Banner Full-Size

Ein virtueller Proberaum für Neue Musik

Untertitel
Kunstuniversität Graz
Publikationsdatum
Body

Die COVID-19-Pandemie hat die Musikszene wie Universitäten vor unerwartete Herausforderungen gestellt. Nicht nur der Konzertbetrieb musste neu gedacht werden – auch Lehre und Proben. An der KUG konnte vor diesem Hintergrund unter anderem ein virtueller Proberaum für das Klangforum Wien und sein Ensemble-Studium ppcm entwickelt werden.

Dem Bereich Neue Musik kommt an der Kunst­universität Graz traditionell ein ganz besonderer Stellenwert zu. Für die musikalische Interpretation zeitgenössischer Kompositionen gibt es eine kollektive Professur des Klangforum Wien: Performance Practice in Contemporary Music (kurz PPCM). Gelehrt und gelernt wird direkt aus der Praxis heraus, Probenarbeit ist Studium – und vice versa. Beides jedoch schien unter den Rahmenbedingungen des pandemiebedingten Shutdowns nicht sinnvoll möglich, wie Dimitrios Polisoidis vom Klangforum erläutert: „Es hat sich in der aktuellen Situation sehr schnell herausgestellt, dass herkömmliche Konferenz-Tools wie Skype oder Zoom für den musikalischen Unterricht ungeeignet sind – erst recht für den Gruppenunterricht wie bei PPCM.“

Polisoidis wandte sich daher an den Medienkünstler Winfried Ritsch vom KUG-Institut für elektronische Musik und Akustik (IEM). Ritsch, der eben mit dem Andrzej-Dobrowolski-Kompositionspreis des Landes Steiermark ausgezeichnet wurde, forschte schon in der Prä-Internet-Ära mit seinem ersten Streaming-Konzert von 1989 oder in Projekten wie der virtuellen Concert-Hall und den Netzwerkkonzerten 2003/2009 zum Thema. Am IEM konnte er zudem auf zahlreiche Vorarbeiten zurückgreifen. Im Endeffekt ist es dort nun aber mit Unterstützung des Zentralen Informatik Dienst (ZID) der KUG  zur Entwicklung einer gänzlich neuen Streaming-Software gekommen. Ritsch konzipierte eine maßgeschneiderte Lösung, die den Teilnehmenden ermöglicht, mit einfacher Ausrüstung von zu Hause aus einen virtuellen Proberaum zu betreten. Dieser Proberaum bietet eine gemeinsam erlebte virtuelle Akustik, parallel kann über Video auch auf visueller Ebene Konferenz- Software benutzt werden. Das alles ist selbst mit einer einfachen Internetverbindung möglich – die betroffenen Studierenden und Lehrenden saßen ja über die halbe Welt verstreut fest, nicht an allen diesen Orten ist das Netz entsprechend ausgebaut.

Die Situation im virtuellen Proberaum sei, so Polisoidis, mit einem Studio zu vergleichen: „Der Lehrende sitzt sozusagen mit dem Tontechniker im Cockpit und kommuniziert über Zuschaltung mit den Studierenden im Raum. Die Klangqualität ist sehr viel besser als üblich.“ Ein entscheidender Punkt, der wirklich passen musste, war die Lautstärkeregelung. Winfried Ritsch: „Es ist ein Proberaum für ein Ensemble mit akustischem Instrumentarium, das im gemeinsamen Raum gleichrangig darzustellen ist, die Klangdynamik wird hier durch den Dirigenten kontrolliert – nicht von der Tontechnik mit automatic gains oder durch eine Software, die alles vereinheitlicht.“

Polisoidis zeigt sich überzeugt, dass diese Entwicklung auch über die Corona-Zeit hinaus Anwendung finden wird. Im Sinne von EEK ziele das Projekt, so Ritsch, auch darauf ab, Musikschaffenden beizubringen, wie sie virtuell arbeiten können. Auf dem Weg zu einem allgemein nutzbaren Produkt derart anlassbezogener Entwicklungen kommt eine weitere IEM-Forschungsarbeit ins Spiel. Der Augmented Practice-Room von Matthias Frank. Auch dieser erschafft eine Umgebung mit akustisch erweiterter Realität, diesmal mit dem Zweck, die Konzertsaalakustik bereits im Überaum erlebbar zu machen. Ziel ist die optimierte Vorbereitung auf einen Auftritt durch Simulation der dort vorgegebenen Akustik (die sich nur zu oft hinsichtlich der Hallzeiten stark von der des Proberaumes unterscheidet).

Das Prinzip ist einfach, die Umsetzung komplex: Die vorhandene Raumakustik wird nicht ersetzt, sondern erweitert. Über Kopfhörer oder Lautsprecher kann die gewünschte Akustik zugeschaltet werden. Und das in Echtzeit: Man/frau spielt oder singt in ein Mikrofon und hört sich selbst bereits wie im Konzertsaal (oder in einer Kirche). Entscheidend auch für Franks Entwicklung ist, dass weder Mikrofon noch Rechner Luxus-Hardware sein müssen, nur die Soundkarte darf nicht ganz billig sein – und die Kopfhörer/Lautsprecher sind natürlich speziell präpariert. Auch dieses Tool kann als Ensemble genutzt werden. Und in Zukunft könnte es den virtuell erweiterten Proberaum als App fürs Mobiltelefon geben.

www.kug.ac.at

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!