Brisanz
Ein Artikel von Reinhard Schulz
Vor nunmehr zehn Jahren leistete in bezug auf die Musik eine von Albrecht Dümling und Peter Girth (der in diesem Jahr im Alter von nur 55 Jahren gestorben ist) zusammengestellte Dokumentation gründliche Aufklärungsarbeit. Man hatte die berüchtigte Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ rekonstruiert und Information mit kritischer Näherung zusammengebracht (unser Titelbild zeigt das Bild „Großes Stilleben mit Saxophon“ von Max Beckmann, der im Dritten Reich ebenfalls als entartet galt). Die Ausstellung, gekoppelt mit einem Buch und einer CD-Box, hat bis heute nichts von ihrer Brisanz eingebüßt. Sie weist darauf hin, wie nahe gegenwärtiger Umgangston mit der unseligen deutschen Geschichte aus Fremdenhaß, eigenem Überlegenheitsdünkel und sich anbiederndem Untertanengeist verknüpft ist.
Zur Aufarbeitung der alten faschistischen Strukturen hat die Wachsamkeit vor deren neuem Potential zu treten. Und es sind eher noch schwache Indizien, wenn der neue Berliner GMD Thielemann ohne Bedenken den Lieblingsmarsch Hitlers in ein Programm integriert oder wenn bei den Debatten um James Levine ein sittliches Führungszeugnis fast wie ein Ariernachweis (von den Grünen!) verlangt wird. Die repressiven Vorurteile unterminieren weite Bereiche des Denkens und steuern Handlungs- wie Entscheidungsmechanismen – selbst in scheinbar völlig unpolitischen Bereichen. So versucht der zweite Teil unseres Dossiers aufzuweisen, in welcher Weise das Weihnachtslied im Dritten Reich für die eigenen Zwecke in Beschlag genommen wurde.
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