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Der Streicherlehrer von heute muss im Besitz der neuesten methodischen und technischen Kenntnisse sein. Foto: Martin Hufner
Der Streicherlehrer von heute muss im Besitz der neuesten methodischen und technischen Kenntnisse sein. Foto: Martin Hufner
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Diskussionsrunde auf der Jahrestagung der European String Teachers Association (ESTA) über die Krise der Streicher

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Im Rahmen der Jahrestagung der deutschen Sektion der „European String Teachers Association“(ESTA) fand in Bad Brückenau eine Diskus-sion über die Zukunft der Streicher-ausbildung in Deutschland statt.

Anschließend an ein Referat von Theo Geißler, in dem er auf satirische Weise das „Sparpotenzial“ im Streicherberuf aufzeigte, diskutierten Hartmut Karmeier (DOV), Theo Geißler, Prof. Michael Dartsch (Hochschule Saarbrücken), Prof. Ulf Klausenitzer und Agnes Stein von Kamienski (beide ESTA) unter lebhafter Beteiligung des Plenums, ob angesichts einer jährlich wachsenden Zahl von Teilnehmern am Wettbewerb „Jugend musiziert“ und zumindest stagnierender Zuschauerzahlen in Sinfoniekonzert und Oper tatsächlich von einer Krise gesprochen werden kann. Dabei scheint die Welt in ländlich beziehungsweise kleinstädtisch strukturierten Räumen Süddeutschlands vielleicht eher in Ordnung als in den Großstädten, die aufgrund der wegziehenden „bürgerlichen Mitte“ an kultureller Auszehrung leiden. Generell kann gesagt werden, dass trotz allseits zunehmender medialer Verfügbarkeit von Musik, bei Kindern und Jugendlichen die sogenannte klassische Musik an Einfluss verliert. Kaum ein 14-Jähriger wird seinen i-Pod mit Verdi-Opern bestücken, während auch die entsprechende Elterngeneration eher der Wellness-Musik in Sauna und Konsumtempel ausgesetzt ist, als sich nach Feierabend eine Schubertsinfonie anzuhören. Insbesondere die Debatte um die Initiative „Das ganze Werk“ zeigt, wie wenig in unserer Gesellschaft die Bereitschaft verankert ist, sich über mehr als zehn Minuten in komplexe musikalische Werke einzuhören.

Liegt die Zukunft der Streicher also in Asien, von wo sich schon seit langem Tausende junger Musiker aufmachen, um unsere Konzertpodien zu erobern? Hat Deutschland seine ehemals reiche Musikkultur, angefangen beim häuslichen Musizieren bis zur Einrichtung von Drei-Spartenhäusern, selbst in Kleinstädten wissentlich und willentlich aufgelöst zugunsten einer „Entertainmentkultur“ aus der Konserve?

Noch ist es Zeit, diese Entwicklung zu stoppen, wenn es gelingt, eine breite Basis von Kindern und Jugendlichen zu schaffen, die sich aktiv musizierend dem Trend zum leichten „Musikkonsum“ entgegenstellt. Venezuela hat es uns vorgemacht. Es genügt nicht, das Restpotenzial an bürgerlicher Kultur auszuschöpfen, sondern Musik muss wieder zum kulturellen „Grundnahrungsmittel“ der deutschen Gesellschaft werden, wie es Volker Biesenbender formulierte, der während der Tagung einen kontrovers diskutierten Vortrag hielt. Die Musik muss in die Kindergärten und Schulen gebracht werden, zum Beispiel durch enge Vernetzung von Orchester und Schule, wie sie Hartmut Karmeier erläuterte: Kommentierte Konzerte, Klassenpatenschaften, Proben zum Anfassen schaffen bei Kindern ein großes Verständnis für das Funktionieren von Orchester und Oper und die Lust auf Selbertun. Die Vernetzung von EMP und Kindergarten zeigte Michael Dartsch als gute Möglichkeit auf, bereits kleine Kinder für die Klangwelt klassischer Musik zu begeistern. Tobias Großhauser stellte neue Technologien und ihre Anwendungsmöglichkeiten für technikbegeisterte Lehrer und Schüler vor. Das Angebot reicht von Carbongeigen über Fernunterricht mit Webcam bis hin zu sensor- und lasergestützen Techniken, welche die Klangmöglichkeiten der Streichinstrumente erweitern, beziehungsweise didaktische Hilfen bei Arrangement und Unterricht bieten. Die Welt der Musik ist derart weit gefächert, dass es sogar möglich sein sollte, Jugendliche über einen ganz anderen Zugang für klassische Musik zu begeistern, haben nicht sogar Rapper wie Nas als Basis eines Stückes zum Beispiel „Für Elise“ verwendet. Die verlässliche Halbtagsgrundschule und Ganztagsschule bietet neue Zeitfenster für die Zusammenarbeit mit der Musikschule oder privaten Musikerziehern, wir müssen sie nutzen. Würde ein Teil des Kindergeldes als „Bildungsgutschein“ ausgezahlt, müsste er für musische oder sportliche Angebote eingesetzt werden.

Die ESTA stellt sich jedes Jahr der Frage, wie die als „schwer“ verrufenen Streichinstrumente, die das Rückgrat der klassischen Musik bilden, Kindern und Jugendlichen vermittelt werden können. Der Verband versucht, die Gratwanderung zwischen methodischem Spezialwissen, wie im Vortrag von Prof. Thomas Brandis zum Thema „Warum Aufstrich?“, und zu Musikern wie Volker Biesenbender, der von der „Wiederentdeckung des Einfachen“ sprach, zu leisten. Die Musik, und dazu gehört eben auch unsere musikalische Tradition, braucht kundiges Publikum, um nicht unterzugehen. Die Bildung eines solchen Publikums kann nur durch lebendige, engagierte Musiker geschehen, die bereit sind, sich auf den Weg der Musikvermittlung zu begeben. Musik muss ein fester Bestandteil der Stundentafel bleiben, auch und gerade in Haupt- und Realschulen. Hat ein großer Teil der Gesellschaft keinen Bezug mehr zur klassischen Musik, wird es keine Berechtigung geben für die Existenz öffentlich geförderter Orchester und Opernhäuser. Es liegt in unser aller Interesse, diesen Zugang offenzuhalten, unserem Berufsstand zuliebe und nicht zuletzt der Gesellschaft. Denn was wäre eine Welt ohne Musik und was wäre Musik ohne unsere musikalische Tradition?

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