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Foto: Archiv der Gesellsch. der Musikfreunde Wien
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Der hellwache Verwandlungskünstler

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Gottfried von Einem zum 100. Geburtstag
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Am 24. Januar beging Wien den 100. Geburtstag von Gottfried von Einem (1918–96). Die meisten kennen Einem als höchst erfolgreichen Opernkomponisten („Dantons Tod“ nach Büchner, „Der Prozess“ nach Kafka, „Der Zerrissene“ nach Nestroy, „Der Besuch der alten Dame“ nach Dürrenmatt und „Kabale und Liebe“ nach Schiller), doch die wenigsten kennen seine Musik. Nicht nur, dass seine späteren, weniger aufsehenerregenden Opern keineswegs uninteressanter wären („Jesu Hochzeit“, „Tulifant“ und „Lucifers Lächeln“, allesamt auf Libretti seiner Frau Lotte Ingrisch), man hat ihn – der einst in den Konzertsälen der Welt rauf und runter gespielt wurde als Schöpfer von Orchester- und Kammermusik komplett vergessen. Und auch die 19 feingeistigen Liederzyklen sind kaum noch irgendwo zu hören. Insofern hat ein Jubiläum, auch wenn es meist nur den Jublern dient, etwas Gutes, da es zu erneuter Beschäftigung anstoßen kann.

Gottfried von Einem muss dringend wiederentdeckt werden. Dass er Atonalität, Dauerdissonanz und Fluxus nicht anziehend fand, ist kein Straftatbestand, auch kein ästhetischer, und da er mit Schostakowitsch, Britten, Bernstein und Weinberg in einem Boot sitzt, was von Moden unabhängige Modernität, höchstes Können und Inspiration betrifft, müsste ihn als einen weiteren „bunten Vogel“ zwischen Dodekaphonisten und Serialisten umso interessanter erscheinen lassen.

In Bern geboren, wuchs von Einem in Schleswig-Holstein auf dem Lande auf und begann 1938 als Korrepetitor am Preußischen Staatstheater in Berlin. Von 1941 bis 1943 studierte er privat Komposition bei Boris Blacher, dem er die Ausrichtung in der Musik wie im Leben verdanken sollte. In der Nazizeit bewahrte er den jüdischen Musiker Konrad Latte mittels einer dreist eingefädelten Urkundenfälschung unter Risiko fürs eigene Leben vor der Deportation, wofür er 2002 postum von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet wurde. 1947 brachte ihn die Uraufführung von ‚Dantons Tod’ bei den Salzburger Festspielen schlagartig ins internationale Rampenlicht. Er gehört zu den größten Meistern einer aus der Tradition weiterentwickelten Kunst des Symphonischen und Kammermusikalischen, die mit stets unvorhersehbarer Originalität, subtilster Verflechtungskunst aller Parameter, zauberhafter Orchestration und eigentümlich spontan erscheinender Formungskunst besticht. In der hellwachen Verbindung von Geist und Sentiment vereint er seine Vorbilder Mozart und Schubert als unerschöpflicher Verwandlungskünstler im babylonischen Sprachenlabyrinth einer modernen Welt, die sich nach zwei Weltkriegen neu zu erfinden suchte.

Eine ausführliche Würdigung ist unter www.nmz.de zu lesen.

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