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Diether de la Motte. Foto: Mischa Erben
Diether de la Motte. Foto: Mischa Erben
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Auf spielerische Weise zu sich selbst finden lassen

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Manfred Trojahn zum Tod des Hochschullehrers und Komponisten Diether de la Motte
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Als die neue musikzeitung vor einigen Jahren Diether de la Motte um einen Beitrag zur Serie „Stück-Werk“ bat, leitete dieser seine pünktliche Lieferung wie folgt ein: „Bitte nicht in Ohnmacht fallen oder zu laut fluchen: Mein Beitrag (…) möchte gern 21 Notentakte enthalten. Ist das möglich? Mein Geschreib ist ja dafür nicht allzu lang. Aber niemand kennt diesen Komponisten und dieses Stück, und ich möchte so gern, daß das Gesagte in den Noten nachgeschaut werden kann und nachgeschaut wird!“ Und es folgte eine dieser unverwechselbar anschaulichen, von der Begeisterung für das Beschriebene getragene und diese weitervermittelnde analytische Betrachtung über Halfdan Kjerulfs „Wiegenlied“ (nmz 7-04). Am 15. Mai ist Diether de la Motte in Berlin gestorben, Manfred Trojahn erinnert an den Komponisten und Musiktheoretiker.

Als 1971 mein Kompositionsstudium bei Diether de la Motte in Hamburg begann, war er als Musiktheoretiker erst am Anfang einer beispiellosen Karriere. Erst einige Jahre zuvor war sein Buch „Musikalische Analyse“ erschienen, eines der wesentlichen Werke über Analyse überhaupt.

Das Buch zeigt die ungeheure Weite des Zuganges zur Musik, die de la Motte eigen war, der diesen Zugang vornehmlich aus den immanenten Mechanismen des musikalischen Geschehens bezog – und zwar auf die vielfältigste Weise.

In einer Zeit, in der die Spekulation über Musik immer wesentlicher wurde, stand dieser, gleichsam tonsetzerische Aspekt der Analyse, dem es an jeder akademischen Kleinlichkeit gebrach, recht überraschend da in der Landschaft der Musiktheorie; und seine Kraft wurde nur ein wenig von den krittelnden Anmerkungen des päpstlich waltenden Carl Dahlhaus gebrochen, der jeder der Analysen de la Mottes ein „Richtiges“ hinzufügte.

Nun war man als Kompositionsstudent in Hamburg – und vielleicht übertreibt meine Erinnerung hier sogar ein wenig – eigentlich permanent umgeben von den Größen der Musikwissenschaft. Helga de la Motte-Haber, Diethers Frau, begann ihre bemerkenswerte Laufbahn in diesem Fach zu der Zeit meines Studienbeginnes und so war auch Diether gleichsam familiär diesem Kreis verbunden und wird – so wie ich selber es eben auch erlebte – nicht viel Ermunterndes für die Kompositionsarbeit erfahren haben.

Wichtig für den Studenten war der komponierende Lehrer und während meiner Studienzeit entwickelte de la Motte seine kompositorische Arbeit fort von den traditionellen Formen, hin zu einer performativen Welt, in der er als selbst Musizierender immer häufiger in Erscheinung trat.

Die Idee des „Wandelkonzertes“, in dem nicht nur die Musiker sondern oft auch die Zuschauer „wandelten“, wurde in zahlreichen Variationen umgesetzt, zum Teil mit selbstgebautem Instrumentarium, zur Grundlage von Ensembles aus Instrumentalisten und Sängern der Hochschule, mit denen erfolgreiche und zuweilen sehr umstrittene Aufführungen in ganz Deutschland durchgeführt wurden.

Nahezu gleichzeitig entstand aber auch eine Oper, „So oder So“ für die Hamburgische Staatsoper, in der ganz in traditioneller Weise fünf Geschichten für Sänger und kleines Orchester auf die Bühne kamen.

Die Bandbreite de la Mottes kompositorischer Arbeit, die sich hier andeutet, dürfte es gewesen sein, die ihm ermöglichte, sehr unterschiedliche Studenten zu führen, und sie auf eine spielerische, nahezu unmerkliche Weise zu sich selbst finden zu lassen.

Einzelne Kritiken an soeben komponierten „großen Werken“ schienen fast banal und ein wenig einfach zu sein... erst lange Zeit später bemerkte man die außerordentliche Treffsicherheit mit der auf die Probleme in der Komposition hingewiesen wurde und mit der auch die Probleme des Komponisten ganz allgemein erfasst wurden.

Diether de la Motte tummelte sich zu meinen Studienzeiten nicht auf den Spielwiesen einer vom Rundfunk gehypten Szene der Neuen Musik. Letztlich blieb er dem musikantischen – hier im Sinne des selbst an der Musik Beteiligten – viel zu nahe, als dass er in der hochspekulativen Welt der Avantgarde seinen Platz hätte finden können.

Er fand ihn in seiner völlig eigenen Weise, mit Musiktheorie zu verfahren, und wurde so zum wohl wichtigsten Musiktheoretiker unserer Zeit.

Seine weltweit verbreiteten Lehrbücher über Harmonie, Melodie und Kontrapunkt haben die Sicht auf die uns umgebende Musik wesentlich verändert und uns perspektivisch ins Offene geführt. Dass daneben ein der Sprache nahes, manchmal kindliches, zuweilen kauziges aber immer anrührendes kompositorisches Werk entstand, das er mit Entertainerqualität selbst zur Aufführung brachte, zeigt die ungebrochene Kraft eines Komponisten, der einen ganz und gar ihm gehörenden Weg gefunden hatte.

Sein Weg als Lehrender von Hamburg über Hannover nach Wien, wo er nach seiner Emeritierung noch zehn Jahre lebte, hat ihn im Jahre 2006 nach Berlin geführt, wo auch Helga de la Motte-Haber inzwischen ihre Hochschularbeit beendet hatte. Erst im vergangenen November habe ich Diether de la Motte dort wiedergetroffen, und wir haben uns häufiger sehen wollen und haben das in ein paar gewechselten Briefen schon einmal geplant. Im Mai schrieb mir Helga, dass er an einer heimtückischen Krankheit leide und wenige Tage später erfuhr ich von seinem Tod.

Ich habe meinen wichtigsten Lehrer verloren und einen lieben Freund.

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