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Ex-EU-Parlamentarierin Julia Reda trifft auf den Präsidenten des Deutschen Komponistenverbands, Moritz Eggert. Fotos: public domain (Reda), M. Fröhlich (Eggert)
Ex-EU-Parlamentarierin Julia Reda trifft auf den Präsidenten des Deutschen Komponistenverbands, Moritz Eggert. Fotos: public domain (Reda), M. Fröhlich (Eggert)
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Ein sensibles, ein schwieriges Kapitel

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Netzpolitikerin Julia Reda und Komponist Moritz Eggert zur EU-Urheberrechtsreform
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Ein neues EU-Gesetz soll regeln, wer was im Internet verbreiten darf – und was nicht. Es gab viel Protest gegen die neue EU-Richtlinie, die vor allem die Rechte der Urheber stärken soll und die Plattformen wie YouTube und Facebook zwingen soll, stärker gegen vermeintlich illegal hochgeladene Inhalte vorzugehen. Im Fokus der Kritik die Upload-Filter, die angeblich das Ende des freien Internets einläuten. Bis zum Sommer 2021 geht es darum, den EU-Entwurf in deutsches Recht umzusetzen. Am 3. Februar wurde nun im Kabinett ein Gesetzesentwurf zur Reform des Urheberrechts verabschiedet. Und wieder gibt es massive Kritik sowohl von Seiten der Netzpolitik als auch der Verleger und der Musikwirtschaft.

Warum das so ist und wo die Probleme liegen, will Andreas Kolb (neue musikzeitung) im Gespräch mit zwei Experten klären: Julia Reda war bis März 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments für die Piratenpartei. 2020 wechselt Julia Reda von der Politik in die Wissenschaft: Sie leitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte das Projekt Control Copyright. Seit Mai 2020 ist sie im Vorstand der Open Knowledge Foundation Deutschland. Ihr Gegenüber ist der renommierte Komponist Moritz Eggert, der erst vor wenigen Monaten zum Präsidenten des Deutschen Komponistenverbands gewählt wurde. Moritz Eggert ist Professor an der Münchner Hochschule für Musik und Theater und publiziert in seinem Bad Blog of Musick und in verschiedenen Magazinen – unter anderem in der nmz – über Musik und Kultur. Das Gespräch zum Nachhören unter www.nmz.de.

neue musikzeitung: Seit langem wird um eine Reform des Urheberrechts gerungen. Warum ist es so schwierig, hier zu einem Ausgleich der Interessen zu kommen? Um was geht es eigentlich?

Julia Reda: Die Schwierigkeit hat vor allem zwei Gründe. Der eine ist, dass es hier nicht um ein Gesetz geht, das den Konflikt zwischen zwei verschiedenen Interessengruppen klären muss, sondern zwischen sehr vielen. Da gibt es auf der einen Seite die Inhaber von Exklusivrechten, auf der anderen Seite gibt es Urheberinnen und Urheber, ausübende Künstler, Nutzerinnen und Nutzer dieser Inhalte, die teilweise selbst wieder Urheberinnen sind, die Internetplattformen und eigentlich das gesamte Ökosystem der Kommunikation im Internet. Wenn man versucht, es einer dieser Gruppen recht zu machen, dann kann es sehr schnell passieren, dass für andere Gruppen Kollateralschäden entstehen, die nicht bedacht wurden. Der zweite Grund ist, dass der europäische Gesetzgeber es sich an vielen Stellen sehr leicht  gemacht hat. Zum Beispiel hat er gesagt, dass Urheberrechtsverletzungen von Seiten der kommerziellen Plattformen gesperrt werden sollen, legale Inhalte aber nicht. Aber er hat nicht gesagt, wie das eigentlich funktionieren soll. Es gibt keine Technologie, die diese beiden widersprüchlichen Ziele perfekt miteinander verbinden kann.

Moritz Eggert: Julia Reda hat es schon richtig gesagt, das ist wie bei den Corona-Regeln: Wie soll man es allen recht machen? Ich bin jemand, der im Internet viel Freiheitspotenzial sieht. Es ist immer noch ein neues Medium und bietet uns viele Chancen. Wir wollen natürlich nicht alles kaputt-reglementieren, damit so etwas, was ich immer gerne den „wilden Raum“ nenne, nicht verloren geht. Wir brauchen dafür einfach verschiedene Plattformen, die unterschiedlich funktionieren. Wir sehen ja zum Beispiel an Streaming-Services wie Netflix, dass, wenn es den Leuten leicht gemacht wird, zu bezahlen, sie auch bereit sind, das Angebot legal zu nutzen. Genau so müsste es eigentlich auch mit dem sein, was wir als Künstler, als Urheber im Internet anbieten. Daher müssen wir es einfach und leicht machen, das fair zu bezahlen. Von fairen Einnahmen für die Künstler*innen sind wir aber noch weit entfernt. Künstler, die in Corona-Zeiten mit Streaming-Konzerten und so etwas zu tun hatten, werden ein böses Erwachen haben Ende des Jahres, wenn die GEMA-Einnahmen kommen, da kommt nämlich quasi nichts. Davon können wir alle nicht leben. Also da muss sich etwas tun.

Problem Pressefreiheit

nmz: Eines der zentralen Probleme ist offensichtlich, dass es keine zwei Partner gibt wie bei Tarifparteien. Wer will was? Was will Moritz Eggert  als Blogger, was als Künstler, was als Mitglied der GEMA? Was bewegt dich, Julia, die Netzfreiheit über alles zu stellen, obwohl wir doch wissen, dass Google und Facebook kommerzielle Unternehmen sind?

Reda: Mir geht es nicht darum, das Geschäftsmodell von Google oder Facebook zu erleichtern, sondern mir geht es darum, dass Leute, die sich politisch oder auch künstlerisch äußern wollen im Rahmen der Gesetze, darin nicht behindert werden. Ein ganz plastisches Beispiel: YouTube setzt teilweise schon Upload-Filter ein, allerdings nur für eine ganz kleine Auswahl von Rechteinhabern, und auch da passieren schon Fehler und Missbrauch. Es gibt beispielsweise eine Gruppe von türkischen Exil-Journalisten, die hier von Deutschland aus einen türkischsprachigen YouTube-Kanal betreiben, um teilweise auch die Erdogan-Regierung zu kritisieren und unabhängige Berichterstattung über die türkische Politik zu ermöglichen. Jetzt hat der türkische Staatssender TRT angefangen, mit Content ID diese Videos zu claimen als angebliche Urheberrechtsverletzung, selbst wenn da überhaupt kein Material von TRT vorkommt. Selbst wenn da Material vorkommen sollte, könnte es ja sein, dass das eigentlich durch das Zitatrecht gedeckt ist. Bei solchen Fällen liegt zumindest der Verdacht nahe, dass es möglicherweise andere Gründe hat, als die Durchsetzung des Urheberrechts, warum diese Videos aus dem Internet verschwinden. Jetzt kann man natürlich sagen, diese türkischen Journalisten müssen ja nicht auf YouTube publizieren, die können ja ihre eigene Webseite betreiben. Das Problem ist, dass sie dann viel weniger wahrgenommen werden. Manche dieser Plattformen haben inzwischen eine Größe erreicht, dass sie schon so eine Art digitaler Marktplatz sind – nicht nur im Sinne von Verkaufen, sondern mir geht es immer auch um den Aspekt des Marktplatzes, der mit Diskurs und politischer Öffentlichkeit zu tun hat. Durch diese Reform muss YouTube nicht mehr nur sogenannten vertrauenswürdigen Rechteinhabern wie Fernsehsendern diese Upload-Filter zur Verfügung stellen, sondern im Grunde genommen allen. Super, dann gibt es wenigstens eine Gleichbehandlung, könnte man jetzt sagen. Aber das bedeutet eben auch, dass ich im Prinzip jeder kommerziellen Plattform sagen kann, dass sie etwa ein bestimmtes Bild sperren muss, ohne dass die Plattform sicher sein kann, dass ich auch wirklich die Urheberin bin. Das heißt, das Missbrauchspotenzial ist enorm. Da entstehen Probleme für die Meinungs- und Pressefreiheit.

nmz: Jetzt ist das Wort „Upload-Filter“ gefallen (Paragraph 17 EU-Urheberrechtsnovelle). Moritz, vielleicht kannst du das ganze aus der Sicht des Komponisten und des Musikers ergänzen?

Eggert: Ja, das Beispiel, das Julia gerade erwähnt hat, ist natürlich eins, wo wir alle sagen, diese türkischen Journalisten, die müssen doch berichten können und diese Plattform nutzen. Ich kann natürlich auch ein umgekehrtes Beispiel konstruieren: Ich bin ein Musiker, der einfach Musik geschrieben hat und die wird dann plötzlich von Donald Trump in einem Werbespot verwendet, der überall auf YouTube kommt und zwar gegen meinen Willen. Da muss ich sagen können, dass ich das nicht will. Leute wie Bruce Springsteen haben das ja durchaus versucht und es war nicht ganz einfach. Ich bin durchaus stolz auf die GEMA, dass sie als einzige Verwertungsgesellschaft diesen langen Kampf gegen YouTube geführt hat, sodass es da eine einigermaßen gerechte Vergütung gibt, für das, womit YouTube sehr viel Geld macht. YouTube hat ja damals auch so eine Art Upload-Filter gemacht, indem sie einfach Disclaimer vor die Videos geschaltet haben, dass diese jetzt gesperrt wären wegen der GEMA. Was zum Teil aber gar nicht stimmte, die GEMA hatte nämlich nur ganz spezifische Videos reklamiert. Wir brauchen diese gro­ßen Konzerne einerseits als Plattform, aber wir müssen uns einfach mit gemeinsamer Stimme auch viel stärker um unsere Rechte dort kümmern und zwar vor allem um die Verwertung dieser Rechte. Da ist mehr Solidarität auch unter den Verwertungsgesellschaften gefragt.

Sperren oder Prüfen

Reda: Moritz Eggert spricht da zwei verschiedene Dinge an. Einerseits die Bezahlung und andererseits die Frage, ob ich einer bestimmten Nutzung widersprechen kann. Da gibt das deutsche Urheberrecht heute schon einen stärkeren Schutz, als das amerikanische. Wir haben ja das Urheberpersönlichkeitsrecht und wenn jetzt zum Beispiel Donald Trump deine Musik für eine politische Botschaft verwendet, stimme ich dir absolut zu, dass du dagegen vorgehen solltest. Die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt passiert das. Ist es so, dass Donald Trump das erst einmal hochlädt und du dann dagegen vorgehen kannst, es sperren lassen kannst, womöglich auch Schadensersatz fordern kannst? Oder ist es so, dass das Video gar nicht erst hochgeladen werden darf, weil es ja sein könnte, dass dort eine Urheberpersönlichkeitsverletzung stattfindet. Und da würde ich nicht zustimmen. Das heißt also, bei dem Bezahlungsaspekt bin ich durchaus einverstanden und ich finde es auch ganz gut, dass die Bundesregierung jetzt vorschlägt, dass es so einen Direktvergütungsanspruch geben soll, also dass tatsächlich sichergestellt wird, dass ein Teil der Lizenzgebühren, die die Plattformen bezahlen, auch tatsächlich bei den Kreativen ankommt. Was ich falsch finde, ist, dass man im Grunde genommen Rechteinhabern die Möglichkeit gibt, jegliche Nutzung ihres Werks erst einmal sperren zu lassen, ohne dass tatsächlich sichergestellt ist, dass es sich dabei auch um eine Urheberrechtsverletzung handelt.

Eggert: Aber es geht natürlich auch nicht nur um Urheberrechte. Es geht auch um Persönlichkeitsrechte, und da ist es dann vielleicht zu spät, wenn das bereits im Netz ist. Ich denke jetzt auch an Bildnutzung von privaten Bildern, die vielleicht jemand aus Facebook hochgeladen hat, die plötzlich Teil von irgendeinem Video-Spot werden, obwohl man das nicht will. Was ist dann? Auch da ist es unmöglich, das vorher zu erkennen. Wie kann ich einem Upload-Filter sagen, dass das privat ist? Wir bewegen uns da wirklich in einem ganz komplexen Territorium. Da muss sich irgendwann ein Konsens herausfiltern, der die Interessen der Mehrheit ebenso vertritt, wie das Interesse an freier Meinungsäußerung und an Berichterstattung. Aber ich habe darauf auch keine schnelle Antwort, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich beneide auch die Leute nicht, die mit dieser Thematik beschäftigt sind.

nmz: Wem bringt der deutsche Gesetzesentwurf Vorteile und wem bringt er Nachteile? Warum übernimmt man nicht einfach die EU-Regelung?

Reda: Die EU-Regelung beantwortet ganz zentrale Fragen eigentlich nicht. Zum Beispiel steht da drin: Plattformen müssen bestmöglich sicherstellen, dass Urheberrechtsverletzungen nicht hochgeladen werden, wenn die Rechteinhaber das wollen. In einem der nächsten Absätze steht dann: Legale Inhalte dürfen dabei nicht gesperrt werden. Es wird überhaupt nicht erklärt, wie das funktionieren soll. Wenn ich eine Plattform wäre, könnte ich mich jetzt auf den Standpunkt stellen: Es gibt keine technische Lösung, die niemals zur Sperrung von legalen Inhalten führt, also sperre ich einfach überhaupt nichts. Das wäre eine mögliche Interpretation des Gesetzestextes auf EU-Ebene. Eine andere Interpretation ist, zu sagen: „Legale Inhalte dürfen nicht gesperrt werden“ heißt einfach, dass man sich hinterher beschweren kann. Aber das wäre natürlich für die Meinungsfreiheit katastrophal, wenn jedes Zitat, jede Parodie erst einmal gesperrt wird und man sich dann aktiv in irgendeiner Form beschweren muss. Deshalb gibt es jetzt auf EU-Ebene einen Prozess, wo versucht wird, technische Schwellenwerte zu entwickeln, wo man sagen kann, wenn ein Ausschnitt zum Beispiel so kurz ist, dann ist es hinreichend wahrscheinlich, dass es sich dabei um ein Zitat handelt, und deshalb sollte es nicht gesperrt werden. Das ist so in etwa der Ansatz, den auch die Bundesregierung verfolgt. Über diese Schwellenwerte kann man sich jetzt natürlich trefflich streiten.

nmz: Die Schwellenwerte verändern sich im Moment wöchentlich. Moritz, wie siehst du das, 15 Sekunden eines deiner Werke umsonst, ist das eine Einbuße, ist das problematisch? Der Filmkomponist sieht das vielleicht anders als der Komponist neuer Musik.

Eggert: Würde man 15 Sekunden Musik in irgendeinem Bericht über meine Musik verwenden, würde ich mich freuen. Das ist ja nur ein kurzer Ausschnitt. Aber 15 Sekunden können auch sehr lang sein, zum Beispiel in einem Werbespot. Wir kennen viele Werbespots, wo die Musik sehr charakteristisch und sofort erkennbar ist. Das ist dann eine Urhebergeschichte. Es kann aber auch Musik – und das ist das Komplizierte daran –, die vorher als längeres Stück existierte, plötzlich in Ausschnitten zu solch einem Jingle werden. Auch da gibt es ganz viele Beispiele. Und plötzlich ist das eigentlich ein geschütztes Produkt. Da würde ich sagen, das müsste eigentlich vergütet werden.

Was sind 15 Sekunden wert?

Reda: Da muss ich aber etwas klarstellen. Diese 15-Sekunden-Regelung gilt nicht für kommerzielle Inhalte. Das heißt also, niemand darf deine Musik in einem Werbespot verwenden auf Basis dieser 15-Sekunden-Regel. Außerdem wird diese Nutzung vergütet, das heißt die Plattformen müssen für diese mutmaßlich erlaubte Nutzung eine Vergütung an die Verwertungsgesellschaften zahlen. Zudem ist auch die Nutzung von so einem 15-Sekunden-Schnipsel nicht gleich legal, sondern der Upload-Filter wird bloß mit einer Toleranz ausgestattet, sodass Ausschnitte, die als nicht kommerzielle Nutzung zählen und kürzer als 15 Sekunden sind und außerdem noch den Inhalt mit anderem kombinieren und nicht mehr als die Hälfte eines geschützten Werks enthalten, nicht automatisch gesperrt werden. Du wirst aber trotzdem informiert, dass jemand das hochgeladen hat, und kannst es dir anschauen und dann gegebenenfalls sagen, ich möchte es aber doch gesperrt haben. Oftmals wird auch übertrieben, was mit dieser 15-Sekunden-Regel eigentlich möglich ist. Da wird behauptet, es würde quasi verschenkt oder legalisiert oder kommerziell genutzt und alles das ist überhaupt nicht der Fall. Da wurden schon sehr viele Zugeständnisse an die Rechteinhaber gemacht, diese Regel derart zu gestalten, dass der wirtschaftliche Einfluss von diesen 15 Sekunden extrem gering ist.

Eggert: Da hast du zwar Recht, Julia, aber es gibt bei der GEMA zum Beispiel einen sogenannten Werkausschuss, der seine Zeit mit nichts anderem verbringt, als zu entscheiden, ob etwas kommerziell oder nicht kommerziell ist. Es gibt eben auch die halbkommerzielle Nutzung, also diesen Graubereich wie er beispielsweise bei Influencern entstehen kann. Sind die immer geschäftlich unterwegs oder sind das einfach nur Fans, zum Beispiel von Lego? Da gab es jetzt diesen Fall, wo Lego einen YouTuber kritisiert hat. So wie man Lego verwenden kann sind auch Nutzungen von Musik möglich und dann haben wir plötzlich keine so klare Auslegung. Natürlich, was du beschrieben hast, ist vom Gedanken her richtig, aber es gibt eben diese Grauzonen. Darum geht es eigentlich in diesem Streit.

nmz: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Eggert: Ein möglicher Lösungsweg wäre, die Plattformen, die genutzt werden, zu unterteilen in verschiedene Nutzungsbereiche, die man unterschiedlich behandelt. Bei YouTube haben wir zum Beispiel kommerzielle Nutzung, Filmtrailer, Werbung, aber wir haben auch Hobby-Leute, die einfach nur ihre privaten Videos, Paro­dien, Satire hochladen – das, finde ich, sollte total frei sein. Ich will zum Beispiel auch gerne Jonas Kaufmann parodieren können und dazu sein Video einfach benutzen und daraus eine Satire machen, weil das mein Satire-Recht ist. Dann gibt es aber Bereiche, wo es eben nicht so ist, wo die Nutzung sehr wohl beobachtet werden muss, weil es sich um Urheberrechte handelt. Wenn man diese Plattformen unterschiedlich verteilen würde, so dass man Freiräume schafft für freie Sprache, für freie Meinungsäußerung, aber gleichzeitig eben die kommerzielle Nutzung besser kontrolliert in einem getrennten Bereich, das wäre vielleicht ein guter Ansatz.

Lizenzierungsmodell gesucht

Reda: Es wird schwierig, eine Lösung zu finden, die für alle Plattform-Modelle passt. Ich glaube, für solche Plattformen wie YouTube fände ich eigentlich das Modell wie im Radio ganz gut: Dass es eine verpflichtende kollektive Lizenz gibt. Die Plattform muss zahlen, weil sie die Musik auch monetarisiert, aber die Upload-Filter sollten komplett aus dem Gesetz gestrichen werden. Auf der einen Seite bestünde somit weiterhin die Möglichkeit, eine bestimmte Nutzung, die einem nicht gefällt, sperren zu lassen – bei unserem Beispiel Donald Trump sollte das notice and take down reichen – und auf der anderen Seite wäre dann ein Lizenzierungsmodell für die Bezahlung geschaffen.

Eggert: Momentan ist die Technik ein bisschen hinterher: Wir entwickeln jetzt gerade erst Programme und Algorithmen, die automatisch Musik erkennen können. Diese ermöglichen erst, zu schauen, wo wurde jetzt meine Musik verwendet. Selbstverständlich ist es als Musiker nicht immer in meinem Interesse, das zu verbieten, sondern ich will daran auch etwas verdienen. Aber dazu muss dann eben auch diese Technologie funktionieren, die mir diese Information gibt. Da sind wir immer noch nicht an einem zufriedenstellenden Punkt, vor allem aus der Perspektive der E-Musik. In der U-Musik hast du einen Song, der ist einfach immer gleich, in der E-Musik hast du ein Orchesterstück, das jedes Mal anders interpretiert wird. Wenn da Grundlagen geschaffen sind, tendiere ich eigentlich auch dazu, Upload-Filter nicht als die ideale Lösung zu empfinden. Vor allem, weil man ja auch trennen muss zwischen einer verbotenen Nutzung eines urheberrechtlichen Materials, und zum Beispiel dem, was ja auch viel diskutiert wird, Falschmeldungen oder Verbreitung von Unwahrheiten und so weiter.

Reda: Ja, das ist ja schon außerhalb des Urheberrechts. Aber ich finde, selbst im Urheberrecht versucht der Artikel 17 zu viele Probleme gleichzeitig zu lösen. Vielleicht wäre es besser gewesen, tatsächlich eine musikspezifische Regelung zu finden, weil jetzt zum Beispiel ja auch die Filmindustrie sehr unzufrieden ist mit dem Artikel 17. Kurz vor der Verabschiedung der Richtlinie haben viele große Hollywood-Studios und andere Akteure der Filmindustrie sogar dazu aufgerufen, den Artikel 17 doch nicht zu verabschieden, weil sie befürchten, dass da ein Modell, das im Prinzip mehr für Musik entwickelt wurde, auf andere Kontexte angewandt wird. Noch schlimmer wird es ja bei anderen Werkgattungen, an die überhaupt nicht gedacht wurde: Softwarecode ist auch urheberrechtlich geschützt und natürlich ist es theoretisch möglich, dass den jemand bei YouTube hochladen könnte. Es wäre jetzt auch unfair, zu sagen, YouTube muss Lizenzen von der VG Wort erwerben, nur weil es sein kann, dass in den Videos irgendwie mal ein Stück Text eingeblendet sein kann. Denn das ist natürlich nicht das, womit die Plattform Geld verdient. Das heißt also, auch dieses Problem, dass die verschiedenen Werksgattungen verschiedene Vertriebswege haben und mehr oder weniger stark auf Exklusivrechten basieren, ist auch etwas, was bei Artikel 17 für Konflikte sorgt.

Toleranz gibt es nicht mehr

nmz: Hinkt die Weiterentwicklung des Urheberrechts der Geschwindigkeit des Internets hinterher?

Eggert: Wir machen es uns auch zu kompliziert. Mein Lieblingsbeispiel: Ich habe ein Stück geschrieben, da habe ich alle Nationalhymnen der Welt verwendet. Einige davon sind urheberrechtlich geschützt. Die kommen immer jeweils so eine Sekunde, zwei Sekunden vor, man kann sie teilweise kaum erkennen. Ich denke mal, dass das Gesamtwerk eine sehr komplexe Collage ist, die mit diesen Hymnen nichts mehr zu tun hat. Aber es gibt darüber einen aktenordnerschweren Briefverkehr mit der GEMA. Dann habe ich die GEMA gefragt: Wie war denn das eigentlich mit diesem (für Neue Musik-Kenner) sehr berühmten Stück von Bernd Alois Zimmermann, „Musique pour les soupers du Roi Ubu“, wo das ganze Stück nur aus Zitaten besteht? Der hat auch fröhlich Zitate von Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez verwendet, die zu der Zeit natürlich und immer noch, urheberrechtlich geschützt sind. Da habe ich einfach mal den Herrn Brandhorst von der GEMA gefragt, ob er mal nachschauen kann, ob es darüber auch so viele Aktenordner gibt. Da meinte er: „Nein, das hat man damals einfach so gemacht, weil man sofort erkannt hat, dass das Werk von Bernd Alois Zimmermann ein eigenständiges Werk ist.“ Das ist ein tolles Stück und natürlich lebt es nicht von den Zitaten, sondern von dem Prinzip, wie er mit den Zitaten umgeht.

Das zeigt mir, wie absurd das auch geworden ist. Manchmal komme ich mir vor, wie in einem Wahrheitsministerium, wo man die Regeln immer wieder neu auslegt, aber dadurch die Wahrheit auch immer wieder verändert. Ich hätte gerne eine einfache Antwort auf diese Frage, weil ich mich unheimlich ärgere über die Ungerechtigkeit, wie mit den Urheberrechten umgegangen wird und wie schlecht die Urheber vergütet werden. Gleichzeitig gibt es in mir einen Teil, der sagt, wir brauchen diese Freiheit, einfach auch mal machen zu können.

Reda: Das ist ein Punkt, wo die EU-Urheberrechtsrichtlinie tatsächlich eine Verbesserung bringt. In Deutschland gibt es im Moment überhaupt keine Regelung für Parodie, Pastiche und Karikatur. Wir hatten früher die Regelung für die freie Benutzung, die der Europäische Gerichtshof dann in dem „Kraftwerk gegen Moses Pelham“-Urteil gekippt hat, und jetzt führt die Richtlinie Parodie, Karikatur und Pastiche als neue Ausnahme ein. Der Grund dafür ist auch, dass es große Befürchtungen gab, dass Artikel 17 eben solche Dinge wie Fan-Kultur – damals ging es vor allem um Memes, Fan Fiction, Remixes und so weiter –, aber auch die künstlerische Auseinandersetzung mit fremden Werken einschränkt. Bisher wurde oftmals in der Praxis gesagt, da kann ja niemand etwas dagegen haben, das lassen wir einfach laufen. Diese Toleranz funktioniert aber nicht mehr, wenn das Urheberrecht automatisch durchgesetzt wird. Ich unterschreibe auch nicht jedes Mal, wenn ich einen Gastbeitrag für eine Zeitung schreibe, einen Vertrag, wo genau geregelt wird, ob ich denen ein Exklusivrecht übertrage oder nur ein einfaches Nutzungsrecht. Da gibt es ganz viel, was einfach gewissermaßen eine gelebte Praxis ist, und wenn man sich fair zueinander verhält, gibt es meistens keine Probleme. Das ist etwas, was ein Algorithmus einfach nicht abbilden kann. Grundsätzlich ist es ein falscher Weg, zu versuchen, Gesetze, die immer mit Auslegung zu tun haben, automatisch durchsetzen zu wollen. Das funktioniert nicht.

Solidarität? Fremdwort

nmz: Die Musikbranche spricht von Enteignung. Ist das Populismus oder was steckt da dahinter?

Eggert: Man muss sich einfach nur anschauen, wie Musik früher verwertet wurde, als es die guten alten Schallplatten gab, als es den CD-Verkauf gab. Da konnte man relativ faire Transferaktionen machen und sagen, so und so viele Platten wurden verkauft, die Plattenfirma hat so und so viel eingenommen, die Künstler bekommen so und so viel. Das waren ganz andere Summen als heute. Es wäre natürlich toll, wenn der Marktplatz Internet so funktionieren würde, dass ich da dieselbe Art von Einnahmen wie früher auch habe. Da sind wir heute noch lange nicht. Da haben wir, weil uns die technische Entwicklung auch ein bisschen überrannt hat, viele Chancen verpasst, für eine gerechte Verteilung zu sorgen. Es haben viele dagegen gehalten mit guten Sachen, auch zum Beispiel Prince, der seine eigene Musik auf seiner Website angeboten hat, aber es war leider wenig erfolgreich. Da fehlt nach wie vor Solidarität in der Branche, dass man sagt, wir machen jetzt mal ein wirkliches Gegenmodell, was fair ist für alle. Da würde ich mir zum Beispiel eine Art Netflix für klassische Musik wünschen, einen Streaming-Sender, der Musiker und Orchester bezahlt und auch Kompositionsaufträge vergibt, weil er ein hochwertiges Programm anbieten will. Dann könnte wieder ein fairer Austausch stattfinden.

Reda: Das finde ich eine sehr gute Idee. Es ist wichtig, dass man schaut, wie der Kuchen fair verteilt wird. Einer der Gründe, weshalb die Kreativen von Spotify zum Beispiel so wenig Geld bekommen, ist, weil der Deal zwischen Spotify und der Musikindustrie zum großen Teil nicht über den Verkauf von Exklusivrechten, sondern über Anteile an der Firma gelaufen ist. Auch wenn ich lese, dass Venture-Kapitalisten das Repertoire von Bob Dylan gekauft haben, dann glaube ich nicht, dass dieses Geld, das damit verdient wird, unbedingt an Kreative zurückfließt. Da ist auch das Urheberrecht einfach zu lang, denn die allermeisten Kreativen werden natürlich 70 Jahre nach ihrem Tod keine Einnahmen mehr generieren.

Die wenigen, die das tun, deren Rechte sind meist in die Hände von größeren Unternehmen geflossen. Und natürlich geht dann ein Teil des Kuchens auch dort hin, statt zu denen, die heute kreativ tätig sind.

Eggert: Es gibt immer wieder auch die Idee, dass man einen Teil dieses Geldes verpflichtend beispielsweise für Kulturförderung einsetzen könnte ab einem bestimmten Zeitpunkt. Zum Beispiel müssten die Rechteinhaber einen Teil davon nach 40 Jahren an die Kulturförderung abgeben.

nmz: Was passiert, wenn die Richtlinie scheitert am 21. Juni 2021? Ist der Ausgang jetzt abzusehen?

Reda: Zunächst einmal ist Deutschland verpflichtet, bis Juni die Richtlinie umzusetzen. Allerdings gibt es konkret nur gegen den Artikel 17 ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, ob eben Teile von diesem Artikel 17 – die Uploadfilter – gegen die EU-Grundrechte-Charta verstoßen. Allerdings gehen alle davon aus, dass dieses Urteil nicht rechtzeitig kommen wird für die Umsetzung in Deutschland, sondern wahrscheinlich im Herbst. Daher ist es gut, dass die Bundesregierung ein eigenständiges Gesetz für den Artikel 17 vorgeschlagen hat. Denn wenn es tatsächlich so kommen sollte, dass der Europäische Gerichtshof sagt, Artikel 17 ist grundrechtswidrig, dann kann man dieses Gesetz wieder abschaffen, ohne dass man den Rest der Urheberrechtsreform wieder komplett neu anfangen muss.

nmz: Moritz, wie siehst Du das? Steht der 21. Juni bei Dir im Kalender unterstrichen?

Eggert: Nicht wirklich. Ich sehe das pragmatisch und realistisch: Es klappt oder es klappt nicht und wenn es nicht klappt, muss es eben angepasst werden. Aber natürlich habe ich schon auch Hoffnung, dass man relativ bald zu Ergebnissen kommt, die für einen größtmöglichen Anteil an Urhebern auch wirklich sinnvoll und erfreulich sind. Wie Julia Reda sagt, Vieles in unserem gemeinschaftlichen Leben ist nicht durch Gesetze geregelt. Ich fände es toll, wenn es im Internet auch im Bereich Copyrights und Verwertung etwas gäbe, wie einen moralischen Kodex. Da müssen wir noch viel Aufklärung betreiben, darüber reden und viel diskutieren.

Moderation: Andreas Kolb

 

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