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Den Unterricht nicht zu sorgfältig vorbereiten!

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Berufungsverhandlung zur Unterrichtspflichtzeit an nicht-musischen Gymnasien
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Im Juni 2017 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Klage vierer VBS-Mitglieder auf Gleichstellung der Musiklehrkräfte an nicht-musischen Gymnasien mit Lehrkräften so genannter „wissenschaftlicher Fächer“ ab, die Klagenden legten mit Unterstützung des VBS Berufung ein. Nach knapp zweieinhalb Jahren Wartezeit erging nun am 25. November 2019 das Urteil im Berufungsverfahren: Das Gericht wies die Berufung zurück, eine Revision wird nicht zugelassen.

In seiner Urteilsbegründung bekräftigte der 3. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Wesentlichen die Positionen der erstinstanzlichen Entscheidung (siehe auch nmz 11/2017).  Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen reagierten darauf mit Empörung, Frustration und teilweise auch Resignation (siehe unten). Im Folgenden sind die wichtigsten Aspekte aus Verhandlung und Urteilsbegründung zusammengefasst.

Festlegung der UPZ auf Basis von pauschalisierenden Annahmen und Schätzungen

In der Verhandlung erkundigte sich der vorsitzende Richter nach der Genese der heutigen UPZ-Regelung. Vertreterin und Vertreter des Dienstherrn führten dazu aus, dass die Festlegung der Unterrichtspflichtzeiten von jeher ausschließlich auf pauschalisierenden Annahmen und Schätzungen als Grundlage beruhten und dass dies vollkommen vom Ermessensspielraum des Dienstherrn gedeckt sei. Erhebungen zur empirischen Überprüfung der UPZ wurden bisher nicht durchgeführt und sind auch für die Zukunft nicht geplant. Des Weiteren wurde darauf verwiesen, dass es in praktisch allen Lebensbereichen in den vergangenen Jahrzehnten Arbeitsverdichtungen gegeben habe, der Schulbereich könne sich dem nicht entziehen.

Diese Einschätzung wurde direkt ins Urteil übernommen: Es liegt im Organisationsermessen des Dienstherrn, festzusetzen, für welche Tätigkeiten welche Personalausstattung zur Verfügung gestellt wird. „Die Beamten sind ggf. gehalten, ‚die Arbeitsprozesse zu verdichten‘“. Ein von den Klägern vorgelegter Stundenentwurf einer praxisorientierten Unterrichtsstunde der 7. Jahrgangstufe im Fach Musik wird im Urteil mit den Worten gewürdigt: „Es liegt auf der Hand, dass nicht alle Unterrichtsstunden mit dieser Verve vorbereitet werden oder werden können.“ Damit bestätigt sich ein Eindruck, der schon in der ersten Gerichtsverhandlung im Juni 2017 befremdete (siehe nmz 11/2017): Damals bekundete die Rechtsvertreterin des Staatsministeriums in der Verhandlung, der Dienstherr könne „Prioritäten setzen“ und auf diese Weise bestimmen, welche Vorgänge „gründlicher“ bearbeitet werden sollten als andere. Übertragen auf das Thema „Unterrichtsvorbereitung“ lässt sich das nur interpretieren als Aufforderung, eben weniger gründlich zu arbeiten, um im Rahmen der für bayerische Beamtinnen und Beamten vorgesehenen Arbeitszeiten bleiben zu können. Jenseits der Frage, wie sich dies mit Berufsethos und professionellem Selbstverständnis einer Lehrkraft in Einklang bringen lässt, steht damit erneut die Frage im Raum, ob ein Unterrichts- und Kultusministerium so etwas ernsthaft wollen kann.

Auch eine weitere Äußerung eines Ministeriumsvertreters erscheint in diesem Kontext bemerkenswert: Die Verantwortung für die Lehrerarbeitszeiten liege letztlich beim Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) und im Besonderen bei den Mitgliedern der Lehrplankommissionen. Diese bestünden im Wesentlichen aus Lehrkräften, die Erfahrungswerte aus ihrer persönlichen Unterrichtstätigkeit einbrächten. In ihrer Zuständigkeit liege es damit auch, die Fachlehrpläne so zu gestalten, dass die Lehrplaninhalte für alle Lehrkräfte im Rahmen der verfügbaren Arbeitszeit zu bewältigen seien.

Fragwürdige Differenzierung „wissenschaftlich“ – „nicht wissenschaftlich“

Die Einstufung eines Unterrichtsfachs als „wissenschaftlich“ bzw. „nicht wissenschaftlich“ erfolgt ausschließlich auf Basis des vermuteten Aufwands für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Juristisch noch einmal zu klären war die Frage, ob der Dienstherr bei der Einstufung des Schulfachs Musik als „nicht wissenschaftlich“ willkürlich handelt. Das Gericht verneint dies unter anderem mit dem Hinweis, dass das Schulfach Musik „dem landläufigen Bild der Vorstellung von Haupt- und Nebenfächern entspricht und letztere eher praktischer Natur, denn theoretischen Inhalts sind.“ Eines konkreten, einzelfallbezogenen Belegs, valider Erhebungen oder empirischer Untersuchungen bedürfe es dabei nicht, vielmehr genüge ein auf Schätzungen beruhender annähernder Ausgleich, der bei Bedarf nachvollziehbar zu erläutern sei. Diese „nachvollziehbare Erläuterung“ sah der 3. Senat durch die Argumentation des Dienstherrn gegeben, er lasse sich bei der Festlegung der Unterrichtspflichtzeit davon leiten, dass die sogenannten „wissenschaftlichen“ Unterrichtsfächer mit fachtheoretischem Schwerpunkt mit deutlich höherem „kognitiven Vorbereitungsaufwand“ und höherem Arbeitsaufkommen für Korrekturen verbunden seien.

Beim Unterrichtsfach Musik in den Jahrgangsstufen 5 bis 9 sei kein fachtheoretischer Schwerpunkt gegeben, dem praktischen Musizieren komme mindestens gleiches Gewicht zu. Im Unterschied zu praktischen Übungen in naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern, deren Ziel es sei, dass die Schülerinnen und Schüler theoretische Inhalte verstünden, erkennen oder nachvollziehen könnten, geht es nach übereinstimmender Auffassung von Dienstherr und Gericht im Musikunterricht in erster Linie darum, „Freude am praktisch-künstlerischen Tun“ zu vermitteln – und nicht um den Erwerb von Kompetenzen. Wie ist dies in Einklang zu bringen mit dem viel beschworenen Etikett „Kulturstaat Bayern“ und den Bildungszielen des LehrplanPLUS?

Jenseits der Tatsache, dass für den Musikunterricht in der Unter- und Mittelstufe sehr wohl Korrekturaufwand anfällt und sich die Forderungen des alten wie des neuen Lehrplans wohl kaum ohne „kognitiven Aufwand“ in konkrete Unterrichtsstunden umsetzen lassen, wirft vor allem die pauschale Unterstellung Fragen auf, musikpraktischer Unterricht sei in der Vorbereitung grundsätzlich weniger aufwendig als Unterricht mit „theoretischem“ Schwerpunkt. Bereits in der erst­instanzlichen Verhandlung hatte Rechtsanwalt Zimpel die Frage aufgeworfen, woraus sich die Behauptung ergebe, dass praktischer Unterricht weniger vorbereitungsintensiv sei. Der vorsitzende Richter attestierte dem Anwalt damals, geschickt argumentiert und das Gericht ins Nachdenken gebracht zu haben. In seinem Urteil kam das Gericht 2017 dennoch zum Schluss, die Bemessung der Unterrichtspflichtzeit sei zwar an der Grenze des Ermessensspielraums des Dienstherrn, aber eben noch in dessen Rahmen. Bei dieser Einschätzung blieb das Gericht auch in der Berufungsverhandlung, obwohl die Vertreter des Beklagten nach wie vor keine Belege für diese Behauptung vorweisen konnten und können.  

Zum wiederholten Mal wurde in der Verhandlung vorgetragen, dass sich Inhalte des Musikunterrichts und das Berufsbild der Musiklehrkräfte in den vergangenen 40 Jahren grundlegend gewandelt haben: Noch in den 1970er und 80er Jahren gehörte das Erteilen von Instrumentalunterricht auch an nicht-musischen Gymnasien zur regelmäßigen Tätigkeit von Schulmusikerinnen und musikern. Hintergrund war die seit Beginn des 19. Jahrhunderts bestehende Tradition, an jedem bayerischen Gymnasium ein Schulorchester zu pflegen. Über diese legitimierte sich auch jahrzehntelang das Doppelfachstudium: Das „zweite Fach“ der Musiklehrkräfte für das künstlerische Lehramt an Gymnasien, so die damalige Berufsbezeichnung, war Instrumentalunterricht, und das Schulmusikstudium enthielt bis Mitte der 1990er Jahre entsprechende Ausbildungsanteile. Instrumentalunterricht in Kleingruppen erfordert in Vor- und Nachbereitung sicherlich weniger Aufwand als Klassenunterricht in Musik; vor diesem Hintergrund erscheint das im Vergleich zu Lehrkräften anderer Schularten erhöhte Lehrdeputat durchaus nachvollziehbar.

Seit den 1970er Jahren wurde der von Schulmusiker*innen erteilte Instrumentalunterricht aber sukzessive zugunsten von Klassenunterricht und Ensemble-Wahlunterricht abgebaut, die entsprechenden Ausbildungsanteile verschwanden aus den Studienordnungen. Hinzu kommt der seit Ende der 1990er Jahre anhaltende Boom des Klassenmusizierens mit Stimme und Instrumenten. Wenn heute mit Blick auf das Schulfach Musik von „praktischem Unterricht“ die Rede ist, meint man damit etwas völlig anderes als zu der Zeit, in der das erhöhte Stundendeputat für Musiklehrkräfte festgesetzt wurde. Dieser Umstand blieb bei der Urteilsfindung in beiden Instanzen völlig unberücksichtigt.

Wie geht es weiter?

Die vier Klägerinnen und Kläger haben, vertreten durch RA Michael Zimpel, am 7. Januar Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Damit soll erreicht werden, dass eine Revision doch noch zugelassen wird – wohl für längere Zeit eine letzte Möglichkeit, vielleicht doch noch eine Änderung der aktuellen, sehr unbefriedigenden Situation zu erwirken.



„Wertschätzung durch den Dienstherrn sieht anders aus“
Gesammelte Reaktionen auf das UPZ-Urteil

Wie schon zum UPZ-Urteil erreichten uns auch zum Ergebnis der Berufungsverhandlung zahlreiche Reaktionen per E-Mail und über Facebook. Wiederum wurde deutlich, dass das Urteil nicht nur juristische Wirkung entfaltet, sondern auch demotivierend wirkt und Fragen nach der gesellschaftlichen und politischen Anerkennung der Arbeitsleistung von Musiklehrkräften aufwirft. Auszüge aus diesen Zuschriften sind hier in anonymisierter Form zusammengestellt.

„Die – für mich absurde – Konsequenz aus diesem Urteil: wenn wir also unsere ‚Arbeitsprozesse verdichten‘ (weniger praktischen und mehr theoretischen Unterricht geben – auch wenn das der Gesetzgeber wohl so nicht unterschreiben würde), würden wir uns automatisch mehr dem nähern, was der Beklagte als charakteristisch für ‚wissenschaftlichen Unterricht‘ erachtet.“

„Sehr schön! Also haben wir sozusagen nun die offizielle Legitimation im Unterricht zum Singen und Klatschen...“

„Ich bin wie wir alle schockiert und frustriert über die Darstellung, mit der unser Dienstherr den gymnasialen Musikunterricht und die in meinen Augen unverzichtbare und wertvolle Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen im Zusammenhang des gesamten Fächerspektrums beschreibt. Nicht allein die unerklärliche Unterscheidung zwischen den Lehrkräften an musischen und nichtmusischen Gymnasien trifft hart, nein, auch die hier nun gerichtlich begründete Vorstellung eines Musikunterrichts in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung sowie die Einschätzung des Anteils dieser Arbeit am gelingenden und oftmals wegen der Musik gefeierten Schullebens findet bei mir absolut kein Verständnis. Dass da die Juristen der substanzlosen Argumentation folgen, zeugt eher von Unkenntnis, verkrusteten Vorstellungen bzw. mangelnder Überparteilichkeit. Es fehlt bis heute eine nachvollziehbare und in der Sache stichhaltige Erläuterung der Gründe für die bzgl. UPZ unterschiedliche Behandlung des Faches Musik am Gymnasium im Vergleich zu anderen Fächern. Der Vorwurf der Willkür ist für mich in keiner Weise ausgeräumt, besonders mit Blick auf die Entwicklung des Fachunterrichts und der Lehrpläne in den vergangenen mehr als 40 Jahren.“

„Ich selbst hatte während meiner Schulzeit (Abi 77) immer bei meinem Musiklehrer Geigenunterricht. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass 27 Stunden damals nicht ganz unberechtigt waren. Ein mittlerweile verstorbener Kollege hatte damals fast zur Hälfte Violinunterricht – gut, sicherlich eine Ausnahme, aber auch ein anderer älterer Kollege trauerte lange dem Instrumentalunterricht nach. Bei ihm waren es, wenn ich mich recht erinnere, 4 Stunden pro Woche. Seitdem hat sich die Situation aber grundlegend geändert.“

„Frustrierend, von seinem Arbeitgeber nicht ernst genommen zu werden.“

„Wertschätzung durch den Dienstherrn sollte anders aussehen, als wir es in den vergangenen Jahren erlebt haben.“

„Es ist bestätigt worden und wir haben den Rechtsstreit verloren: Die Schulmusiker in Bayern machen laut Revisionsverhandlung gegenüber anderen Fächern am Gymnasium einen ‚unwissenschaftlichen Unterricht‘ und müssen deswegen pro Woche weiterhin 4 Stunden mehr unterrichten! Das baut auf!“

„Das muss man sich zu Zeiten von MINT mal vorstellen. Einseitiger geht es doch nicht und um menschlich Kreativität und Empathie auch nicht. Künstlerische Fähigkeiten werden völlig unterbewertet, anstelle den jungen Menschen gerade damit eine Balance zu ermöglichen. Sehr schade!!“

„Leider haben die Richter und Politiker alle nicht die Artes Liberales studiert: Seit dem Beginn der Universitäten gehörte die Musik im Quadrivium zusammen mit Geometrie, Arithmetik und Astronomie zum Grundstudium, verpflichtend. Die Welt sähe anders aus, wenn Musik als Fach ihren Stellenwert wieder bekäme.“

  • Zusammenstellung: Gabriele Puffer
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