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Gyula Racz (Hg.): Das große Buch der Schlagzeugpraxis, ConBrio, Regensburg 2014, 364 S., Abb., € 39,90, ISBN 978-3-940768-43-8
Gyula Racz (Hg.): Das große Buch der Schlagzeugpraxis, ConBrio, Regensburg 2014, 364 S., Abb., € 39,90, ISBN 978-3-940768-43-8
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Ein Kompendium mit Pioniercharakter – „Das große Buch der Schlagzeugpraxis“ fächert ein breites Themenspektrum auf

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„Das große Buch der Schlagzeugpraxis“, herausgegeben von Gyula Racz und Ende 2014 im ConBrio Verlag erschienen, ist die umfassendste Publikation in deutscher Sprache zu diesem Thema seit mehreren Jahrzehnten. Sie besteht aus einem Katalog der Schlaginstrumente und Essays zu drei Themenbereichen: „Spielliteratur und -praxis“, „Außereuropäische Perkussionsmusik“ und „Pädagogische Praxis – pädagogische Literatur“.

Der von Gyula Racz und Hermann Schwander verfasste Katalogteil zeichnet sich durch seinen Umfang, die minuziöse Beschreibung und das reiche, sorgfältig ausgewählte Bildmaterial aus. Die Darstellung orientiert sich an der westlichen Orchesterkultur. In der heutzutage heterogenen und multikulturell geprägten Musikwelt ist dies keineswegs selbstverständlich, daher wären einige Worte zur Erklärung und Begründung des Ansatzes vielleicht doch nötig gewesen. Die Systematik ist eher wenig überzeugend, da die Kategorien Fell-, Metall- und Holzinstrumente, Malletinstrumente und „Effektinstrumente aus dem Alltag“ unterschiedliche Kriterien vermischen und dadurch das Risiko fraglicher Zuordnungen erhöhen. Es werden etwa Finger- und tibetische Zimbel unter den Metallinstrumenten, Crotali aber unter den Mallets geführt, während wiederum Litophon und gestimmte Gongs – beide genauso wie Crotali in chromatische Sätze kombinierbar – nicht unter letztere Kategorie fallen. Das im Kontext der außereuropäischen Kulturen verwendete Wort „Folklore“ sowie das Prädikat „primitiv“ im Bezug auf die afrikanischen Xylophone muten nach über hundert Jahren der musikethnologischen Forschung etwas seltsam an.
Den Themenbereich „Literatur – Spielpraxis“ eröffnet ein kurzer Text zu Schlagzeug im Sinfonieorchester (Gyula Racz), der, eng mit dem Katalog zusammenhängend, in diesen hätte integriert werden, oder auch, mit Notenbeispielen versehen und entsprechend ausgearbeitet, auf die Verwendung der Schlaginstrumente im Orchester detailliert hätte eingehen können.

Mit „Schlaginstrumente in der Solo- und Ensembleliteratur“ von Klaus Sebastian Dreher liegt eine sehr gelungene, systematisch gedachte Einführung in die Musik für und mit Schlagzeug vor. Der Besprechung der typischen Anwendungsbereiche und der das Schlagzeug prägenden musikalischen Gebiete, wie etwa der außereuropäischen, der Militär- und Marschmusik, des didaktischen Bereiches und so weiter schließt sich eine nach Besetzung (Solo- und Ensemblewerke sowie verwendetes Instrumentarium) gegliederte Darstellung der gesamten Literatur an. Die Verwendung des regionaltypischen Namens „Balafon“ als Sammelbegriff für alle afrikanischen Xylophone mit Kalebassenresonatoren und die  Zuschreibung der US-amerikanischen Herkunft zu dem gebürtigen Pariser Edgar Varèse hätten jedoch in dem sonst so kompetent verfassten Text vermieden werden sollen.

Die beiden folgenden Beiträge sind dem Drumset (Heinz von Moisy) und dem Vibraphon im Jazz (Michael Kiedaisch) gewidmet. Von Moisys einseitiger Fokus auf Jazz und allzu große Knappheit lassen den Wissensdurst des Lesers ungestillt. Kiedaisch gibt hingegen eine kompakte, dennoch recht informative, mit anschaulichen Notenbeispielen illustrierte Übersicht zur musikalischen Entwicklung im wichtigsten Anwendungsbereich des Vibraphons.

Im Themenbereich „Außereuropäische Musik“ werden mit den Artikeln über das lateinamerikanische Schlagzeug (Heinrich Klingmann), die westafrikanische Djembe (Rainer Polak), die indische Tabla (Thomas Hupp) und über das javanisch-balinesische Gamelan (András Varsányi) vier unterschiedliche geographisch-kulturelle Regionen der Welt vertreten. Besonders exzellent ist der Beitrag von Rainer Polak, in dem sowohl die bau- und spieltechnischen Grundlagen der Djembe, ihr Werdegang im breiten Kontext der sozialen und (kultur)politischen Entwicklung ihrer Heimat als auch diverse Aspekte ihres Einzuges in die westliche Kultur eingehend betrachtet werden. Der ähnlich umfangreiche Artikel Heinrich Klingmanns gewinnt noch zusätzlich den Charakter eines Lehrgangs, da sich die beigefügten Notenbeispiele in entsprechender Anordnung als Übungs- und Aufführungsmaterial im Rahmen des Unterrichts einsetzen lassen.

Im nächsten Themenblock hängen die drei ersten Texte am engsten mit der pädagogischen Praxis zusammen. Sie haben auch zahlreiche Berührungspunkte untereinander. Albrecht Volz stellt mit dem Trommel- und Malletunterricht die Hauptbereiche der Instrumentalpädagogik dar und gibt viele wertvolle Tipps, Bernd Kremling geht auf das gegenwärtig sehr aktuelle Thema des Schlagzeugunterrichts in einer Schulklasse ein und Ulrich Moritz erläutert die Bodypercussion anhand anschaulicher Beispiele, die – ähnlich wie die Heinrich Klingmanns – zum praktischen Gebrauch im Unterrichtsalltag geeignet sind. Von den übrigen Beiträgen behandelt der erste den Einsatz der Schlaginstrumente in der Musiktherapie (Thomas Keems), im zweiten reflektiert Edith Salmen auf eine essayistische Art und Weise über die Emanzipation des Geräusches und der Variabilität des Perkussionsklanges sowie pädagogische Implikationen der Musikwahrnehmung der Schüler. Im letzten Text nimmt Gyula Racz ebenfalls das Thema Geräusch auf, das er, von Luigi Russolos „L’arte dei rumori“ ausgehend, etwas überraschend mit Bezug auf die elektroakustische Musik diskutiert, wobei er den Beitrag mit einer stichwortartigen Auflistung nicht näher kommentierter „Gestaltungsmodelle“ abschließt.

Der Band ist mit einem Instrumenten- und Personenregister sowie einem viersprachigen Fachglossar ausgestattet (hier vom Deutschen, auf der zugehörigen Internetseite vom Englischen, Französischen und Italienischen ausgehend). Von ebenso großem Nutzen wäre ein zentrales Literaturverzeichnis gewesen oder zumindest ein einheitliches Format der Verweise in den Beiträgen. Letztere wurden von einigen Autoren sogar gänzlich ausgespart; manche der vorhandenen hätten um weitere Titel ergänzt werden können. Insgesamt liegt mit „Das große Buch der Schlagzeugpraxis“ eine für die am Schlagzeug interessierte Leserschaft sehr wertvolle Publikation vor. Im Hinblick auf ihren Informationsgehalt stellt sie eine beachtenswerte Leistung dar und dank dem außerordentlich breiten thematischen Spektrum – zum ersten Mal wird in einem derart großen Umfang die Instrumentalpädagogik berücksichtigt – hat sie Pioniercharakter. Der Sammelband wird Schülern, Studenten, aber auch Berufs- und Laienschlagzeugern sowie breiteren Publikumskreisen gute Dienste erweisen.

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