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Die Musik zwischen Politik, Markt und Bildung

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Fragen zum kulturellen Klima hierzulande, auch am Beispiel der Klassik Komm. · Von Theo Geißler
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Ein paar kulturelle Kraftworte und Kraftakte aus jüngerer Zeit: „Ich schäme mich mei-nes zum Wirtschaftsstandort verkommenen Landes.“ Günther Grass sprach in seiner Laudatio für den diesjährigen Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Yasar Kemal, Klartext und erhielt dafür von maßgeblichen Politikern unserer Koalitionsregierung ganz schlechte Noten... „Die Schulen müssen Rückmeldungen über Erfolg und Mißerfolg ihrer Arbeit bekommen.“ Hessens zuständiger Staatsdiener Hartmut Holzapfel (SPD) begründete so einen Beschluß der Kultusminister-Konferenz, an Schulen künftig Leistungstests durchzuführen. Überprüft werden vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer sowie Deutsch und Fremdsprachen. Versteht es sich von selbst, daß Musik- und Kunstunterricht in diesem Kontext keine Rolle spielen? „Es gibt nicht nur Ressourcen in Form von Bodenschätzen. Phantasie ist wichtiger als Wissen, hat Einstein gesagt. Kreativität ist für die Zukunft ein wichtigeres Potential als Armeen oder Industrieanlagen. Das ist der Grund, weshalb in den Schulen der Musikunterricht gleichwertig mit Mathematik und Chemie sein müßte. Ich halte „Jugend musiziert“ für genauso wichtig wie „Jugend forscht“. (Heiner Geißler, CDU, in seinem Referat zum Thema: „Geist und Macht versöhnen“ bei der diesjährigen Klassik Komm. in Hamburg). „Da geh’n wir gar nicht hin“ (Thomas Stein, BMG) und „Das ist für uns gestorben“ (Roman Rybnikar, EMI Classics) über die Klassik Komm. Allerdings: Das Finale geriet zur Bruchlandung: Moderator und „Zeit“-Redakteur Thomas Mießgang dirigierte die Abschlußdiskussion der diesjährigen Klassik Komm. schlecht vorbereitet in Grund und Boden. Das kompetent besetzte Podium zum Thema „Was nützt uns musikalische Bildung heute für morgen“ uferte zum Allgemein-Schwatz-Platz aus. Peter Hanser-Strecker vom Schott-Verlag brachte den Zustand auf den Punkt: So würde die Klassik Komm. zur Klassik Geh. Er hat recht, was dieses Panel betrifft. Und die zahlreichen kritischen Stimmen mit Blick auf Organisation, Öffentlichkeitsarbeit und Ambiente des vierten Forums der „klassischen“ Musik beschreiben vorhandene Schwachstellen recht zutreffend. Billig und falsch aber wäre es, die Alleinschuld am allenfalls ausreichenden Erfolg der Veranstaltung dem Veranstalter zuschustern zu wollen: Die Kölner Musik Komm., eher pop-erfahren, kämpft selbst gegen Widrigkeiten namens Planungsunsicherheit und Etat-Dürre. Gründe für die problematische Befindlichkeit der Klassik Komm. liegen vielmehr in der problematischen Befindlichkeit ihres Gegenstandes (siehe oben). Und darum sind sie bemerkenswert. Als Kopfgeburt der Phono-Industrie, Abteilung Absatz-Design, startete die Klassik Komm. vor vier Jahren entsprechend geistlos. Mit dem Instrumentarium des Pop-Marketings sollte die lahmende Branche angeschoben werden. Was dann aus den Denkfabriken der Majors quoll, ein fragwürdiger Schallplattenpreis und Barbie-Puppen-Musik, Cross-Over genannt, diskreditierte die Klassik Komm. von Anbeginn. Darin lag eine Chance. Denn Deutschlands Musikverbände, vor allem die pädagogisch orientierten – bislang eher berührungsängstlich oder angewidert auf Distanz zu den Vermarktungspraktiken der Industrie - leiden ihrerseits an einem Defizit. Ihre Stimme im Chor der bundesrepublikanischen Lobbyisten und Gesellschaftsgestalter klingt unverhältnismäßig dünn. Daß Musikvereine und -Initiativen, Musiklehrer und (oft ehrenamtliche) Musikfunktionäre den Boden aufbereiten für einen Musik-Markt (sieht man von der eigentlichen Leistung, einer umfassenden Persönlichkeitsbildung einmal ganz ab), – ist gerade Markt-Führern kaum bewußt. Erst recht nicht den meisten Politikern. Wenn es gelänge, die Plattenfirmen auch nur mit dem Fakt bekannt zu machen, daß ein musikalisch besser gebildetes Publikum für künstlerisch akzeptable Produkte auch die bessere, weil informiertere Kundschaft böte, ließen sich gemeinsame Interessen finden und Kräfte bündeln. Ein Erfahrungsaustausch könnte stattfinden zum allseitigen Nutzen. So der Plan. Sollte da zusammengepfercht werden, was eben nicht zusammenpaßt? Es ist den Klassik Komm.-Machern gutzuschreiben, daß sie ihr – durchaus kommerziell orientiertes – Projekt in der kurzen Zeit von zwei Jahren vom platten Präsentier-Tablett zum Treffpunkt der verschiedensten Musik-Interessen und zum Diskussionsforum der kontroversesten Musik-Standpunkte umgestalten konnten. Der Prozeß des Miteinander-ins-Gespräch-Kommens, des Sich-Kennenlernens, ist allerdings nicht sonderlich spektakulär. Da kommt nicht soviel Publikum wie zu den drei Tenören. Schließlich müssen Gemeinsamkeiten als Grundlage für gemeinsame Projekte erst ausgeguckt, Vorurteile abgebaut, Vorteile erkannt werden. Das braucht Zeit. Zeit, die ein von seinen Gesellschaftern zur Halbjahresbilanz verpflichteter Label-Boß vielleicht nicht zu haben glaubt. Das braucht Eigeninitiative. In einer Form, die ein Musikverbands-Manager möglicherweise erst lernen muß. Es sieht so aus, als hätte die Markt- und Kultur-Initiative Klassik Komm. keine Zeit mehr. Und es wäre geradezu typisch für die kurzhubige Sicht der Musikvermarkter einerseits und die rasche Bereitschaft zur Resignation und Abgrenzung in Kreisen der Musik-Pfleger und -Schützer andererseits, wenn man diesem Treffpunkt künftig bequem aus dem Weg ginge. Nicht jede Diskussion verlief schließlich gemütlich. Nicht jede investierte Mark kam aufgedoppelt zurück. Nur: an der Krise der sogenannten ernsten Musik und ihrer Grundlagen, die selbstverständlich auch eine Krise unseres gesamten Bildungssytems ist, wird dieses Vermeidungsverhalten nichts ändern. Also muß die Klassik Komm. – sollte sie in ihrer bisherigen Form sanft oder laut entschlummern – neu erfunden werden.

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