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Vermutlich Sven Ferchow. Foto: privat
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Der Jeck ist weg

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Ferchows Fenstersturz 2020/12
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Manchmal ist das Leben schön. Auch in der Pandemie. Dann nämlich, wenn der Karneval abgesagt wird. Die Midlifecrisis des kleinen Bürgers. Das kulturelle Highlight der Heiterkeit auf Knopfdruck. Ausschließlich legitimiert durch Alkohol.

2020 wird also doch noch gut. Keine feucht-fröhlichen Chansons von den Höhnern, Brings oder den Bläck Föss. Keine albern verkleideten Menschen, die einem mit 2,4 Promille und Gaumenmüffel zwischen Verwesung und Apfelkorn entgegenspotzen: DA SIMMER DABEI, DAT IS PRIMA, VIVA COLONIA. Keine völlig entgleisten Prinzessinnen auf Anhängern, die mit anschwellendem Alkoholpegel Bonbons im Stakkato auf menschliche Frontlappen knattern. Keine gebührenfinanzierten Sitzungen bei ARD und ZDF. Deren teigiger wie bräsiger Frohsinn nur von der lärmenden Blechkapelle mit einem kurbelnden „HäHäHäHäHäHä“ unterbrochen wird. Notabene: Die Hälfte des Orchesters sitzt vermutlich noch intoxikiert vom Vorjahr auf der Bühne. Und wird jedes Jahr pünktlich zum Fest auferstanden. Die andere Hälfte scharrt man aus den umliegenden Intensivstationen zusammen. Diagnose „Delirium tremens“. Seit acht Monaten.

Ohne Zweifel sind diese Kapellen auch ohne Corona gemeingefährliche Superspreader. Ein paar Mikrogramm speichelfeuchte Aerosole aus der Trompete in die Menge geblasen und der Suff wird richtig billig.

Hardcore-Karnevalisten haben übrigens versucht, den Ausfall mit einem angepassten Hygienekonzept zu verhindern und dem RKI folgende AHA-Regeln vorgelegt: 1. Frauen darf nur im Abstand von einer Armlänge an die Brüste oder ans Gesäß ge­grapscht werden. 2. Bier aus der Flasche soll nur mit zwei weiteren Haushalten geteilt werden. 3. Nach jedem dritten Wasserlassen besteht eine verschärfte Handwaschpflicht für 30 Sekunden (entspricht zweimal DA SIMMER DABEI, DAT IS PRIMA, VIVA COLONIA). Da muss man nicht groß jammern. Ökologisch, ökonomisch und global gesehen ist die Karnevalsabsage ein Segen. Waldflächen in der Größe von 1.000 Fußballfeldern bleiben ungerodet. Niemand braucht Luftschlangen. Und die Extremisten unter den Narren brauchen kein schlechtes Gewissen mehr haben, ihre Kinder von März bis November mit dem Ausstanzen von Konfetti am haushaltseigenen Locher ohne Lohnsteuerkarte zu knechten.

Der Einzige, der noch Schnappatmung hat, ist der Aiwanger Hubsi in Bayern. Weil die Modeindustrie mit zwei Millionen abgeschnittener Krawatten zur Weiberfastnach rechnete … Fragt sich noch, wie ARD und ZDF die eingesparten Gebühren für die ausgefallenen Prunksitzungen auf den Putz hauen. Man könnte damit die Kleinkunstkultur unterstützen. Wenn man eine Art Redaktion für sowas hätte. Nun gut. Für mich ist Karneval eher eine Veranstaltung für Suizidgefährdete. Sie wissen schon. Viel Alkohol bei Minusgraden … Allerdings, ist Ihnen das auch schon in den Sinn gekommen, dass der Begriff „Maskenball“ plötzlich eine völlig neue Bedeutung hat? Viva Corona, Radi Radi, Alaaf und Helau. Auf ein karnevalfreies Jahr 2021!

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