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Barcarolle, Zaubertricks und Krebsgänge

Untertitel
Neuerscheinungen für Klavier
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Isaac Albéniz: Mallorca, opus 202 *** Reinhard Amon: Piano Essentials. 54 Classics in Theory and Practice, Klavier kompakt. Eine Anthologie von kurzen Stücken in Theorie und Praxis. *** Claude Debussy: Images (1894) *** Christian Ernst: Aus der Kindheit des Zauberers. Zwölf Klavierstücke mit Zaubertricks für Kinder

Isaac Albéniz: Mallorca, opus 202
Hg. Johannes Behr, Henle, München 2008 (HN 830), 6,50 Euro

Wie bei Isaac Albéniz’ berühmtem Asturias wurde auch bei Mallorca die Transkription für Gitarre weitaus populärer als die Originalfassung für Klavier. Henle legt nun das Original in einer Einzelausgabe vor. Eine verträumte Barcarolle in fis-Moll mit einem wunderbar gesanglichen Mittelteil in Fis-Dur. Das Stück ist etwas länger und schwieriger als die beliebten sechs Stücke aus España, aber ebenso eingängig. Große Hände sind von Vorteil. Die Ausgabe ist von gewohnt hoher Henle-Qualität. Ein Vorwort informiert über Hintergründe der Entstehung, die „Bemerkungen“ am Ende des Heftes geben Aufschluss über die Quellenlage und machen Entscheidungen des Herausgebers nachvollziehbar. Der Notentext ist klar und übersichtlich, mit guten Wendestellen. Die Fingersätze von Rolf Koenen verfolgen offenbar die Absicht, durch geschickte Handverteilung große Griffe besser spielbar zu machen. Darin könnte man an manchen Stellen noch weiter gehen und zugleich der Logik der Stimmführung mehr Aufmerksamkeit schenken.

Reinhard Amon: Piano Essentials. 54 Classics in Theory and Practice,
Klavier kompakt.
Eine Anthologie von kurzen Stücken in Theorie und Praxis. Doblinger, Wien 2008, 19,95 Euro

Eigentlich eine hervorragende Idee. Um für den Klavierunterricht der unteren Mittelstufe eine Verknüpfung von Theorie und Praxis herzustellen, wählt Reinhard Amon 54 Stücke von 44 Komponisten aus und greift bei jedem Stück ein analytisches Detail heraus, das er kurz erklärt. Die Stückauswahl ist überzeugend: durchweg qualitätvolle Stücke von Dietrich Buxtehude bis zur Gegenwart, alle von ähnlichem Schwierigkeitsgrad und gemäß der pädagogischen Absicht, schnell einen Überblick zu ermöglichen, ausnahmslos kurze Stücke von maximal zwei Seiten. Neben einigen immer wiederkehrenden Standards der Unterrichtsliteratur findet man Namen wie Carl Goldmark, Heinrich Hofmann, Gerald Schwertberger, Martha Schwediauer-Southwick sowie selten gespielte Stücke von Max Bruch, Johann Mattheson oder Jean Sibelius. Amon selbst steuerte zwei gediegene Kompositionen bei.

Leider lässt die Qualität der Kommentare erheblich zu wünschen übrig. Der Anknüpfungspunkt für die theoretische Betrachtung erscheint oft zufällig und für das betreffende Stück wenig erhellend. So wählt der Autor als Beispiel für motivisch-thematische Arbeit die Mittelstimme eines homophon-gesanglichen Stückes, die nichts Motivisches oder gar Thematisches an sich hat, sondern lediglich Dreiklangsbrechungen in verschiedenen Formen aufweist. Bei einem „Charakterstück“ von Hanns Jelinek weist er auf die zahlreichen dynamischen Abstufungen hin, ohne den aus theoretischer Sicht weit interessanteren Umstand zu erwähnen, dass es sich um ein Zwölftonstück handelt. Vollends auf Abwege gerät er bei seiner Suche nach einem Stück in einer Kirchentonart. Weil das letzte der „sechs kleinen Präludien“ von Bach (Schmieder-Verz. 999) auf der Dominante endet, erklärt er kurzerhand, es stehe nicht in c-Moll, sondern in g-Phrygisch. Hier liegt nicht nur der Autor falsch, auch das Lektorat hat offensichtlich geschla-fen. Fehlende Quellenangaben und eine oftmals ungenaue Sprache vermögen den Gesamteindruck nicht zu heben.

Das pädagogische Anliegen, durch analytische Betrachtung zu einem vertieften Verstehen der gespielten Stücke zu gelangen, bleibt dennoch außerordentlich wichtig, und die ausgewählten Stücke sind dazu prinzipiell geeignet. Dem Lehrer, der zu dieser Sammlung greift, käme die Aufgabe zu, so manchen schiefen Kommentar geradezurücken und neue Aspekte einzubringen, die für die Interpretation von Bedeutung sind. Erst dann kann die Verknüpfung von Theorie und Praxis für den Schüler zum inspirierenden Erlebnis werden.

Claude Debussy: Images (1894), Hg. Ernst-Günter Heinemann, Henle, München 2008 (HN 846), 12,00 Euro

Beim Stichwort Images von Claude Debussy denkt man spontan an die beiden wundervollen Hefte der Jahre 1905 und 1907, die geradezu exemplarisch für einen musikalischen Impressionismus stehen. Doch gibt es noch ein frühes, auch Images oubliées genanntes Werk aus dem Jahr 1894, das erst allmählich bekannt wird. Obwohl Debussy offenbar eine zusammenhängende Veröffentlichung der drei Stücke geplant hat, kam es zu seinen Lebzeiten nicht dazu. Erst 1977 (!) wurden sie bei Theodore Presser in Bryn Mawr, Pennsylvania, zum ersten Mal veröffentlicht. Der Peters-Verlag bringt die Stücke in Band 7 seiner Debussy-Gesamtausgabe. Es ist zu hoffen, dass die neu erschienene Einzelausgabe des Henle-Verlags dazu beitragen wird, diese schönen, für Unterricht (Mittelstufe 2) und Konzert gleichermaßen interessanten Stücke bekannt zu machen. Wie immer bei Henle ist die Ausgabe mit einem informativen Vorwort und detaillierten Quellenangaben versehen.

Im Autograph gibt Debussy eine einführende Charakterisierung: „Diese Stücke scheuen die hell erleuchteten Salons, in denen sich gewöhnlich Leute einfinden, die sich nichts aus Musik machen. Es handelt sich eher um ,Konversationen‘ des Klaviers und des Ichs, und es ist übrigens nicht verboten, die spezielle ,Stimmung‘ aus verregneten Tagen in sie einfließen zu lassen.“

Besonders das erste, „Lent“ überschriebene, nur drei Seiten lange Stück ist eine Entdeckung. Eine zunächst einstimmig vorgetragene lyrische Melodie in fis-Moll erscheint im Verlauf des Stückes in immer neuen harmonischen Zusammenhängen. Stilmittel wie Parallelführung von Akkorden, aus der Ganztonleiter gebildete Klänge sowie manche überraschende Harmonisierung lassen bereits den reifen Debussy ahnen. Das zweite Stück ist eine frühe Form der Sarabande aus Pour le Piano, während das dritte, „Très vite“ überschriebene einige Parallelen zu „Jar-dins sous la Pluie“ aus Estampes aufweist.

Christian Ernst: Aus der Kindheit des Zauberers. Zwölf Klavierstücke mit Zaubertricks für Kinder, Robert Lienau Musikverlag, Frankfurt 2008 (RL 41030), 13,50 Euro

Ein ansprechender Titel und ein überzeugender pädagogischer Ansatz. Christian Ernst legt zwölf kurze Klavierstücke vor, die mit Hilfe von „Zaubertricks“ verändert werden sollen. Das Heft richtet sich an Klavierschüler/-innen ab dem zweiten Unterrichtsjahr. Schon die Überschriften der Stücke regen die Phantasie an: „Einzug der Ritter“, „Das kleine Teufelchen“, „Kobolde“ et cetera. In den Vorschlägen zur Veränderung werden die Kinder auf sehr sympathische Weise angesprochen. Der Autor greift die Überschriften wieder auf (der kleine Ritter ist zum Beispiel traurig, weil er das Turnier verloren hat), ohne die Bildebene zu überfrachten. Die Aufgaben reichen von einfachen Varianten wie beispielsweise Verwandlung von simultan angeschlagenen Dreiklängen in Alberti-Bässe über Veränderungen von Artikulation, Dynamik, Oktavlage, Tongeschlecht bis zur Kombination von Elementen aus verschiedenen Stücken und zum Erfinden eigener Melodien. Dabei wird die Aufmerksamkeit konsequent auf das klangliche Resultat gelenkt – die Kinder sollen beobachten, wie sich der musikalische Ausdruck verändert und gegebenenfalls neue Titel finden.

Trotz dieser sorgfältigen pädagogischen Durchgestaltung geraten die Spielvorschläge manchmal etwas spekulativ und sprechen weniger das Ohr als das abstrakte Denkvermögen an, etwa bei der Aufgabe, zur gleichbleibenden Begleitung die Melodie in der Umkehrung zu spielen, oder das u  u ganze Stück im Krebsgang. Die Stücke sind von unterschiedlicher Qualität. Vor allem in den leichtesten Beispielen fehlt ein überzeugender musikalischer Spannungsbogen, sie treten rhythmisch und melodisch oft auf der Stelle. Die besten Stücke finden sich im letzten Drittel der Sammlung.

Zum positiven Gesamteindruck steuert der Verlag ein zauberhaftes Titelbild und ein sehr schönes Layout bei.

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