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Philipp Adlung vor seinem Institut in Halle. Foto: Händel-Haus
Philipp Adlung vor seinem Institut in Halle. Foto: Händel-Haus
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Dramatische Perspektiven

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Händel als Spielball wirtschaftlicher Interessen
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Deutschland verfügt über eine ungeheure Dichte an Musikfestivals. Von der Nordsee bis zu den Alpen verwandeln sich ganze Landstriche im Sommer in blühende Musiklandschaften. Ein großer Schatz, und ein großes kulturelles Potential! Wichtige Partner der Festivals waren und sind von jeher die öffentlichen Rundfunkanstalten, die im Rahmen ihres kulturellen Auftrages Live-Aufführungen regional oder gar bundesweit anbieten. Diese Ausstrahlungen sind zugleich Botschafter für Musik jenseits des Mainstreams oder gar neu entdeckte und edierte Stücke. Gerade dieser letzte Bereich entwickelt sich positiv, und es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht das eine oder andere, Archiven entrissene Werk begeisterte Aufführungen erlebt. Aus dem punktuellen Ereignis kann aber erst dann mehr werden, wenn diese Aufführungen auch verbreitet, sprich gesendet werden. Diese mediale Verbreitung ist es, die so manches Werk in die Repertoires der Theater bringt und damit den scheinbar festgelegten Spielkanon der Opernhäuser immer wieder mit neuen Werken belebt.

Das Händel-Haus in Halle vereint unter einem Dach ein Musikmuseum, eine Forschungsstätte und die 1922 begründeten Händel-Festspiele. Daneben hat hier die Redaktion der „Hallischen Händel-Ausgabe“ ihren Sitz. Die Edition von Musik und ihre Aufführung gehen in Halle wie an wenigen anderen Orten Hand in Hand. Bedauerlich ist, dass das Anliegen auf Verbreitung der Musik Händels immer häufiger zum Spielball wirtschaftlicher Interessen von Verlagen und Rundfunkanstalten wird. So wird es 2007 aus Halle keine Übertragung des erst jüngst rekonstruierten Pasticcios „Giove in Argo“ geben. Auch die fest eingeplante Ausstrahlung der Oper „Riccardo I.“ scheitert an kleinlichen, pekuniären Interessen. Für Halle bitter ist, dass gerade hier die Edition – mit öffentlichen Mittel kräftig subventioniert! – entsteht, die nun kommerziell „ausgeweidet“ werden soll. Musikverlage verstehen es schon seit langem, ihre wirtschaftlichen Risiken bei kritischen Editionen soweit wie irgend möglich zu minimieren: überall sind Forschungsgemeinschaften und Förderstiftungen eingebunden, ohne die offenbar kein Verleger mehr einen Griffel in die Hand nimmt. Die Senderechte sind da ein hübsches Zusatzsalär, das man freilich ganz alleine einsteckt. Kaum besser die öffentlich-rechtlichen Anstalten: sie werden aus Gebühren finanziert, eben um ihren kulturellen Auftrag zu erfüllen. Da darf eine Händel-Übertragung nicht an 1.000 oder 2.000 Euro scheitern!

Musik ohne Publikum? Das ist schlechterdings nicht vorstellbar! Vielleicht müssen wir uns aber an den Gedanken gewöhnen, dass die lieb gewonnenen, sommerlichen Musikübertragungen bald der Vergangenheit angehören. Bevor es aber so weit ist, sollte man an die Vernunft der Beteiligten appellieren. Denn die Verbreitung von Musik liegt im Interesse aller, nicht zuletzt der Verlage. Denn wenn ihr Material nicht benutzt wird, dann gibt es auch keine Einnahmen. Viel dramatischer wäre aber als Folge ein Einbruch der Drittmittel: denn wozu soll man die Erarbeitung kritischer Werkausgaben fördern, wenn deren Verwendung an den Forderungen der Verlage scheitert? Man sieht: hier spielt manch Beteiligter mit dem Feuer, freilich ohne den Rauch zu bemerken.

Die Übertragung von Konzert- und Festspielaufführungen sind für die Veranstalter essentiell. Wenn Verlage und Anstalten hier keine Bewegung zeigen sollten, dann wäre eine Alternative die Verwendung günstiger erreichbarer oder gar urheberrechtlich nicht geschützter Werkausgaben. Dass für die diesjährige „Giulio Cesare“-Produktion bei den Göttinger Händel-Festspielen das vorhandene, kritische Notenmaterial aus Kostengründen nicht benutzt wird, zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Sicher ist nur eines, dass sich Veranstalter und Musikfestivals nicht länger von Anstalten und Verlagen gängeln lassen werden.

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