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Die Einsamkeit des Dirigenten vor dem Orchester

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Das Dirigentenforum als Chance für junge Kapellmeister
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Vormittägliche Probe in der Beethovenhalle in Bonn: Auf den Pulten des „BOB“, des Beethovenorchesters Bonn liegt Antonin Dvoraks Sinfonische Dichtung „Die Mittagshexe“. Vor dem Ensemble steht der junge, aus Tallin in Estland stammende Dirigent Mihkel Kütson. Er hat nur noch diese Probe, um Details zu verbessern, am Klang zu feilen oder schlagtechnische Unklarheiten zu beseitigen. Für übermorgen, Freitag, ist das Abschlusskonzert des „Dirigentenforums“ angesetzt. „Sehr viel Vibrato auf das Pizzicato“, verlangt Kütson einmal, danach muss die klangfarbliche Tönung von Piccoloflöte und Röhrenglocke abgestimmt werden und ein anderes Mal ist der Anschluss von Ersten und Zweiten Violinen noch nicht „perfekt“. So probt sich Kütson im Wechsel von filigraner Detailarbeit und dem Durchspielen längerer Passagen von hinten nach vorne durch das Stück. Fast unmerklich schleicht sich während der Probe Peter Gülke, ehemals Generalmusikdirektor der Wuppertaler Sinfoniker, danach Professor für Dirigieren an der Freiburger Musikhochschule, mitten ins Orchester und beobachtet die Körpersprache des Probanden am Dirigentenpult. Peter Gülke zählt zum Kreis erfahrener Dirigenten, mit denen der Deutsche Musikrat im Rahmen seines Förderprogramms „Dirigentenforum“ zusammenarbeitet. In diesem Projekt erhalten junge Dirigenten die Möglichkeit, mit renommierten Dirigenten und zirka vierzig Spitzenorchestern in ganz Deutschland zusammenzuarbeiten. Die Teilnehmer durchlaufen mehrere Förderstufen, am Ende kann die Auszeichnung „Preisträger des Dirigentenforums“ stehen. Als Mentoren hat der DMR immer wieder namhafte Persönlichkeiten wie Fabio Luisi, Claus Peter Flor oder Roger Norrington gewinnen können – und eben Peter Gülke. Er ist ein Mann der leisen Töne, des unaufdringlichen, gleichwohl klaren Urteils, auch mit Blick auf die eigene Zunft: „Schaumschläger gibt es in diesem Metier genug.“

In der Schlusspartie der „Mittagshexe“ warnt er Kütson vor einem flächendeckenden Stringendo, das die strukturelle Klarheit gefährden könnte. „Wenn ich das vorschlagen darf“, setzt er hinzu. „Wir wollen den Kontakt zwischen Dirigenten verschiedener Generationen, aber auch von Dirigenten untereinander fördern“, so beschreibt Andreas Bausdorf, Projektleiter des Dirigentenforums, das Ziel der Veranstaltung. Peter Gülke weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig das ist: „Am Beginn meiner Laufbahn hatte ich nur sehr wenige Menschen, die mir kompetenten Rat gegeben haben.“ Besonders tückisch sei die Übergangsphase von der Musikhochschule ins Berufsleben.

Auch heute gelte noch vielfach: „In der Praxis ist der Dirigent einsam.“ Diese Einsamkeit wenigstens zeitweise aufzubrechen, ist Ziel des Dirigentenforums, um das „wir im Ausland beneidet werden“, so Gülke. Den Kursteilnehmern bleiben als Gewinn viele bereichernde Erfahrungen für die eigene Praxis. Der Kurs ermöglicht da den Blick über den Tellerrand.

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