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Einblicke, Überblicke, Ausblicke

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Charlotte Fröhlich regt zur Elementaren Musik mit Erwachsenen an
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Im Laufe der letzten vier Jahrzehnte hat die Elementare Musikpädagogik (EMP) im Bereich frühkindlicher Entwicklung und Bildung im Bewusstsein von Pädagogen und Eltern eine nicht mehr wegzudenkende Bedeutung erlangt. Das Interesse ist groß, die Angebote vielfältig und die Veröffentlichungen zu diesem Thema zahlreich. Obwohl die EMP einen altersunabhängigen Ansatz vertritt, finden wir jedoch kaum Literatur für die Elementare Musikpraxis mit Erwachsenen. Hier setzt das Buch „KlangKörper ZeitRäume“ von Charlotte Fröhlich an.

Fröhlich bietet mit ihrem Buch einerseits Einblicke in weit gefächerte Facetten bestehender Modelle für Erwachsene und gibt anderseits ausführliche Tipps und Anregungen für die Planung und Konzeption eigener zielgruppenspezifischer Kursangebote. Eine Bedarfsanalyse musikalischer Bildungsangebote für Erwachsene rundet den weit geschlagenen Bogen ab.

Die Gliederung des Buches in fünf große Kapitel soll dem Leser die Orientierung im recht kleinteiligen Inhaltsverzeichnis erleichtern. Benutzerfreundlich ist jedes Kapitel in sich abgeschlossen, und es bleibt der Leserin und dem Leser überlassen, sich individuell die „ZeitRäume“ zu nehmen, die manchmal etwas ausschweifenden Verzweigungen in angrenzende Bereiche oder die Kleinteiligkeit mancher Kapitel zu erforschen, um möglichst viele „KlangKörper“ zum Schwingen zu bringen.

Im ersten Kapitel werden der Begriff des Elementaren, der Zeitkunst sowie der Bildungsbegriff theoretisch beleuchtet und eine aus der Entwicklungspsychologie stammende differenzierte Untergliederung des Begriffs „Erwachsene“ vorgenommen. Für Neueinsteiger im Arbeitsfeld mit Erwachsenen sind die detaillierten organisatorischen Vorschläge und Informationen zu Zielgruppenzusammensetzung, Frequenz der Kurstermine und möglichen Schwerpunktsetzungen von großem Wert. Hilfreiche methodische Anregungen zum kommunikativen Verhalten und zum Einsatz unterschiedlicher Feedbackformen von nonverbal bis reflexionsbezogen lassen sich auch auf andere Zielgruppen übertragen.

Anhand der Themenbereiche „Singen und Sprechen“, „Spiel an Perkussions- und Melodieinstrumenten“, „Bewegung“ und „Hören“ werden Gemeinsamkeiten zur Arbeit mit Kindern aufgezeigt, aber gleichzeitig verweist die Autorin auf die Notwendigkeit, in der Praxis die unterschiedlichen Zugänge und Lernbiografien von Erwachsenen zu berücksichtigen. Im Anschluss an den theoretischen Teil findet man zu allen Themenbereichen Beispielstunden von Charlotte Fröhlich und Werner Beidinger.

Fröhlich nennt drei Kernbereiche, auf deren Basis sich Inhalte, Themenbereiche und Zielebenen für die Elementare Musikpraxis entwickeln lassen: „1. Das (Wieder-)Erkennen von Musikalität als eine kommunikative menschliche Fähigkeit; 2. Das Präsenzerlebnis und die Ensembleerfahrung; 3. Die Entwicklung und Differenzierung von zeitkunsthafter Kreativität und Fähigkeit“

Die Autorin verweist auf die Problematik, „künstlerische Inhalte einer Sammlung von Zielen unterzuordnen“ und fordert, die künstlerische Auseinandersetzung in das Zentrum jeder Kurseinheit zu rücken, statt die Betonung auf Reflexion und kognitive Prozesse zu legen. Dem ausführlichen und weit ausholenden theoretischen Teil lässt die Autorin Praxisbeispiele folgen, denen kurze, variable Anfangs- und Schlussbausteine mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen vorausgestellt sind. Neben den bereits oben erwähnten Unterrichtsbeispielen zu den verschiedenen Themenbereichen beschreibt Fröhlich vier durch Neue Musik inspirierte Kursideen. Dabei bezieht sie sich auf Kompositionen von Schnittke, Boulez, Ives und Skrjabin.

Die Abschnitte B bis D in der zweiten Hälfte des Buches beschreiben voneinander unabhängige Ansätze. Thomas Reck unterstreicht mit seinem Ansatz der „Musikalischen Initiation“ die orale Vermittlung von Musik.
Über die Form des Call-Response, des zyklischen Circlesongs und andere verwandte Chorformen erfahren die Teilnehmer spielerisch handelnd einen körperlich orientierten Zugang zu elementaren musikalischen Phänomenen: „... der Schöpfung aus dem Moment und dem egalitär Emanzipatorischen verdankt die orale Tradition ihre Kraft …“

Klaus Leidecker beschreibt unter der Überschrift „Ressourcenorientierte Musikintervention“ den Einsatz von Musik als „Beitrag zur Alltagsintegration von Erwachsenen nach Psychatrieaufenthalten“. In Tagesstätten begegnen sich Studierende der Sozialen Arbeit und Erwachsene mit Psychatrieerfahrung in einem ritualisierten Setting. Über das gemeinsam handelnde Musik-erleben, über mögliche Hör-, Erlebnis- und Kommunikationsprozesse sollen Stärken erkannt und Ressourcen frei werden, die helfen, Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Der Musik kommt hier die Rolle als „Co-Therapeutin“ zu.

„... und dann huschte ein Lächeln über das Gesicht ...“ ist ein Erfahrungsbericht von Barbara Metzger, die mit Studierenden des Studiengangs Elementare Musikpädagogik (EMP) an der Hochschule für Musik Würzburg in einem Seniorenheim Elementares Musizieren anbietet. Spezielle Bedürfnisse und Probleme werden beleuchtet und besondere Anforderung an die Kompetenzen der Anleitenden formuliert. Besondere Beachtung verdient ein intergeneratives Angebot, in dem eine Gruppe aus Heimbewohnern und eine Schülergruppe einer 2. Klasse gemeinsam aktiv miteinander musizierten.

„Musikunterricht im Erwachsenenalter“ von Werner Beidinger gibt einen Überblick über Lerndisposition und Lebenswelt Erwachsener sowie über das bestehende musikalische Bildungsangebot verschiedener Institutionen in Deutschland. Ein ausführlicher Fragebogen zum Bedarf an musikalischen Angeboten für Erwachsene und dessen Auswertung beanspruchen mit 50 Seiten viel Raum. Das Ergebnis ist durch zu geringen Rücklauf nicht wirklich repräsentativ; dennoch scheint sich zu bestätigen, dass, wie eingangs erwähnt, die Elementare Musik für Erwachsene noch viel zu wenig bekannt ist und daher auch keine große Nachfrage entstehen kann. Beidinger appeliert: „Nicht nur bei den Erwachsenen selbst, nein auch in den Köpfen von Hochschulverantwortlichen und politischen Entscheidungsträgern muss verankert werden, dass sich Elementare Musikpädagogik als künstlerisch-pädagogische Disziplin keineswegs ausschließlich an Kinder als Zielgruppe wendet.“

Gern unterstreiche auch ich diese Forderung! Das vorliegende Buch trägt dazu bei, Interesse an den vielfältigen Facetten der musikalischen Erwachsenenbildung zu wecken. Es ist wünschenswert, dass EMP erfahrenen Musikpädagoginnen und -pädagogen durch die Lektüre Impulse bekommen, elementarmusikpädagogische Angebote verstärkt ins Bewusstsein von Erwachsenen zu bringen.

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