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Musik im Raum. Foto: Hufner
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An der Schneide des Augenblicks

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Improvisationsdidaktik an Musikhochschulen – eine Bestandsaufnahme
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Die Lehre zum freien Spiel wird in der Musiker­ausbildung selten hervorgehoben. Dabei wird doch gerade bei der Improvisation in der individuellen künstlerischen Entwicklung ein kreatives Potenzial freigelegt, wie in keinem anderen Fach. Der spontanen Eingebung zu folgen, in der direkten Kommunikation auf Klänge reagieren zu können und neue musikalische Wege zu gehen, sind Fähigkeiten, die jeden guten Musiker auszeichnen sollten. Gunda Gottschalk und Reinhard Gagel geben, ausgehend von einer im Februar in Hannover abgehaltenen Tagung, eine Bestandsaufnahme zum Thema.

Das Berufsbild eines Solisten, eines Orchestermusikers, eines Musikschullehrers oder eines Musiklehrers an allgemeinbildenden Schulen wandelt sich. Vor allem scheinen zwei Qualitäten gefragt: Flexibilität und Kreativität. Und da ist ein anderes Musizieren gefragt, das Improvisation einschließt. Es genügt nicht, dass man Konzerte und Partituren meistert, schon heute verlangen Programmgestalter von Musikern auch die Mitwirkung bei Vermittlungskonzerten und Projekten. Im Rahmen von Interpretation Neuer Musik wird ein hohes Maß an Eigenverantwortung bezüglich der formalen und klanglichen Gestaltung vorausgesetzt; die Musikschulen brauchen eine Vielfalt von Musizierweisen und Lernstrategien und Musiklehrer an allgemeinbildenden Schulen mussten vor allem in stilistischer Hinsicht immer schon breit gefächert aufgestellt sein. Zudem hat die freie kreative Musizierhaltung einen hohen Nutzen in soziokulturellen Produktionen. Heterogene Ensembles können improvisierend zusammenwachsen, eventuell vorhandene Sprachbarrieren werden durch die kommunikative Komponente der improvisierten Musik überwunden. Studien haben darüber hinaus ergeben, dass die Berufszufriedenheit von Musikern steigt, wenn sie eigene Projekte ausfüllen können, wenn sie mit anderen zusammen kreative Vermittlung machen können und vor allem, wenn sie in der Lage sind zu improvisieren.

Neben der komponierten gibt es auch improvisierte aktuelle Musik, deren Protagonisten seit über fünfzig Jahren eine differenzierte Musik auf der Basis von Jazz und Neuer Musik erschaffen haben. Diese Künstler können Vorbild vor allem für die Musiker sein, die sich in Reproduktions-Käfigen eingeschlossen fühlen, (siehe etwa das Forschungsprojekt „Quo vadis Teufelsgeiger“, durchgeführt 2010–2012 an der Universität für Musik und Darstellende Kunst, Wien), sie können auch Vorbild für ein Musizieren in Musikschule und Schule sein. Denn diese Musik, die im allgemeinsten Sinne auch freie Musik genannt wird, schließt neue Klanglichkeit ebenso wie Musizierweisen verschiedener Stilistik ein. Sie hat aber gegenüber dem Komponieren den Vorteil, von den Beteiligten selbst erfunden und aufgeführt zu werden, in einer seltenen Einheit von Spielen und Erfinden, die quasi von selbst im Prozess vor sich geht und das Selbst der Spieler herausfordert. Improvisation: ein Musiziermodus, der einen hohen schöpferischen Anteil besitzt, eine große Flexibilität fördert, in hohem Masse davon lebt, mit Unvorhergesehenem umzugehen, der das Prozesshafte der Musik an sich hervorhebt und Klangforschung zu einem wichtigen Merkmal erhebt. Wie und wo wird er an Musikhochschulen gelehrt?

Hochschulspektrum

Die Musikhochschulen bieten zwar in bestimmten Studiengängen bereits Improvisationskurse an. Jedoch geschieht das immer noch viel zu vereinzelt und kleinflächig und mit noch sehr wenig Lehrdeputaten. Der Ring für Gruppenimprovisation e.V. Berlin, ein Verein improvisierender Musiker, Lehrer und Musiktherapeuten gab, den Impuls zu einer Tagung, die eine Art Bestandsaufnahme der Angebote und deren Lern- und Lehrweisen vornehmen wollte. Wie steht es um die Improvisation in der Ausbildung von Profimusikern? Wie und mit welchen Zielen unterrichten sie? Diese Fragen stellten sich dann 20 Referenten aus dem deutschsprachigen Raum und rund 60 Teilnehmer im Rahmen der Konferenz für Improvisationsdidaktik vom 21. bis 23. Februar 2018 in der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Die Fachtagung bot neben einem Eröffnungs-Konzert, Vorträgen, Podien und Diskussionen auch diverse praktische Workshops sowie eine offene Bühne an und sorgte so für eine profunde Auseinandersetzung mit dem Thema Improvisation. Im Zentrum standen zehn praktische Workshop-Module, durch die eine Vielfalt von Vermittlungsmethoden und -ansätzen erfahrbar wurden. Modelle zur Verankerung von Improvisation in der akademischen Ausbildung waren das Thema einer Podiumsdiskussion. Forschungsarbeiten zur Improvisationsdidaktik wurden durch einen Vortrag und ein weiteres Podium vorgestellt.

An welchen Hochschulen gibt es erfolgreiche und anerkannte Studiengänge oder Lehrveranstaltungen zur musikalischen Improvisation? In einer Gesprächsrunde gaben Vertreter der Hochschulen Bern, Basel, Luzern, Wien, Hannover und Leipzig dazu Auskunft. Sie repräsentieren bereits etablierte Ausbildungsgänge und verdeutlichten markante Positionen. Dabei ging es speziell um die künstlerische Ausbildung im BA und MA-Bereich. Mit welchen Zielvorstellungen wurden die Studiengänge eingerichtet? Welche Inhalte werden angeboten? Welche Abschlüsse angestrebt? Welchen Anspruch an künstlerische Qualität stellen die Lehrenden und wie werden diese Qualitäten dann bewertet? Bevor die einzelnen Studiengänge kurz aufgelistet werden, vorweg: alle Vortragenden positionierten hohe Qualität als unabdingbares Merkmal und Ziel eines künstlerischen Studiums der Improvisation. Die Hochschule Luzern hat dazu auch Kriterien zusammengestellt; bei den anderen war Qualität eher ein allgemeiner (und in ihrer eigenen Künstlertätigkeit auch verwirklichter) Anspruch, auch um zu verdeutlichen, dass Improvisation eine eigene Kunstform ist und nicht nur ein Bestandteil des musikpädagogischen Methodenkoffers. Allen Ausbildungen geht es um die ‚eigene Stimme‘ der Studierenden: sie sollen eine selbstständige künstlerische Sprache entwickeln, abgegrenzt von den Studiengängen, in denen ‚nur‘ interpretiert wird.

Franziska Baumann unterrichtet an der Hochschule der Künste Bern Stimmimprovisation im Masterstudiengang Theatre Musical, Christoph Baumann und Urban Mäder von der Hochschule Luzern repräsentieren eine Studienrichtung Improvisation innerhalb des Bachelor- und Masterstudiums. An diesem Studiengang teilnehmen bedeutet, ein sechssemestriges Studium mit Haupt- und Nebenfach und mit verschiedensten Ensemblefächern zu absolvieren. Bereits seit 1991 (und damit im deutschsprachigen Raum am längsten) besteht an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig das Fachgebiet Improvisation, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, Traditionen der Improvisation weiterzuentwickeln, mit dem Anspruch, Improvisation als eine eigenständige Kunstform zu verstehen. Hier ist es möglich, Improvisation in verschiedenen Formen zu studieren, sei es als Zusatzstudium, in Verbindung mit einer Diplommusiklehrerausbildung oder als 2. Hauptfach. Weiterhin gibt es mehrere Improvisationsgruppen, die einmal wöchentlich allen Interessierten offenstehen. Vielfältig sind auch die Beziehungen zum Tanz. Der Leipziger Improvisationswettbewerb will den Aktivitäten auf dem Gebiet der Improvisation auf neue Weise Ausdruck verleihen.

Katharina Klement und Burkhard Stangl von der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst arbeiten in einem Studienschwerpunkt innerhalb der Musiklehrerausbildung. Dieser nennt sich „Improvisation und aktuelle Musikströmungen“ und bietet über vier Semester jungen MusikerInnen, die sich dafür entscheiden, einen künstlerischen, das heißt experimentierenden Zugang zur heutigen Musik. Dies führt nicht zu einem eigenständigen künstlerischen Abschluss, sondern ist ein Teil des Bachelorstudiums im Fach Instrumental- und Gesangspädagogik. Einige MusikerInnen wurden animiert, nach ihrem Studium diese Kunstform weiterzuführen, und ein Teil der jungen Improvisationsszene in Wien speist sich aus diesen Wurzeln.

Insgesamt wurde deutlich, dass einige dieser bestehenden Studiengänge auch als Modell dienen können, künstlerisches Improvisieren an anderen Hochschulen anzusiedeln. Andrea Welte (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover) stellte mit „ImproKultur“ ein seit drei Jahren an der Hochschule angesiedeltes Improvisationskonzept vor, das sich an die Studierende der Musikpädagogik richtet. Es ist Ausbildungskonzept und Forschungsprojekt in einem und ermöglicht fortgeschrittenen Studierenden mit Kindern und Jugendlichen in Sprachlernklassen zu improvisieren. Abgesehen davon, dass dieses Projekt in der aktuellen politischen Situation sehr produktiv und notwendig ist, ermöglicht es den Kindern, musikalische, das heißt schöpferische künstlerische Erfahrungen in Gruppenimprovisationen zu machen. Die Studierenden leiten in Teamteaching Improvisationsprozesse an und setzen sich mit Lehren und Lernen von Improvisation unter realen Bedingungen allgemeinbildender Schulen auseinander.

Forschungsprojekte

Oft ist der Improvisationsdozent einsam mit seinen praktischen Erfahrungen und Unterrichtsstrategien an seiner Hochschule. Er wünscht sich Zusammenarbeit, Austausch und gemeinsamer Bildung von Kriterien und Strategien. Genau das haben Luzerner Kollegen getan, als sie 2010 ein Forschungsprojekt ins Leben riefen, das Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung freier Improvisation thematisierte. Gegenseitige Unterrichtsbesuche, Gespräche und die Arbeit an einem Kompendium haben in einer Veröffentlichung 2013 Früchte getragen. Genauso wie ein Forschungsprojekt an der Musikhochschule  Saarbrücken, in dem auch seit längerem die Wege der Vermittlung von (freier) Improvisation genauer unter die Lupe genommen wurden. Während für dieses Projekt die Vortragende absagen musste, konnten für Luzern Baumann und Mäder Rede und Antwort stehen. Sie erzählten die Anekdote, dass sie bei Studierenden in der Lage seien, den jeweiligen Lehrer herauszuhören.

Ist also das Lernen und Lehren von Improvisation ausschließlich individuell? Nein, im Verlaufe der Arbeit stellten sich eine Menge gemeinsamer Grundlagen und für alle geltende Aspekte heraus, die sich vor allem auf die Art und Weise beziehen, wie unterrichtet wird. So formulieren sie zum Beispiel die notwendige Balance zwischen musikalischer Qualität und einer gleichzeitig entwickelten Erfahrung kommunikativer und sozialer Aspekte des Improvisierens in der Gruppe. Sie bestehen darauf, dass der Unterricht in freier Improvisation auch als Unterricht eine Art freie Improvisation ist und dass der Lehrende flexibel und situationsbezogen unterrichten kann. All dies und viel mehr ist in dem Kompendium nachzulesen, das übers Internet frei erhältlich ist und einen Fundus von grundlegenden Fragen improvisatorischer Vermittlung behandelt.

Der improvisierende Körper

Neben einem solchen umfassenden Ansatz repräsentiert Corinna Eikmeiers Forschungsarbeit den Blick auf elementare Fragestellungen des improvisierenden Musizierens, die auch die Vermittlung von Improvisation betreffen. Der improvisierende Körper wird von ihr in einer Einzelstudie in den Blick genommen. Als Feldenkrais-Lehrerin hat sie Erfahrung mit der Verbesserung von Bewegungsabläufen. Ihr fiel auf, dass das körperliche Agieren in Improvisationsverläufen den in der Feldenkrais-Methoden angestrebten optimierten Bewegungsqualitäten nahe kam. Sie stellte also die Frage, welche Handlungs- und Musizierweisen das Improvisieren eigentlich auszeichnen, um so zu einer Qualitätsbestimmung des improvisierenden Musizierens zu kommen. In einer Art Labor improvisierte sie mit Zielgruppen unterschiedlichen Alters und verschiedener Instrumente, und sprach mit den MusikerInnen über ihre Erfahrungen. Damit fundiert sie die Erfahrung, dass Musiker improvisierend offenbar einen anderen ‚Gebrauch‘ ihres Körpers machen und dieses auch als positive Erfahrung erleben.

Der Freiburger Didaktik-Forscher Johannes Treß sieht die Vermittlung von Improvisation in einem wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Kontext. Ausgangspunkt ist die Idee, dass es zwischen Forschung und Praxis dringend Übersetzungen und Brücken bedarf. Die künstlerische Position der Improvisation und ihre potenzielle didaktische Vermittlung befinden sich in einem fortwährenden Spannungsverhältnis. Die bestehende überschaubare (deutschsprachige) Literatur scheint eher auf individuelle Konzeptionen und Blickwinkeln zu basieren. Es bestehen hier, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, eine Vielzahl von Ansätzen, unterschiedliche Bedürfnissen, Interessen und Voraussetzungen. Diese sind bezogen auf die Praxis der Schulen (Klassenunterricht, Instrumental- oder Ensembleunterricht) und der Hochschule ( künstlerischer und musikpädagogischer Studiengang).

Die Soziologin Silvana Figueroa-Dreher von der Universität Konstanz hat auf diese Weise seit langem die freie Improvisation beforscht und in einem kürzlich veröffentlichten Buch ihre Forschungen zusammengefasst. Sie formuliert zum Beispiel als grundlegend für improvisatorisches Handeln den Umgang mit Material, die wechselseitige Interaktion und die flexible Haltung der Handelnden. Als vierten Aspekt sieht sie Musikalisches unter dem Aspekt der Strukturbildung im Moment. Hier hebt sie die Emergenz hervor, also das Prozesshafte, nicht geplante oder zu planende Movens improvisatorischer Verläufe. Mögliche Folgerungen für die Improvisationspraxis bzw. für die Didaktik: Es scheint nicht nur um speziell musikalische Vermittlung gehen zu können, sondern es muss ein allumfassender Lernbegriff gelten, der auch in der Hochschullehre bzw. in der didaktischen Unterweisung künftiger Musiklehrer eine zentrale Rolle spielen sollte. Improvisieren lehren und lernen muss auch improvisierend geschehen: „Learning to improvise music; improvise to learn music and improvise music to learn”, formulierte Patricia Campbell. Der didaktische Fokus muss radikal auf die Lernenden-Perspektive gerichtet werden. Dabei geht es um Ermöglichung von persönlichem künstlerischen Lernen statt um Erzeugung bestimmter Ergebnisse und Qualitätsstandards. Für Hochschulen, die bisher vor allem ergebnisorientiert unterweisen lassen, ist dies sicher ein herausfordernder Aspekt und verlangt von den Lehrenden immer wieder Selbstsicherheit, Durchsetzungsvermögen und vor allem fundierte Grundlegungen.

Zehn verschiedene Kurse mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten machten deutlich, dass die Ansätze in der Improvisationsdidaktik so vielfältig wie die Musikerpersönlichkeiten sind, die diese vermitteln. Aber man kann feststellen, dass es trotz der Verschiedenheit auch gemeinsame Prinzipien gibt. Um Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten wenigstens andeuten zu können, folgt hier eine kurze Beschreibung der Workshops:

Die Kurse von Dagmar Boecker und Michael Gees (Musikhochschule Köln) sowie von Franziska Baumann (Musikhochschule Bern) hatten das vokale Improvisieren zum Schwerpunkt. In den Improvisationseinheiten von Boecker/Gees, die mit relativ großen Gruppen arbeiteten, führte der freie Gebrauch der Stimme auch zu spontanen performativ-szenischen Umsetzungen. Franziska Baumann konnte durch ihre Übungsanleitung sehr schnell den Raum für solistische Experimente wie auch vielfältige, interessante chorische Klanggebilde öffnen. Die Kurse von Corinna Eikmeier (Musikhochschule Hannover) und Peter Jarchow (Musikhochschule Leipzig, emeritiert) erzielten durch einen systematischen Aufbau der Übungen vom Einfachen zum Differenzierten einen bewussten Umgang mit musikalischem Material.

Im Wechselspiel von organisiertem Umgang mit Material und der spontanen Eingebung bewegten sich auch Katharina Klement und Burkhard Stangl (Musikuniversität Wien). Klement wendete kompositorische Prinzipien der Materialrecherche an und setzte zunächst aus Alltagsgeräuschen hergestellte grafische Notationen in instrumentales Spiel um. Durch Stangl wurden die Teilnehmer angeleitet, ein eigenes performatives Stück zu entwerfen und zu präsentieren. Bei Daniel Studer (Musikhochschule Bern) und Carl Ludwig Hübsch nahm die verbale Reflexion über die gespielte Musik einen großen Stellenwert ein. Hübsch machte die präzise Verbalisierung sogar zum Hauptthema, indem er an einzelne Kursteilnehmer spezifische Höraufgaben verteilte, die dann später ausgetauscht wurden. In den Workshops von Christoph Baumann (Universität Luzern) und Reinhard Gagel (Musikuniversität Wien) wurde mit kurzen Zeitabschnitten gearbeitet. Baumann erzeugte durch dirigierte „cuts“ Einschnitte ins laufende musikalische Geschehen, die sich im musikalischen Material sehr stark voneinander unterscheiden sollten. Ilka Siedenburg (Universität Münster) betonte in ihrem Kurs, sich bewusst zu machen, wer durch den Improvisationsunterricht erreicht werden soll. Aus ihrer Praxis als Ausbilderin von Schulmusikern baute sie modellhaft die Aufgaben so aufeinander auf, dass sie auf die Arbeit mit Jugendlichen übertragen werden können.

Erste Auswertung

Im Sinne didaktischer Forschung waren die Workshops Best-Practice Modelle. Sie sollten die Erfahrung der Teilnehmerinnen, vor allem Studierende der Musikhochschule Hannover, aber auch andere Interessierte aus ganz Deutschland, erweitern, die Unterrichtsweise der jeweiligen Lehrenden demonstrieren und die Arbeit an Improvisation vergleichbar machen. Die Workshops sind auf Video dokumentiert. Eine direkt auf die Tagung folgende Zusammenkunft der Workshopleiter und Vortragenden versuchte eine erste Auswertung. Sie bestand im ersten Schritt aus einer Berichterstattung der Teilnehmer aus den einzelnen Workshops und einer Diskussion über Abläufe und Inhalte. Weitergehende Videoanalysen lassen noch tiefere Einblicke in die Mikro-Abläufe von Unterrichtsprozessen rund um Improvisation erwarten.

Die verschiedenen Ansätze der Workshops lassen als Gemeinsamkeit zum Ersten erkennen, wie sich Lehrende von Improvisation immer in einem Wechselspiel von Freiheit und Organisation bewegen. Das verlangen der Gegenstand Improvisation als ebensolches Wechselspiel und die Zielvorstellung eines künstlerischen Unterrichts, der Studierende als Künstler mit eigenständigen Positionen ausbilden will. Daher ist immer im Mittelpunkt, zu experimentieren und eigene Lösungen zu ermöglichen. Niemand konnte den Anspruch haben, die eine Methode zu besitzen und den einen Weg vorzuschreiben. Allgemein stellen sich folgende Fragen, die jede der Unterrichtenden auf ihre Weise beantwortet: Wie wird eine Atmosphäre, in der neue Kreationen möglich sind, erzeugt? Wie werden die Spielerinnen und Spieler mental, sinnlich und körperlich vorbereitet? Wie wird durch geeignete Ansagen und Aufgaben, durch Unterrichtsaufbau und Zeiteinteilung konzentriertes Improvisieren ermöglicht und Beliebigkeit vermieden?

Im Prinzip geschieht improvisierendes Formen durch konzentrierte Übungseinheiten mit speziellen Aufgabenstellungen. So ist etwa die Fokussierung von Parametern (z.B. Material, Zeit, Dichte, Dynamik) und die daraus folgende schrittweise Öffnung in freieren Strukturen eine wirkungsvolle Methode, um Erfindung von Stücken auf der Basis von Klang zu ermöglichen und eine sorgfältigen Umgang mit musikalischem Material zu erzielen. Dabei spielt die Reduktion des musikalische Materials auf kleine Einheiten, die dann neu zusammengesetzt werden können, eine wesentliche Rolle. Ein anderer wichtiger Ansatz geht von der Konstitution der Spieler, der konzentrierten Situation aus: mit Warming-Ups, die Spieler empfangs- und gestaltungsbereit machen; durch Erfahrung von Stille als Grund der Tonerzeugung zu Erfindung und Entwicklung von Strukturen anregen oder durch räumliche Aufteilung und Markierung gezielt Orte der musikalischen Erfindung kreieren.

Sehr unterschiedliche Arten von Übungen und Aufgabenstellungen kamen zum Einsatz. Sie müssen auf angemessene Weise in den Unterricht aufgenommen werden. Angemessen heißt hier, dem sich improvisatorisch musikalisch Entwickelnden auch einen sich dem Wandelnden anpassenden Unterricht beizugesellen. Eine spezielle, in fixen Schritten vorwärtsgehende Methode kam in keinem Workshop zum Einsatz. Oft entstanden die Folgeschritte bzw. eine Aufgabenreihe erst im Kontakt und in Reaktion auf momentane Spielweise und die besonderen Bedürfnisse der jeweiligen Teilnehmerinnen. Kompositorische Vorlagen, zum Beispiel Konzepte oder Grafiken helfen, das musikalische Material zu erweitern und es zu organisieren. Sprachliche Ansagen in Form von Übungen und Spielregeln, Dirigate oder rahmende Zeitvorgaben erzeugen produktiven Widerstand zu freiem Erfinden, aber auch erkennbare formale Strukturen im musikalischen Ablauf.

Wie werden Instrumentalisten ermuntert, sich klanglich zu äußern ohne jegliche Vorgabe? Wie werden sie mit ihrem schöpferischen Ich in Verbindung gebracht und wie erfährt dieses einen Ausdruck? Hier wird ein sensibler Teil der Lehre angesprochen, der eben den Bezug zur so wichtigen künstlerischen Entwicklung herstellt. Die Ausbildung muss die Rolle eines Katalysators übernehmen. Hierfür muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der musikalische Äußerungen jenseits von „richtig“ und „falsch“ geschehen, in der eine Empfindung für Stille und Klang möglich ist, in der sich das Individuum entscheiden kann, spontan zu spielen, oder zu schweigen, sich hervorzutun, oder andere zu begleiten, sich in einem gemeinsamen Klang einzuordnen, oder ihn zu durchbrechen.

Improvisierend Lehren meistert die Herausforderung, spontane kreative Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Aus der Fülle von Möglichkeiten greifen Lehrende oft situativ Elemente aus ihrem Erfahrungsfundus heraus. Die eigene künstlerische Position hat bei der Wahl der Aufgabenstellung eine ebenso große Funktion, wie die momentane Zusammensetzung, das Arbeitstempo, die Vorerfahrungen und die Lernbereitschaft in der Gruppe.

Ausblick

Solche Fragen miteinander auszutauschen, ist im jetzigen Kontext von Improvisationsangeboten an Musikhochschulen sehr sinnvoll. Der Lerngegenstand Improvisation und seine Vermittlung müssen kontinuierlich verbreitet, durchdacht und durch Forschung untermauert werden. Improvisation als künstlerisches Fach erweitert das Spektrum, baut auf europäischer wie nicht europäischer Musiziertradition auf, nimmt sich aber ebenso aktuellen Musikströmungen an und fördert vor allem das eigene künstlerische Ausdrucksvermögen. Das gilt für künftige LehrerInnen ebenso wie für Instrumentalisten, die allzu oft im Handwerklichen ihrer Tätigkeit verloren gehen. Improvisation als künstlerisches Fach entwickelt einen neuen Typ von kreativen Musikern, die erfinden und aufführen, die planvoll denken und spontan reagieren, die die momentane Kraft einer Performance zu nutzen wissen und die auch vorstrukturieren und über ihr Tun nachdenken können. Die Vermittlung eines solchen Faches kann nicht nur aus der Schaffung von Lehrplänen in Kommissionen und dem Kampf um Verankerung im Hochschulkanon bestehen. Improvisation steht und fällt auch mit diesem Anspruch: die Arbeitsweise der Künstler der Improvisation muss auch für die Art der Vermittlung Vorbild sein. Das Arbeiten auf Augenhöhe, an der Schneide des Augenblicks, das Verständnis für die Dynamik künstlerischer Schöpfungsprozesse und der wirkliche Respekt vor den künstlerischen Äußerungen jedes Studierenden sind wichtige Voraussetzung. Improvisation improvisierend lehren sollte deshalb auch als ein Vorbild für schöpferisches, kreatives und persönlichkeitsförderndes Unterrichten allgemein gelten.

Literatur
Corinna Eikmeier: Bewegungsqualität und Musizierpraxis: zum Verhältnis von Feldenkrais-Methode und musikalischer Improvisation, Fernwald, Musikautorenverlag Muth 2016
Silvana Figueroa-Dreher: Improvisieren: Material, Interaktion, Haltung und Musik aus soziologischer Perspektive Wiesbaden, Springer VS 2016
Reinhard Gagel/Matthias Schwabe: Improvisation erforschen - improvisierend forschen, Bielefeld, transcript Verlag 2014

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