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Titelseite der nmz 2016/11.
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Auweia, Europa

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Theo Geißler zu EU, CETA und die Kultur
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Eine Startplattform der Fehlkonstruk­tion unserer Europäischen Union verfes­tigte sich 1999 mit dem halbgaren Abschluss des Vertrags von Amsterdam. Eigentlich sollte er eine weitreichende Reform der Gemeinschaft fixieren. Verabschiedet hat man dann ein wabriges Drei-Säulen-Konstrukt unter den Überschriften: „Europäische Gemeinschaften (EG)“, „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)“ und „Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)“.

Die Aufgaben wurden teils reichlich wahllos unter diesen Headlines versammelt. Kultur und Bildung landeten unter anderem zwischen Wirtschaftspolitik, Gesundheitswesen, Verbraucherschutz und Handelspolitik in einem Aufgaben-Sammelsurium unter der Rubrik „EG“. Die argumentativ fundierte Forderung zahlreicher Künstler, Kulturschaffender und ihrer Verbände, für den Kulturbereich eine eigene vierte Säule zu schaffen, fand kein Gehör. Initiativen wie „Europa eine Seele geben“ oder das „Weimarer Dreieck“ engagieren sich bis heute im doppelten Sinne unerhört. Dass den zwischen Ökonomie und Sicherheit fest eingespannten Eurokraten Kulturelles am Allerwertesten vorbeigeht, zeigt sich an der Selbstherrlichkeit, mit der diese hochbezahlten Brüsseler Luxuspolitiker über die gut begründeten Bedenken gerade auch der Pädagogen, der Musiker, der Schriftsteller oder der bildenden Künstler gegen so genannte Freihandelsabkommen wie CETA, TTIP oder TISA hinwegtrampeln. Ein paar unsichere Prozent Wirtschaftswachstum haben mehr Gewicht als der Schutz kultureller Identität oder des geistigen Eigentums.

Schändlich gerade die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien, die in ihren Nachrichten und Kommentaren derzeit platten Werbefunk für die Verfechter des sogenannten „freien“ Handels senden. Die vielen hunderttausend Menschen hierzulande, die bei Demonstrationen ihr tiefes Misstrauen gegen solche „Liberalisierungen“ zum Ausdruck brachten: Alles Deppen? Und fragwürdig die Haltung unserer Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die – wie gerade bei der Generalversammlung des Deutschen Musikrates, vielleicht als linientreue Parteisoldatin, geäußert – zu den CETA-Befürwortern gehört. Man darf gespannt sein, welche Volten sie schlägt, wenn der von ihr versprochene Erhalt der Buchpreisbindung im Nachgang zur Aufhebung des Medikamenten-Festpreises – auch ein EU-Geschoss – von irgendeinem europäischen Gerichtshof für „wettbewerbswidrig“ und deshalb ungültig erklärt wird.

Dass den professionellen europäischen Bananenkrümmungs-Messern und Präservativlängen-Vorschreibern derzeit vor allem tapfere Belgier widerstehen – wer weiß wie lange, denn der Diffamierungsdruck ist immens –, sollte uns beschämen. Immerhin gäbe es nach einem vorläufigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes noch verschiedene Ausstiegs-Möglichkeiten aus CETA und ähnlichen „Money-makes-the-World-go-round“-Szenarien. Etliche Klagen sind angestrengt, wie Axel Flessner, emeritierter Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Privatrecht den Mitgliedern des Deutschen Musikrates berichtete (Seite 21 dieser Ausgabe). Allerdings: Die Uhr tickt unerbittlich – und die Macht des Faktischen ist stark.

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