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Cluster 2012/12 - 1

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Unworte 2012
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Orchesterfusion, Diskothekensterben: Kulturinfarkt. Das Jahr 2012 hat uns nicht mit unangenehmen Überraschungen verschont. Zuletzt griffen, unter der Flagge des demokratietümelnden Schildbürgers in Uniform segelnd, die Piraten in Bonn die dortige Oper an. Zuvor fusionierten Intendant und Rundfunkräte des SWR zwei Orchester zu einem. Von Piraten, Intendanten und Rundfunkräten in die Zange genommen, arbeitet man auf einen chronischen von außen zugefügten Kultur­infarkt hin.

Zum Infarkt kommt es, wenn die Ernährung eines Gewebes unterbrochen wird. Gelingt es dem Körper nicht, um die problematische Stelle herum Kollateral-Kreisläufe zu bilden (so etwas wie bürgerschaftliches Engagement und private Initiative gehören im übertragenen Sinn dazu), ist ein Infarkt kaum zu vermeiden. Die Politik unternimmt dennoch alles Denkbare, um den Infarkt herbeizuführen, obwohl sie weiß, dass Organersatz sehr teuer und gegebenenfalls nur durch Immunsuppressionsmaßnahmen an der Gesellschaft zu realisieren ist.

Infarkt droht aber auch bei Immobilisierung, also überall dort, wo Kultur stillsteht. Das sieht man an den angeblich bald so toten Diskotheken und Clubs. Ihr Kulturgeschäftsmodell steht nämlich still. Denn es ist mehr ein bloßes Geschäftsmodell als irgendetwas Kulturelles und darüber hinaus eine perfekte Landebahn für Politiker, die auf der Klaviatur des Populismus Übungen machen wollen. Es ist schon komisch, alle glauben, sie kennen die richtige Medizin, und jeder verordnet sie schnell, dabei wäre es an sich zweckdienlich, sie zuvor bei sich selbst testen – viel Unfug wäre dann auf Grund einsetzender Schmerzen passé.

Doch was hilft das Jammern: Mobilität der Kultur ist immer noch das Mittel der Wahl gegen einen Infarkt und Mobilisierung das Mittel, um „die Menschen beweglicher machen als sie sind. Frei wie Tänzer, geistesgegenwärtig wie Fußballspieler, überraschend wie Guerilleros“, wie vor 40 Jahren Hans Magnus Enzensberger schrieb. Was wir jedoch gerade verspüren, ist die zunehmende Verfertigung von Zwangsjacken (von G8 bis Bologna, von Evaluationswahn bis zur totalen Leistungsüberwachung). PS: Auf das Internet zu hoffen wäre angesichts seiner Beherrschung durch drei Firmen und zwei Produkte schlicht weltfremd. 

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