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Volker Müller im ausgelagerten Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln-Ossendorf. Foto: WDR/Jansen
Volker Müller im ausgelagerten Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln-Ossendorf. Foto: WDR/Jansen
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Bewahrer des WDR-Studios für elektronische Musik

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Zum Tod des langjährigen technischen Leiters Volker Müller
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Während jahrzehntelanger Arbeit war ihm die analoge Tonbandtechnik in Fleisch und Blut übergegangen. Noch als rüstiger Rentner hantierte er wieselflink beim Einlegen, Schneiden, Kleben und Führen von Bändern über Maschinen, Teller, Tonköpfe, Schleifen. Begeistert und begeisternd erklärte er die Funktionen und Kombinationsmöglichkeiten von Sinus-, Impuls-, Sägezahn- und Rauschgeneratoren, Filtern, Bandmaschinen, Hallplatten. Mit Vorliebe demonstrierte er, wie sich neue Klänge aus zufälligen Radio­schnipseln generieren lassen, ebenso einfach wie auf hundertstel Sekunden genau durch Oktavieren, Loopen, Überlagern, Filtern, Verlangsamen, Beschleunigen, Rückwärtslauf et cetera. Der späteren Digitaltechnologie stand er jedoch fremdelnd gegenüber. Im Internet zeigen ihn viele Videos, wie er anschaulich Auskunft gibt über die alten Analog-Geräte, seltener über Synthesizer, Mischpulte, Sampler, Vocoder sowie digitale Prototypen der 1980er und 90er Jahre. Wenige Wochen vor seinem 79. Geburtstag ist Volker Müller am 16. Februar gestorben.

Seit 1971 arbeitete er als 1. Programm-Ingenieur im Studio für elektronische Musik des WDR, das sich seit 1953 unter den künstlerischen Leitern Herbert Eimert und dann Karlheinz Stockhausen zu einem Magneten für Musikschaffende aus der halben Welt entwickelt hatte. Bis zur Schließung Ende 2000 stand hier Volker Müller vielen namhaften Komponisten bei deren Produktionen zur Seite, allen voran Stockhausen. Nach „Sirius“ von 1976 realisierte Müller auch die Elektronik von dessen Opern „Montag“, „Freitag“ und „Mittwoch“. Rechte Hand war er auch für York Höller, der die künstlerische Leitung des Studios 1990 übernahm und hier die Elektronik zu seinen Orches­terwerken „Schwarze Halbinseln“ und „Pensées“ produzierte. Ferner zu nennen sind Henri Pousseur, Luc Ferrari, Peter Eötvös, John McGuire, Jonathan Harvey, als einzige Komponistinnen Younghi Pagh-Paan und Unsuk Chin, sowie Ende der 1990er Jahre Marco Stroppa, Paulo Chagas und Kilian Schwoon. Welchen mitschöpferischen Anteil der Ingenieur bei der Entstehung all dieser Kompositionen hatte, auch als kritischer Mitdenker und Mithörer, ist kaum zu ermessen, auch wenn er sich selbst stets professionell und bescheiden als Techniker bezeichnete.

Nachdem das Studio bereits innerhalb des Funkhauses zweimal hatte umziehen müssen, wurde es 1986 in die Annostraße in der Kölner Südstadt verlegt. Schließlich mussten die vielen hunderte Geräte erneut abgebaut werden, als der WDR dessen Betrieb einstellte. Dem Einsatz von Volker Müller ist es zu verdanken, dass das über fünf Jahrzehnte gewachsene und weithin einzigartige Ensemble an Audiotechnik damals nicht verkauft oder verschrottet, sondern in einem Kellerraum in Köln-Ossendorf wieder funktionsfähig aufgebaut und wenigstens zur Digitalisierung analoger Tonbänder genutzt wurde. Noch nach seiner Pensionierung 2007 wartete Müller als freier Mitarbeiter den Geräteparcours. Das erstrangige Kulturgut zeigte er gerne und ausgiebig internationalen Fachbesuchern aus Komposition, Musikwissenschaft, Noise, Techno, Electronica, Krautrock und ganzen Hochschulseminaren. Alle wurden freundlich mit Kaffee und Kuchen empfangen und von Müllers Begeisterung angesteckt. Bis zuletzt kümmerte er sich um die Dokumentation von Schaltplänen, um das Studio dereinst wieder aktiver Nutzung zuführen zu können. Noch jüngst war er bei einer Präsentation des Studios auf der Website Google Arts & Culture beteiligt.

Seit zwanzig Jahren scheitern jedoch alle Pläne einer Revitalisierung, zuletzt im Haus Mödrath bei Kerpen und jüngst in Köln-Raderthal im denkmalgeschützten ehemaligen Sendegebäude der Westdeutschen Rundfunk AG von 1927. Es gehört der Stadt, deren Liegenschaftsamt jedoch das Nutzungsrecht für eine Beherbergung des Studios nicht änderte. Ziel ist kein totes Museum, sondern ein lebendiger Betrieb mit Künstlerresidenzen, Produktionen, Aufführungen, Workshops, Forschungs- und Vermittlungsprojekten. Angesichts global standardisierter Software interessieren sich tatsächlich immer mehr Musikschaffende wieder für die alten Technologien. Aktuell erarbeiten Stadt Köln, WDR und Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW einen Plan zur Unterbringung des Studios im Rahmen der baulichen Erweiterungen des Zentrums für Alte Musik Köln auf dem Helios-Gelände in Köln-Ehrenfeld. Die irgendwann vielleicht doch noch kommende Renaissance des Studios wird Volker Müller leider nicht mehr erleben.

 

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