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Die Uhren seiner Erfindungen ticken anders

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Zum neuen Almanach der Isang-Yun-Gesellschaft
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Ssi-ol. Almanach 2004–09 der Internationalen Isang Yun Gesellschaft, hrsg. v. Wolfgang Sparrer, edition text + kritik, Berlin/München 2009, 272 S., € 25,00, ISBN ISBN 978-3-8916-014-6

Der neue „Ssi-ol. Almanach“ versammelt Materialien eines Symposiums über den Komponisten, das die Universität der Künste in Berlin 2007 veranstaltet hat, mit Wiederveröffentlichungen von Interviews, Aufsätzen, Kritiken. Übersichten über Konzerte mit Yun-Werken und neue CD-Veröffentlichungen ergänzen den Band. Von den siebzehn Beiträgen aus unterschiedlichen Perioden ragt die Studie von Sung-Hee Hong über Leben und Wirken Yuns von 1917 bis 1956 in Korea heraus. Hong macht hierzulande unbekannte Fakten bekannt. Sie zeichnet die Aufbruchstimmung im Land, als der Zweite Weltkrieg beendet war, sodann die Prüfungen während des Koreakrieges, einer Zeit, in der sich der junge Yun vehement ins Musikleben einbrachte. Anheimelnd ein Foto aus den dreißiger Jahren, das den Komponisten als Lehrer inmitten von Volksschülern zeigt. Hong, den damaligen koreanischen Musikbetrieb vor Augen, instruiert den Leser, wie schwer es oftmals war, ein Konzert auf die Beine zu stellen. Und sie informiert, was Yun damals über Musik publizierte, welche Komponisten und Musiker seine Freunde und Partner waren und welche Werke er in dem Zeitraum schrieb.

Die deutsche musikwissenschaftliche Feder ist, so scheint es, immer noch in Unruhe, wenn ein so qualifizierter wie in vielem noch undurchsichtiger Fall wie Isang Yun zur Rede steht. Und der Atem stockt, gilt es, Yuns Musik selber, ihre Geschichtlichkeit und ihre geistigen Bestimmungen angemessen zu charakterisieren. Hier Europa, dort Asien, dazwischen Yun. Wohin tendiert er mehr? Dirk Wieschollek meint in seinem Beitrag zu spätromantischen Traditionen in Yuns Symphonik sogar, das Wesen seiner Musik scheine sich „an einem dritten Ort“ zu artikulieren, „einem Zwischenraum, der weder asiatisch noch europäisch zu nennen ist und dessen genaue Erörterung eigentlich noch aussteht“.

Erklärungen und substanzielle Deutungen sind so einfach nicht zu treffen. Man muss tief in der koreanischen Geschichte schürfen und sich in den asiatischen Philosophien nicht nur auskennen, sondern sie sinnlich-körperlich erlebt und praktiziert haben. Walter-Wolfgang Sparrer untersucht dies in seinem Beitrag „Buddhistische Gehalte in der Musik Isang Yuns“ auf bemerkenswerte Weise. Er beschreibt die philosophischen Konnotationen des Taoismus’ und Buddhismus’ als für den Menschen und Künstler Yun zentrale Denk-, Fühl- und Handlungsmaximen und markiert entsprechende Werke wie etwa den Chor mit Solo-Violine und Schlagzeug „O Licht …“ von 1981 oder das Flötenkonzert.

Einige zeitlich auseinander liegende Beiträge sind kontradiktorisch angeordnet. Was mehrere Autoren über die europäische Eingebundenheit Yuns sagen, stellt ein anderer ziemlich rigide infrage. Wenn Dorothea Redepenning zum Beispiel „Isang Yuns Symphonien im Spannungsfeld heterogener Traditionen“ untersucht, sie in eine osteuropäische Symphonie-Produktion eingeordnet wissen will, so tendiert sie unausweichlich dazu, der europäischen Tradition die Einflussmacht auf Yuns sinfonische Werke zuzuschreiben. Yun schrieb bekanntlich fünf Sinfonien. Alle wurden in Europa uraufgeführt. Der Komponist steht ohnehin mit beiden Beinen im deutschen und europäischen Betrieb.

Dennoch: Die Uhren seiner Erfindungen ticken anders. Hans Zender 1968 in einem Schallplattentext, den der Band enthält: „Isang Yuns Musik ist weder tonal noch dodekaphonisch; sie ist überhaupt nicht ,gebaut‘: Ihre Harmonik und Rhythmik haben allenfalls einen Farbwert. Man wird vergeblich nach sich präzise voneinander abhebenden Teilen suchen – ja man kann kaum von verschiedenen Tempi sprechen, denn das innere Tempo des musikalischen Wellengangs bleibt immer dasselbe. Diese Musik strömt.“ Ganz wichtig der Komplex über den Geografen, Politiker und Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer. Er, der „Moabiter Sonette“ hinterlassen hat, gehörte dem Kreisauer Kreis an, wurde 1944 verhaftet und wenige Tage vor Kriegsende von der SS erschossen. Isang Yun widmete ihm die Kantate „An der Schwelle“ für Bariton, Frauenchor und Ensemble, worin er Bibel-Texte mit Versen von Haushofer kombiniert. Walter-Wolfgang Sparrer hat das Werk analysiert und den Text der Kantate veröffentlicht.

In Süd-Korea sei Yun unter der Regierung Lee seit 2008 fast wieder zu einer persona non grata geworden, ist von Walter-Wolfgang Sparrer zu hören. Koreanische Mitglieder der Internationalen Isang-Yun-Gesellschaft stünden unter politischer Beobachtung. Grund: Sie bekennen sich nach wie vor – wie Isang Yun es getan hat – zur Wiedervereinigung des Landes.

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