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Balance von Geschichte und Gegenwart

Untertitel
Der Internationale Buxtehude-Orgelwettbewerb in Lübeck und Hamburg
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Eine herausragende Persönlichkeit in Nordeuropa während der Barockepoche war der Lübecker Organist, Komponist und Musikmanager Dieterich Buxtehude (1637-1707). Zu seinem 300. Todestag im Jahr 2007 würdigten Kulturinstitutionen in Lübeck seine Bedeutung mit einem Festival: Die Musikhochschule Lübeck (MHL) veranstaltete erstmals einen Orgelwettbewerb unter seinem Namen, der sich nun international und 2018 in seiner fünften Ausgabe auch durch die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT) etabliert hat.

Ensemble historischer Orgeln

Die absolute Besonderheit des Wettbewerbs bietet laut Jurypräsident Jon Laukvik, Professor (em.) aus Stuttgart, den Teilnehmenden „die außergewöhnliche Gelegenheit, ihre Interpretationen eines vielfältigen Repertoires auf historischen Orgeln beziehungsweise Original-Repliken in Lübeck und Hamburg zu präsentieren. Durch diese einzigartige Orgelsituation befindet sich der Buxtehude-Wettbewerb, sogar im Vergleich zum berühmtesten, seit 1971 stattfindenden Orgelwettbewerb in Chartres, in einer exzeptionellen Position.“ Denn hier, sonst nirgendwo, stehen die größten und wichtigsten Orgeln des norddeutschen Barock. Von den etwa 80 Orgeln in Lübeck sind folgende Unikate der St. Jakobi Kirche zu nennen: die große Richborn-Orgel (1465/1673/1984) und das Richborn-Positiv (1673, Rekonstruktion) sowie die eigentliche Buxtehude- oder kleine Stellwagen-Orgel (1467/1637). Sie sind keine Serientypen, sondern gemäß dem Prinzip norddeutscher Orgelbautradition, ‚alles Gute von den alten Instrumenten zu übernehmen‘, ein gewachsener Bestand, sodass stets Vorgänger-Register oder -Pfeifen vorhanden sind. In Hamburg stehen die Schnitger-Orgel der St. Jacobi Kirche (1693) und die Flentrop-„Orgel für Bach“ (1720, Rekonstruktion) der St. Katharinen-Kirche zur Verfügung.

Im Übrigen nimmt der Buxtehude-Wettbewerb den Faden der berühmten Orgeltagung Hamburg/Lübeck 1925 wieder auf, als man den Wert der alten Instrumente entdeckte. Zum Programm des Buxtehude-Wettbewerbs gibt es da direkte Bezüge, so hat Johann Sebastian Bach etwa über die (Johann Adam) Reincken-Choralfantasie zum Wohlgefallen des Komponisten in Hamburg improvisiert. Für die Teilnehmenden sind diese Bedingungen zugleich ideal und herausfordernd: „Die Musik des norddeutschen Barock gehört für jeden Organisten zum Repertoire, das man hier auf genau den Instrumenten interpretieren kann, für die es komponiert wurde. Da entfaltet die Musik eine ganz andere Wirkung, und es wird einem das Privileg, auf diesen Instrumenten zu spielen, bewusst“, sagt Lars Schwarze (24 Jahre), MHL-Orgelstudent im zweiten Master-Semester. Und Noemi Seng, MHL-Studentin im Organisationsteam, fügt hinzu: „Die Begegnung mit den großartigen Organisten, die hier antreten, ist inspirierend für uns. Als Registrantin erlebe ich aus unmittelbarer Nähe, wie diese alten Werke auf höchstem Niveau interpretiert werden. Für uns ist es eine Ehre, mit dabei sein zu dürfen.“

Wettbewerb, Studium und Hamburg-Kooperation

Nun ist der Buxtehude-Wettbewerb kein sich selbst genügendes Ereignis, sondern hat Einfluss auf die Entwicklung individueller Fähigkeiten, indem man lernt, in relativ kurzer Zeit vorzubereiten und zu entscheiden, welche Registrierung und Manuale für eine Interpretation optimal sind, wenn man real am Instrument sitzt. Dazu müsse man, weil Orgeln unterschiedliche Stimmungssysteme haben, sehr viel Selbstverantwortung aufbringen, die man auch später in der Berufspraxis brauche, erklärt Lars Schwarze. Darüber hinaus, so MHL-Professor und Projektleiter Arvid Gast, richte sich dieser Wettbewerb an Studierende, die sich für eine gewisse Zeit auf das Gebiet Alte Musik konzentrieren wollen. „Im Hinblick darauf, dass Buxtehude ja selbst als Komponist und Improvisator kreativ war, haben wir dieses Jahr zusätzlich die Aufgabe gestellt, eine Motette im alten Stil zu bearbeiten. Die Teilnehmenden können einen Motettensatz von fünf Minuten Länge auswählen, müssen ihn ornamentieren und als Orgelsolostück neu formen. Wegen dieses Aspekts hatten einige Bewerber abgesagt, sie fühlten sich überfordert. Was damals üblich war, nämlich dass die Organisten Motetten spielten und diese kolorierten, wollen wir jetzt wieder fördern.“

Die institutionelle Kooperation mit der HfMT Hamburg begann bereits früher aufgrund freundschaftlich-kollegialer Kontakte zu den Professoren und Juroren Pieter van Dijk und Wolfgang Zerer, der die Konzeption und die Durchführung des Wettbewerbs als „schönes Beispiel für eine konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit“ bewertet. „Motivierend war und ist“, sagt Arvid Gast, „dass wir uns rege austauschen, etwa dadurch, dass wir gemeinsame Meisterkurse und Projekte organisieren. Wir hatten zudem beim Buxtehude-Wettbewerb immer einen Hamburger in der Jury und haben die Programme abgestimmt. Jetzt ist die Kooperation auch per Vertrag formell geregelt. Wir machen die Organisationsarbeit, sind zusammen Veranstalter“, sagt Arvid Gast, „und sammeln das Geld ein“. Dieses heikle Thema war und ist wie folgt geregelt: Der erste Buxtehude-Wettbewerb wurde allein von der Possehl-Stiftung Lübeck gefördert, beim zweiten komplementär von der Gemeinnützigen Sparkassen-Stiftung, die dann auch die dritte und vierte Ausgabe allein absicherte. Die Erweiterung im Duo MHL/HfMT erforderte weitere Sponsoren, sodass 2018 außer der Gemeinnützigen Sparkassen-Stiftung noch die  Familie Junge-Stiftung aus Lübeck und aus Hamburg die Oscar und Vera Ritter-Stiftung sowie die Gerhard Trede-Stiftung finanzielle Unterstützung gewährt haben.

Bewerbungen und Konzept

Seit 2012 findet der Buxtehude-Orgelwettbewerb im Rhythmus von drei Jahren statt. Zu den jeweils drei Runden werden maximal 18 Organisten bis zur Altersgrenze von cirka 30 Jahren zugelassen. Bisher wählte man nach Geburtsdaten und Aktenlage aus. Zum fünften Wettbewerb mussten die 35 Bewerber aus Südkorea, Japan, Russland, Portugal, Australien, Großbritannien, Italien und Deutschland erstmals Videos einreichen, die eine Kommission begutachtete, um dann über die Teilnahme nach den Kriterien Musikalität, Texttreue und Interpretationsstilistik zu entscheiden. Obwohl Wettbewerbe normalerweise öffentlich sind, haben Publikum und Medien aufgrund zu vieler touristischer Kirchenbesucher nur in der Finalrunde und zum Preisträgerkonzert freien Zugang. – Zur internationalen Jury gehören als renommierte Experten der bereits erwähnte Vorsitzende Jon Laukvik (Norwegen), Michel Bouvard (Frankreich), Pieter van Dijk (Niederlande), Ja-Kyung Oh (Südkorea), Wolfgang Zerer, Andreas Fischer, Gerhard Löffler (alle Deutschland) sowie von der MHL Arvid Gast und Franz Danksagmüller.

Letztgenannter hat aufgrund seiner genauen Kenntnisse der historischen Instrumente je ein neues Werk für den Orgelwettbewerb komponiert, wovon „Estampie“ (2007) nun weltweit auf entsprechenden Orgeln aufgeführt wird. „Weil wir alte Musik nicht nur pflegen, sondern im Jetzt leben wollen, haben wir obligatorisch ein zeitgenössisches Werk, das nicht vor dem Jahr 2000 entstanden sein darf, als eigene, von den Teilnehmenden für die Finalrunde selbst auszuwählende Komponente integriert. Für uns hat die Balance von Geschichte und Gegenwart einen hohen Stellenwert“, meint Arvid Gast im kollegialen Konsens. – Für die Hochschulstandorte Lübeck und Hamburg ist es wichtig, sich so zu profilieren. Der Buxtehude-Orgelwettbewerb hat nicht nur im Hinblick auf die Teilnehmenden und die Jury einen internationalen Status erreicht. Es gibt auch Interesse daran, dass etwa Studierende aus Frankreich durch eine Kooperation mit der MHL die historischen Orgeln kennen lernen. So zeigen sich durch die Konzentration individueller, institutioneller und organisatorischer Kräfte ungeahnte Perspektiven in der Organistenausbildung für die Zukunft.

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