht nur im Rahmen des Gesamtprojektes „1937“, sondern auch in der Kulturpolitik der Nachkriegszeit von besonderer Bedeutung. Die Schau selbst und der mit unvorstellbarem Fleiß und polemischer Brillanz von Albrecht Dümling und Peter Girth geschaffene Katalog werden später noch in Frankfurt, Münster, Berlin, Zürich, Bern, Nancy und Wien von einer reinigenden, nicht lediglich reagierenden Tat, von einer souveränen Widerlegung armseligen und spießigen Saubermanns-Pathos zeugen.“ Neben den Düsseldorfer Zeitungen und der überraschend starken Resonanz in den Niederlanden wurde aber auch in den überregionalen deutschen Zeitungen die Notwendigkeit hervorgehoben, sich nun endlich mit diesem dunklen Kapitel deutscher Musikgeschichte auseinanderzusetzen. Ulrich Schreiber sprach in der „Frankfurter Rundschau“ von einem „Pandämonium deutscher Ungeistesgeschichte von Wagners Antisemitismus über die Ästhetik des George-Kreises bis zu jenem Staatsrat Ziegler, der nach dem Untergang des sogenannten Dritten Reichs im Ruhrgebiet als Theaterleiter und in Norddeutschland als Gymnasiallehrer sich weiterhin als ein Praeceptor Germaniae in unveränderter Geisteshaltung aufführen konnte ... Wer dabei nicht um seinen Verstand fürchtet, hat keinen zu verlieren.“ Obwohl die Ausstellung nur nachmittags geöffnet war, kamen Schulklassen sogar aus anderen Städten angereist. Für solche Zwecke standen eigene Führungen zur Verfügung. Über die Reaktionen der jungen wie auch der älteren Besucher geben die Eintragungen in das Besucherbuch Auskunft. Da heißt es beispielsweise: „Eine hervorragende Idee, den Zusammenhang von Politik, Ideologie und Musik zu präsentieren. Denn Aufklärung ist gerade in diesem scheinbar so unpolitischen Bereich von großer Notwendigkeit.“ Ein offenbar älterer Betrachter schreibt: „Bin selbst in der Zeit aufgewachsen – wie vieles haben wir nicht durchschaut. Gut, daß hier zum Nachdenken und Wachwerden angeregt wird. Aber zeigen sich nicht heute ebensolche Bestrebungen, wenn auch in anderer Richtung?“ Auch andere Eintragungen sehen Bezüge zur Gegenwart: „Jeder sollte daran mitarbeiten, daß es nie wieder so weit kommt!“ Oder: „Alles eine Frage der Macht – auch heute.“ Nur eine einzige Eintragung übernahm NS-Argumentationen: „Die heutige Musik ist in vielen Fällen wirklich entartet.“ Das blieb nicht unwidersprochen: „Unglaublich! Das zeigt, daß der deutsche Herrenmensch noch immer nicht aus der Geschichte gelernt hat!!!“ Und ein Besucher aus Osnabrück fügte hinzu: „Gewisse geistige Strömungen jener Zeit sind auch heute noch vorhanden, das sollten wir nicht vergessen.“
Einwände richteten sich gegen die zu geringe Berücksichtigung des Jazz in der Ausstellung und gegen die zu kurzen Öffnungszeiten. „Die äußerst sparsamen Öffnungszeiten vermitteln den Eindruck, daß man nicht wünscht, daß diese Ausstellung von möglichst vielen Menschen gesehen wird. Ebenso die Tatsache, daß um 16.45 h schon kein Katalog mehr zu kaufen ist.“ Ein Besucherbuch gab es auch bei der nächsten Station in der Musikhochschule Münster. Die schriftlich formulierten Einwände richteten sich hier wiederum gegen ungünstige Öffnungszeiten, mangelnde Publizität und das Fehlen des Katalogs, der bereits vergriffen war.
Bruckner und der „Anschluß“
1988 war nicht allein das Jahr der 50jährigen Wiederkehr der Düsseldorfer Ausstellungseröffnung. In diesem Jahr gedachte man in Österreich auch des „Anschlusses“ an Hitler-Deutschland, der vor allem für die „nichtarischen“ Musiker so fatale Folgen hatte. Für die Alpenrepublik war dieses Datum Anlaß, ein Kapitel unbewältigter Musikgeschichte zu diskutieren. Die Wiener Festwochen widmeten sich dem Thema mit einer Konzertreihe „Musik im Exil – verbotene Musik“ sowie im Palais Palffy der aus Düsseldorf übernommenen Ausstellung „Entartete Musik“. In einer zusätzlichen Vitrine sah man jetzt Auszüge aus der Wiener Ausgabe des „Völkischen Beobachters“, die daran erinnerten, daß die Nazi-Ausstellung im Jahr 1939 auch im Wiener Künstlerhaus gezeigt worden war. Der Komponist und Dirigent Friedrich Cerha hatte damals als Schüler diese Propagandaschau besucht. Da ihn die Musikbeispiele von Hindemith, Weill und Strawinsky, die er bis dahin nicht kannte, faszinierten, hatte er sie zum Unwillen des Aufsehers gleich wiederholt angehört. Es war vielleicht, wie sich Cerha erinnerte, seine erste Begegnung mit Neuer Musik.
Mit besonderem Interesse registrierte die österreichische Presse die Rolle Bruckners in der Ausstellung. So schrieb der Kritiker Walter Schumann: „Am Beispiel Anton Bruckners, neben Wagner wohl der Lieblingskomponist Hitlers, wird die Vereinnahmung des deutschen und österreichischen Musikerbes anschaulich gemacht. So erfährt man hier auch etwas über den ,Anschluß‘ des österreichischen Musiklebens an das Nazideutschland: Bruno Walter, Zemlinsky und der Musikforscher Guido Adler wurden neben vielen anderen vertrieben, und Goebbels konnte stolz von der ,Ausmerzung der Juden aus der ehemaligen (!) österreichischen Musik‘ berichten. Auf der Basis dieser ,Säuberungen‘ fand dann im Juli 1939 in Wien das ,Erste Großdeutsche Brucknerfest‘ statt.“ Vermittelt durch das Gastspiel der Ausstellung 1992 im New Yorker Bard College, sollte die Thematik „Bruckner im NS-Staat“ später auch auf die USA abstrahlen.
Von Station zu Station erwies sich die Ausstellung als work in progress, die jeweils Interesse an der eigenen Lokalgeschichte auslöste. Bei den Züricher Juni-Festwochen 1988 wurde sie unter dem Motto „Fluchtpunkt Zürich“ im Stadthaus präsentiert. Wichtige Ergänzungen aus der Dokumentationsbibliothek Walter Labhart zeigten hier den schwierigen Weg mancher Komponisten, insbesondere von Wladimir Vogel, ins schweizerische Exil. Werke von Vogel spielten auch eine wesentliche Rolle bei den begleitenden Konzerten. „Eine Ausstellung, die Betroffenheit auslöst“– so überschrieb das „Luzerner Tagblatt“ seinen Bericht, der auch auf das ausgelegte Besucherbuch hinwies: „Zu finden ist da der Eintrag ,Das habe ich nicht gewußt – Kurt Waldheim‘; bevor wir Schweizer aber in Schadenfreude ausbrechen, sei der heutzutage gerne als Schweizer Komponist Wladimir Vogel in Erinnerung gerufen. Daß er während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz weilen durfte, hatte der gebürtige Russe allein einem glücklichen Umstand zu verdanken: er hielt sich 1939 im Tessin auf. Sein Ersuchen um den Flüchtlingsstatus wurde 1937 aber abschlägig beurteilt. Begründung: Überfremdung ...“
In Berlin, der nächsten Station, wurde die Ausstellung im Rahmen der Festwochen in der Akademie der Künste am Hanseatenweg gezeigt. Dank der Unterstützung durch die Akademie und die Hochschule der Künste konnte hier das dokumentarische Material noch einmal wesentlich erweitert werden. In insgesamt 50 Vitrinen sah man beispielsweise Unterlagen zur Entlassung von „Nichtariern“ von der Berliner Musikhochschule oder aus der Preußischen Akademie der Künste. Betroffen von diesen Maßnahmen war neben Curt Sachs, Erich von Hornbostel und Franz Schreker auch Arnold Schönberg. Berlin war in diesem Jahr 1988 mit einer Fülle weiterer Veranstaltungen Europäische Kulturhauptstadt. Auf diesen Zusammenhang ging die Rezensentin des Stadtmagazins „Zitty“ ein, als sie resümierte: „Diese Ausstellung wird mit zu den wichtigsten Ereignissen gehören, die die Kulturhauptstadt, die auch einmal Hauptstadt der Unkultur war, zu bieten hat. Dabei ist Berlin nicht die erste Station, und auch nicht die letzte.“ Wichtig war in Berlin neben der großen Zahl von Originaldokumenten die besonders intensive Betreuung von Schulklassen, für die die Akademie eine eigene Didaktikergruppe und ein eigenes Informationsheft zusammengestellt hatte. Entsprechend finden sich im Besucherbuch viele Eintragungen junger Menschen.
Von Berlin wanderte die Ausstellung „Entartete Musik“ in die Staatsoper Hamburg, danach im November ins Concertgebouw Amsterdam, wo für die Besucher wiederum andere Aspekte in den Vordergrund rückten. In einer in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut entstandenen Broschüre widmeten sich holländische Autoren dem Musikleben unter der deutschen Okkupation. Auch die problematische Kollaboration des Dirigenten Willem Mengelberg blieb dabei nicht ausgespart. In München, wo Gabriele Meyer Dokumente aus jener Geschichtsperiode der Münchner Philharmoniker ergänzte, als es noch „Orchester der Hauptstadt der Bewegung“ hieß, gab es widersprüchliche Kommentare. Während die „Abendzeitung“ hervorhob, die Ausstellung sensibilisiere „als Dokument des zynisch-menschenverachtenden Jargons nazistischer Überheblichkeit ... für den Umgang mit Sprache“, meinten andere Stimmen, das Thema sei zu komplex, um auf wenigen Tafeln dargestellt zu werden. Eine Debatte entzündete sich über die Rolle des in München damals immer noch einflußreichen Werner Egk und darüber, ob der Katalog die Musikwissenschaftler Hans Joachim Moser und Wolfgang Boetticher gerecht behandele. Die „Süddeutsche Zeitung“ als das wohl repräsentativste Blatt der bayrischen Landeshauptstadt faßte jedoch zusammen: „Diese Ausstellung (plus Katalog und Kassette) gehörte ins geistige Gepäck eines jeden, der sich heute mit der Musik von damals beschäftigt und der wachsam bleiben will, daß ,Entartung‘ eine Vokabel bleibt, die der Vergangenheit angehört.“ Soweit zum Jahr 1988, dem ersten Jahr der kommentierten Rekonstruktion.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die noch folgenden Jahre mit gleicher Ausführlichkeit einzugehen. Immerhin führte die Stadt Osnabrück, die bis dahin kleinste Ausstellungsstation, im Januar 1989 nicht weniger als zehn Begleitveranstaltungen durch, darunter neben Konzerten auch Vorträge über „Jazz unterm Hakenkreuz“ und zur Rolle von Richard Wagners Pamphlet „Das Judentum in der Musik“. [Abb. 4] Schwerpunkte in Saarbrücken waren die Sonderrolle des Saarlandes, in Bremen die Verfolgung der Arbeiterchöre. Auf besonders starke Resonanz stieß die Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, wo sie auf Grund des starken Interesses anstelle der bereits vorgesehenen acht Wochen ganze drei Monate gezeigt wurde. Zu den insgesamt zwölf Begleitveranstaltungen gehörten Jazz- und Operettenabende sowie eine Nürnberger Klaviernacht, die Werke von im NS-Staat verbotenen Komponisten denen von begünstigten und geduldeten gegenüberstellte. Die Ausstellung selbst wurde durch zusätzliche Materialien zur Rolle Nürnbergs im Nationalsozialismus, insbesondere zur Musik bei den Reichsparteitagen, ergänzt. Überraschend fanden sich einige Musikmanuskripte von Darius Milhaud, die 1941 von der deutschen Besatzungsmacht in Südfrankreich beschlagnahmt und im fränkischen Kloster Banz als Hinterlassenschaft der Reichsstelle Rosenberg wiederaufgefunden worden waren. Die Ausstellung regte den Finder an, diese bislang unveröffentlichten Funde erstmals öffentlich zu zeigen. Als Resultat konnten die Manuskripte zum 100. Geburtstag des Komponisten der in Paris lebenden Witwe Milhauds zurückgegeben werden.
Als die Ausstellung im April 1990 im Staatstheater Darmstadt eröffnet wurde, konnte Peter Girth (von 1991– 1996 Intendant dieses Hauses) darauf hinweisen, daß sie auch nach Ost-Berlin und Dresden gehen würde. Verhandlungen darüber hatte es bereits vor dem Fall der Mauer gegeben. In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen sowie dem Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit in Nordrhein-Westfalen (Wuppertal) kam sie im September 1990 in die Akademie der Künste Berlin am Robert Koch-Platz. Mit Hilfe der genannten Träger reiste sie danach noch ins Dresdener Rathaus sowie in die Leipziger Oper. In Dresden wurde die Ausstellung durch mehrere Konzerte, durch das Gastspiel der Leipziger Oper mit „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek und durch ein Kolloquium „Entartete Musik“ im Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik ergänzt. Die von Lothar Zagrosek dirigierte Leipziger Opernproduktion löste eine ganze CD-Edition mit dem Titel „Entartete Musik“ aus, die bis heute fortgesetzt wird. Auch das Kolloquium „Entartete Musik“ hatte Konsequenzen, regte es doch einige der Teilnehmer an, wenig beachtete Aspekte aus der Musikgeschichte der frühen DDR einzubeziehen.
Von Station zu Station erweiterte sich so der Themenbereich der Ausstellung, wurden neue aktuelle Fragestellungen und auch neue Medien hinzugefügt. Bereits 1989 waren die begleitenden Tondokumente separat auf Schallplatten und Compact Discs erschienen. 1989/90 entstand mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder sowie der Stadt Düsseldorf der Film „Verbotene Klänge. Musik unter dem Hakenkreuz“, der mittlerweile mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnet wurde.
Exilstation USA
Ein wichtiges Kapitel der Ausstellung betrifft das Schicksal der Diffamierten. Der größte Teil von ihnen emigrierte in alle Himmelsrichtungen, nach Australien ebenso wie nach Shanghai oder Südafrika. Kein Land nahm jedoch mehr Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland auf als die Vereinigten Staaten von Amerika. Es war deshalb zu erwarten, daß die Ausstellung ihren Weg auch dorthin finden würde. Den Anstoß dazu gab Ernest Fleischmann, der Intendant des Los Angeles Philharmonic Orchestra, der die Ausstellung bei den Berliner Festwochen 1988 kennengelernt hatte. Als mich das Getty Center for the History of Art and the Humanities für 1989/90 nach Kalifornien einlud, nutzte ich den neunmonatigen Studienaufenthalt für die Vorbereitung des Films und der amerikanischen Ausstellungsversion. Trotz unerwarteter Finanzprobleme konnten diese im März des Jahres 1991 unter dem Titel „Banned by the Nazis: Entartete Musik“ der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Schauplatz war das riesige Music Center Los Angeles, der Sitz des Los Angeles Philharmonic Orchestra.
Zu den Attraktionspunkten der Ausstellung hatte in Europa neben dem Katalog immer auch das Plakat gehört. Beides entfiel in Los Angeles – der Katalog reduzierte sich aus Kostengründen auf eine kleine englischsprachigen Broschüre, während das Plakat als politisch problematisch empfunden wurde. Die Veranstalter meinten, es stelle angesichts der Rassenprobleme im heutigen Los Angeles ein zu großes Risiko dar. Man verzichtete auf das Plakat und dekorierte die Ausstellungsbroschüre stattdessen mit einem mächtigen Reichsadler. [Abb. 5] Während so die Werbung für die Musikausstellung weitgehend entfiel, strömte das Publikum in großen Scharen in die schon vorher eröffnete Ausstellung „Degenerate Art“ des Los Angeles County Museum of Art. Sie fanden dort einen Raum über die Verfolgung der Musiker vor, der sich unverkennbar an die Düsseldorfer Rekonstruktion anlehnte. Erst im Berliner Alten Museum, wohin die „Degenerate Art“-Ausstellung im Frühjahr 1992 wanderte, nannte das kalifornische Museum wenigstens bei den Tondokumenten seine Quellen.
Wenn auch die kleine Musikschau „Banned by the Nazis: Entartete Musik“ in Los Angeles keineswegs die Wirkung der großen Kunstausstellung erreichte, so hatten die begleitenden Konzerte und Vorträge doch eine dauerhafte Wirkung. Ernst Krenek, der seit Jahrzehnten bereits unweit von Los Angeles wenig beachtet in dem Wüstenort Palm Springs lebte, fand gerade durch die Begleitkonzerte während Ausstellung zur späten Wiederentdeckung. Der einflußreiche Kritiker Martin Bernheimer nannte ihn nach dem ersten Konzert einen der vielseitigsten Komponisten dieses Jahrhunderts. Krenek, dessen 90. Geburtstag man in Los Angeles schnöde übergangen hatte, war gegenüber den Plänen, einige seiner Werke in Verbindung mit der Ausstellung „Entartete Musik“ aufzuführen, zunächst skeptisch. Verständlicherweise sah er sich selbst keineswegs als Galionsfigur der „Entartung“. Seine Skepsis verwandelte sich jedoch in Zustimmung, die er durch die Signierung seines Fotos auf einer der Ausstellungstafeln zum Ausdruck brachte. Die Aufarbeitung der Diffamierung wurde für ihn so zur späten Wiedergutmachung.
Im Sommer 1992 reiste die Ausstellung an die amerikanische Ostküste, wo sie Bestandteil des „Bard Music Festival“ war. Wegen des Besucherandrangs mußte sie um drei Wochen verlängert werden. Dennoch waren die Reaktionen insgesamt verhaltener als zuvor in Europa. Mehrere Versuche, die Tafeln etwa in New York City zu plazieren, scheiterten. An der Brandeis University Boston versuchten die Veranstalter durch einen neuen Titel („Silenced Voices“) die europäische Herkunft zu verschleiern. Offenbar paßt es nicht in vorherrschende und durch die US-Medien noch verstärkte Denkschemata, wenn Deutsche die eigene Vergangenheit kritisch aufarbeiten. Lieber berichtet man über brennende Synagogen als über das Interesse einer neuen Generation von Deutschen an Gedenkstätten und NS-verfolgten Kommunisten.
Immerhin kann man registrieren, daß die Ausstellung in Deutschland seit 1988 vermehrt mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde. Nach Gastspielen 1992 in Freiburg im Breisgau und in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (hier durch eine Sonderausstellung zur eigenen Musikgeschichte ergänzt) kam sie ab 1993 im Rahmen des Projekts „Kultur im Widerstreit“ des Kultursekretariats NRW/Gütersloh in nicht weniger als zwölf Städte. Bereits der Start im Geschwister-Scholl-Gymnasium in Velbert zeigte, daß sich auch für kleinere Orte die Auseinandersetzung mit Mißbrauch und Reglementierung von Musik lohnt. Besonders lebhaft war das Medien-Echo im westfälischen Telgte, dessen Existenz vielen erst durch den Grassschen Buchtitel ins Bewußtsein kam.
Daß es kleineren Kommunen manchmal erfolgreicher gelingt, Themen zu bündeln, bestätigte sich im württembergischen Leonberg oder bei den Niederstotzinger Musiktagen, die sich 1995 in Verbindung mit Ulm umfassend der NS-Zeit widmeten. Durch Zufall stellte sich heraus, daß einer der Veranstaltungsorte in Niederstotzingen einmal als Sammelplatz für Juden gedient hatte. Bewegend war auch die Aufführung von Liedern Peter Urys in Ulm, wohl die erste Ury-Aufführung in seiner Heimatstadt nach der Flucht des Komponisten nach London. Seine Witwe und sein Sohn reisten aus diesem Anlaß an.
Als die Ausstellung im Winter 1995/96 in der Londoner Royal Festival Hall gezeigt wurde, erschienen in Großbritannien lebende Exilanten, so der Komponist Berthold Goldschmidt, der Webern-Schüler Peter Stadlen und der Sohn von Carl Flesch. Wie Ernest Fleischmann, der 1991 die Ausstellung zum Anlaß genommen hatte, vor aktuellen Zensurmaßnahmen bei der staatlichen Kulturförderung der USA zu warnen (was 1992 die „New York Times“ anläßlich des Bard Festivals aufgriff), bezog auch 1995 in London Yehudi Menuhin bewußt die Gegenwart in sein Urteil mit ein. „Diese Ausstellung“, so formulierte der große Künstler in seinem Grußwort, „sollte nicht zur Kritik und Verurteilung anderer führen, sondern zu einer genaueren Überprüfung unserer eigenen Verantwortung.“ [Abb. 6]
Beim Umgang mit der Ausstellungsthematik lernten auch ihre Initiatoren, daß in vielen Fällen Differenzierung angebracht ist. Dies gilt nicht nur für das vielzitierte Schicksal Herbert von Karajans. Wer seine mehrfachen Parteibeitritte erwähnt, sollte nicht verschweigen, daß ausgerechnet Karajans „nichtarischer“ Vorgesetzter in Ulm ihm dies empfohlen hatte, und daß er 1942 durch seine Heirat mit einer „Vierteljüdin“ seine Karriere aufs Spiel setzte. Zur Kenntnis nehmen muß man ebenso, daß die NS-Ausstellung „Entartete Musik“ weniger repräsentativ und weniger wirksam war als die vorausgegangene Kunstausstellung. Sie verurteilte meist rückwirkend Künstler, die bereits emigriert waren und führte nicht direkt zu Verboten und Beschlagnahmungen. Mit einer Einzelaktion lenkte ihr Urheber Hans-Severus Ziegler vielmehr auch von Vorwürfen ab, die gleichzeitig gegen ihn erhoben wurden. Fred K. Prieberg unterstrich diesen Aspekt in seinem Beitrag zur erweiterten 3. Auflage des Katalogs. Da trotz der Unterstützung durch Hitler und Rosenberg der für Kultur zuständige Minister Goebbels nur widerwillig zustimmte, blieb die propagandistische Auswertung der Ausstellung seinerzeit begrenzt. Peter Raabe hatte sich als Präsident der Reichsmusikkammer in einer internen Stellungnahme zuvor eindeutig negativ geäußert. Bei der Eröffnung sah man deshalb neben dem mit Ziegler befreundeten Goebbels-Mitarbeiter Dr. Drewes lediglich Reichshauptstellenleiter Dr. Herbert Gerigk als Vertreter von Reichsleiter Rosenberg, Paul Graener als Vizepräsident der Reichsmusikkammer sowie die Pianistin Elly Ney und den Cellisten Ludwig Hölscher. Peter Raabe blieb demonstrativ fern, ebenso der gerade in Düsseldorf anwesende Richard Strauss. Während einigen NS-Blättern immerhin Verwunderung darüber anzumerken war, daß Komponisten wie Hindemith und Strawinsky als „entartet“ eingestuft wurden, blieben die Reaktionen aus dem Ausland merkwürdig zurückhaltend. Die in den USA erscheinende Zeitschrift „Musical America“ beschränkte sich, ebenso wie Steinecke, auf eine Auflistung der als „entartet“ eingestuften Werke. Die Londoner „Times“ schien ganz im Zeichen der damaligen appeasement Politik sogar Verständnis für diese Aktion aufzubringen. Aufschreie der Empörung scheint es also überwiegend innerhalb Deutschlands gegeben zu haben. Allerdings gelangten sie angesichts der damaligen Steuerung der Presse nicht an die Öffentlichkeit.
Zehn Jahre ist die Ausstellung nun alt, und sie reist immer noch. Am 20. November wurde sie im Theater Basel eröffnet, wo ein Kammerkonzert, ein Orchesterkonzert mit Werken von Karl Amadeus Hartmann und Viktor Ullman sowie Mauricio Kagels Liederoper „Aus Deutschland“ sie begleiten. Die Initiative zu dieser 44. Station war noch von Peter Girth ausgegangen, der im Juli dieses Jahres erst 55jährig an einer schweren Krankheit starb. Die letzten Monate seines Lebens hatte sich der leidenschaftliche Intendant und Ausstellungsmacher in einem eigenen Theaterstück „Maestro“ mit dem früheren Chef Herbert von Karajan auseinandergesetzt. Über dessen unglückliche Verstrickung in den Nationalsozialismus hatte er mit dem Dirigenten Herbert Zipper korrespondiert, der 1938 als KZ-Häftling das „Dachau-Lied“ komponierte. Zipper hatte zusammen mit Karajan an der Wiener Musikakademie studiert, als „Nichtarier“ aber 1933 seine Karriere in Deutschland abbrechen müssen. Das Nebeneinander dieser beiden Lebensläufe – der eine ein weltberühmter Medienstar, der andere ein später vor allem in Asien und den USA wirkender Musikerzieher – hat Girth noch kurz vor seinem Tod intensiv beschäftigt. Es traf ihn besonders, als Herbert Zipper im Frühjahr dieses Jahres an Krebs starb. Die noch bis Ende Januar angekündigte Ausstellungsstation Basel soll aber nicht überwiegend der Rückschau auf den Weg eines zehnjährigen Musikprojekts dienen. Die mittlerweile schon etwas abgenutzten Tafeln sind vielmehr wiederum Katalysatoren für benachbarte Ereignisse. Viktor Ullmann ist die Zentralfigur, dies nicht nur wegen seines bevorstehenden 100. Geburtstages, sondern auch, weil sein Nachlaß unweit von Basel im Goetheanum Dornach aufbewahrt wird. Ausschnitte aus diesem Material werden begleitend zur Ausstellung in eigenen Vitrinen präsentiert. Daß Ullmann heute kein Unbekannter mehr ist, daß seine Theresienstadt-Oper „Der Kaiser von Atlantis“ im Druck wie auch auf CD vorliegt, gehört zu den Konsequenzen der Ausstellung. Die durch die Bücher von Joseph Wulf und Fred K. Prieberg erstmalig vorgestellte Thematik wird heute auf breiterer Basis reflektiert. Initiativen und Institute wie der Förderverein „musica reanimata“, das Stuttgarter Projekt „Den Opfern der Gewalt“, das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik, der Verein „Wider das Vergessen“ oder das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung, haben wesentlich dazu beigetragen.
Albrecht Dümling
Stationen der Ausstellung
* 1988: Düsseldorf (Tonhalle), Frankfürt/M. (Alte Oper), Münster (Hochschule für Musik), Wien (Palais Palffy), Zürich (Stadthaus), Bern (Dampfzentrale), Berlin-West (Akademie der Künste), Hamburg (Staatsoper), Amsterdam (Concertgebouw), München (Philharmonie)
* 1989: Osnabrück (Theater), Saarbrücken (Regionalgeschichtl. Museum), Bremen (Staatsarchiv), Gütersloh (Theater), Luxemburg (Tutesall), Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum)
* 1990: Nürnberg (Verlängerung), Darmstadt (Hess. Landestheater), Köln (Musikhochschule), Berlin-Ost (Akademie der Künste der DDR), Dresden (Rathaus), Leipzig (Oper);
* 1991: Los Angeles (Music Center), Berlin (Deutsches Rundfunkmuseum), Stuttgart (Württ. Landesbibliothek);
* 1992: Freiburg/Br. (Schwarzwaldhalle), Annandale-on-Hudson, New York (Bard Music Festival)
* 1993: Velbert (Geschwister-Scholl-Gymnasium), Soest, Frechen (Rathaus), Marl, Gronau (Wirtschaftszentrum), Hannover (Forum des Landestheaters), Kempen (Städt. Kramer-Museum)
* 1994: Lüdenscheid (Stadtbücherei), Telgte (Rathaus), Brilon (Alfred-Delp-Haus), Hattingen (Altes Rathaus), Siegen (Rathaus), Schwerte (Stadtbücherei), Boston/USA (Brandeis University)
* 1995: Ulm (Stadthaus), Essen (Folkwang-Hochschule), London (Royal Festival Hall)
* 1996: Leonberg (Rathaus)
* 1997/98: Basel (Theater)