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Die Wahrheit nicht erforschen und aussprechen

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Mit der Uraufführung von „L’homme machine“ bei der Pfingstwoche der Neuen Musik
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Auch später noch, als Katzer längst zu den anerkannten, dem Staat DDR Renommee verschaffenden Künstlern zählte, konnte sich so manche verantwortliche Augenbraue heben, wenn Titel wie „Die Mechanik und die Kräfte der Abnutzung“ Verdacht erregten. Dabei war der Meisterschüler Hanns Eislers nie ein Provokateur, eher einer, der seine Haltung zur Welt und den ihn unmittelbar umgebenden Verhältnissen im Kunstwerk aussprechen wollte, vielschichtig verschlüsselt allerdings und mit jenem Schuss listiger Distanz versehen, die auch sein großer Lehrer anwandte. Katzer wurde wichtig in der DDR, gehörte zur nicht mehr wegzudiskutierenden Avantgarde, konnte als Leiter einer Meisterklasse an der Akademie der Künste, als Vizepräsident des Komponistenverbandes und Präsident des DDR-Musikrats auch manchen Freiraum für sich und andere nutzen.

Schon immer hat Georg Katzer gerne wider den Strahl gelöckt. Seinen ersten großen Skandal entfachte er 1968 mit der Orchestersonate Nr. 1, eine kraftstrotzende, aggressive Verarbeitung seiner ersten, als revolutionär empfundenen Klangerfahrungen beim Warschauer Herbst. Danach erging für längere Zeit die Anweisung an Dirigenten und Rundfunkredakteure, diese subversive Musik nicht aufzuführen. Auch später noch, als Katzer längst zu den anerkannten, dem Staat DDR Renommee verschaffenden Künstlern zählte, konnte sich so manche verantwortliche Augenbraue heben, wenn Titel wie „Die Mechanik und die Kräfte der Abnutzung“ Verdacht erregten. Dabei war der Meisterschüler Hanns Eislers nie ein Provokateur, eher einer, der seine Haltung zur Welt und den ihn unmittelbar umgebenden Verhältnissen im Kunstwerk aussprechen wollte, vielschichtig verschlüsselt allerdings und mit jenem Schuss listiger Distanz versehen, die auch sein großer Lehrer anwandte. Katzer wurde wichtig in der DDR, gehörte zur nicht mehr wegzudiskutierenden Avantgarde, konnte als Leiter einer Meisterklasse an der Akademie der Künste, als Vizepräsident des Komponistenverbandes und Präsident des DDR-Musikrats auch manchen Freiraum für sich und andere nutzen. class="bild">Georg Katzer (c) Foto: Charlotte Oswald

Trotz aller Beschränkungen, so meint er heute, wurde sein Schaffen ernst genommen, das heute weit eher im riesigen, echolosen globalen Raum verhallt. Doch sind ihm Witz, Fantasie und Gedankenschärfe, womit er seine musikalischen Einsprüche zu formulieren pflegte, nicht verloren gegangen, unterliegen keineswegs den „Kräften der Abnutzung“ – ein Lebensthema für Katzer, das er, dargelegt in den Schriften des Philosophen und Mediziners La Mettrie, immer wieder aufgriff. „L’homme machine“ (Der Maschinenmensch), im neu erbauten Schlosstheater Rheinsberg als Auftragswerk der Musikakademie uraufgeführte „multimediale szenische Aktion“, zieht quasi Bilanz dieser fortlaufenden Auseinandersetzung, unterstreicht ihre Aktualität vor und nach der „Wende“ nicht zuletzt durch die Modernität der eingesetzten musikalischen und visuellen Mittel. Die Biografie dieses „Prügelknaben der Aufklärung“ ergänzt seine ernüchternden, beklemmenden Statements: Beim Sezieren hatte er die menschliche Seele nicht gefunden, und so war sie für ihn nur ein „Bewegungsprinzip“, ein „empfindlicher materieller Teil des Gehirns“, eine Haupttriebfeder der ganzen „Maschine Mensch“. La Mettrie wollte „die Wahrheit nicht nur erforschen, sondern auch aussprechen“. Das führte, aller Automatenbegeisterung des Barock und Rokoko zum Trotz, zum Konflikt mit den Frommen aller Couleur, trieb den Denker aus Frankreich und dem liberaleren Holland an den Hof Friedrichs II., dessen Leibarzt er die letzten vier Jahre seines Lebens war. Matthias Bauer ist der von Hundegebell gehetzte, etwas wirr um sich blickende Philosoph, der seinen Kontrabass durchwühlt wie die Innereien des zu sezierenden, auf sein Funktionieren nach den Gesetzen der Mechanik befragten Objektes Mensch, ihm immer neue virtuose Nuancen an Stöhnen, Brummen, Jaulen und Wimmern abgewinnt, klangfarblich mit den gesprochenen, zerhackt herausgestoßenen, gesungenen und geschrienen Worten oft frappierend abgestimmt. Dann wiederum beklagt Bauers Stimme aus dem Off die Unbehaustheit am Hofe des Beschützers aller Glaubensverfolgten, der als letzte der schönen Künste die Kriegskunst pflegte und die neueren Schriften seines Possenreißers eigenhändig verbrannte. Dazu erklingt sehr diskret das „königliche Thema“ aus dem Bach’schen „Musikalischen Opfer“, fügt sich mit fahlem Flöten-Flair ein in elektronische Strukturen von hoher Klangsensibilität und perfekter Dramaturgie – bis ins letzte, in starren Tontropfen zerstäubende Glissando. Gleichzeitig gelangt die Zurichtung der Maschine Mensch selbst auf die von Regisseur Alexander Stillmark in kargem Schwarz ausgeschlagene Bühne, verstrickt sich mit den bewegten Bildern des Videokünstlers Veit-Lup in alte Traum- und heutige Horror-Visionen: Die Mechanik des Körpers führt der Tänzer Marcos Gallón im Experimentierkasten vor, wie auf Zeichnungen Leonardo da Vincis in einen segmentierten Kreis gespannt und schließlich in einen feurigen Strudel blutroter und sonnengleißender Farben hineingezogen. Margarete Huber singt mit girrenden, live-elektronisch verknäuelten Koloraturen eine „mechanische Arie“. Reale Gewalt in „Kardiometrie“ – echte Beklemmung kommt auf, wenn Franz Bauer und Tan Kutay mit harten Holztrommel-Schlägen auch in den Herzrhythmus des Zuschauers eingreifen. Die „singende Maschine“ ist gezähmt: „Der Grund für das Dasein des Menschen ist seine Existenz, Gewissensbisse sind der Materie fremd“; banal-positivistische Weisheit von heute in immer bedrohlicherem Elektronik-Sound.

Entschieden tiefer greift Katzer hier als etwa Siegfried Matthus mit seinem an gleicher Stelle kulinarisch zu erlebenden „Kronprinz Friedrich“. Die Durchdringung unseres Alltagslebens mit Technik, ihre Gefahren vermittels der Unbedarftheit adäquater gesellschaftlicher Entwürfe werden zwingend deutlich, zum einen durch „die Maschine“ als akustisches und visuelles Zitat, zum anderen durch die verfremdende historische Distanz der Textvorlage.

Die Modi, die er zum Zweck der Vermeidung der zwölftönigen Chromatik und Clusterbildung entwickelte – Skalen, deren freie Auswahl stärker denn je nach subjektiver kompositorischer „Setzung“ verlangt – besaßen zum Zeitpunkt ihrer ersten Anwendung als reines Material ein utopisches Moment: „Sound House“ (1979) beschreibt nach der Vision des Shakespeare-Zeitgenossen Francis Bacon ein in allen erdenklichen Tönen, Sprachen und Geräuschen erklingendes Weltgebäude ohne Grenzen. Stets beherzigte Katzer eben das Eisler’sche Motto: „Wer nur was von Musik versteht, versteht auch davon nichts.“ Nur so konnte es ihm gelingen, 1986 an der Akademie der Künste das legendäre elektronische Studio einzurichten, im Kampf mit den Kulturfunktionären und auf abenteuerlichen Wegen, denn die begehrten Synthesizer gab es nur gegen teure West-Devisen. So bewerkstelligte er als Präsident des DDR-Musikrats nach der Wende die Vereinigung mit dem westdeutschen Pendant, befasst er sich heute noch in der „Initiative Neue Musik Berlin“ mit der Verteilung von Senatsstipendien an Komponisten und Interpreten. Er sorgt sich um die Off-Szene, die als „Innovationspool“ viel stärker gefördert werden müsste.

Die Distanz zum Etablierten auf allen Ebenen kann sich auch ganz unspektakulär äußern, in „nur“ der Lust am experimentell-sinnlichen Klang, an spielerischer Virtuosität frönenden Werken. Zahllose „Dialog imaginär“ für die verschiedensten Solisten sind so entstanden, deren instrumentale Erkundungen geistreiche Elektronik schattiert. Ebenso immer wieder Improvisationen und Performances mit Live-Elektronik, zusammen mit Johannes Bauer, Wolfgang Fuchs, Phil Minton. Alle diese Spuren sind in „L’homme machine“ aufzufinden, wahrhaft instrumentales Theater im besten Kagel’schen Sinne.

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