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Eine gemeinsame musikalische Sprache

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„Jugend musiziert“ ermutigt zum Duo-Spiel – ein Gespräch mit Ulrich Rademacher
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Im Wettbewerb „Jugend musiziert“ hatte Kammermusik von Anbeginn große Bedeutung. Sie wurde und wird in Besetzungen von bis zu 13 Mitwirkenden bis zur kleinsten Einheit, dem Musizieren im Duo präsentiert. Insbesondere die drei Duo-Kategorien, in denen das Klavier eine Rolle spielt, mit der Singstimme, einem Streich- oder Blasinstrument als Partner, sind Quell größter Musiziererlebnisse, aber gleichzeitig auch oft Stein des Anstoßes und Anlass für große Erschütterung. Dann nämlich, wenn diejenigen, die das Musikprogramm, das die Nachwuchsmusikerinnen und -musiker für „Jugend musiziert“ angemeldet hatten, auf seine Ausschreibungskonformität prüfen – und zum Ergebnis kommen „nicht Duo-tauglich“. Denn Hintergrund dieser Programmprüfung ist ja, dass die Vergleichbarkeit innerhalb der Kategorien gewährleistet ist, die Grundvoraussetzung für einen Wettbewerb.

Die Verantwortlichen von „Jugend musiziert“ sind sich der Schwierigkeit bewusst, mit der die Lehrkräfte bei der Auswahl duotauglicher Literatur für den Wettbewerb konfrontiert sind. Denn es lassen sich für zahllose Werke gute Argumente dafür und dagegen finden und oft bricht die Diskussion über die Duotauglichkeit eines Werkes zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt aus. Dann nämlich, wenn der Termin des Regionalwettbewerbs schon in greifbare Nähe rückt und kurzfristig eine Programmänderung gefordert wird. Deshalb wird in jeder Ausschreibung Jahr für Jahr von Neuem in den FAQ eine immer wieder überarbeitete Hilfestellung veröffentlicht, die Lehrkräfte und Interpret*innen bei der Suche nach geeigneter Spielliteratur unterstützen soll.

Für das Wettbewerbsjahr 2022 hat „Jugend musiziert“ nun noch einen weiteren Weg gewählt, um sich dem Begriff Duo zu nähern: Mit einem Videobeitrag auf www.jugend-musiziert.org soll in Ton und Bild eine Annäherung an das Thema stattfinden, die dazu geeignet ist, überzeugend für die Kategorie zu werben und zu einer Teilnahme zu ermutigen. Protagonisten sind die im Bundeswettbewerb 2019 mit einem 1. Bundespreis ausgezeichnete 16-jährige Kira Tullia Tarrka und der 17-jährige Jakob Benjamin Hilpert, aus Halle und Landsberg in Sachsen-Anhalt, die den ersten Satz der Flötensonate des 1956 in Mexiko geborenen Komponisten Samuel Zyman aufnahmen und „Jugend musiziert“ zur Verfügung stellten.

Durch das Video führt der Vorsitzende von „Jugend musiziert“, der Pädagoge und Pianist Prof. Ulrich Rademacher, der als exzellenter Liedbegleiter die Praxis des Musizierens im Duo kennt.

neue musikzeitung: Was also ist „Duo“?
Ulrich Rademacher: Duo heißt ja zunächst einmal nichts anderes, als dass zwei Menschen miteinander musizieren – zumindest im Kontext von „Jugend musiziert“ – im Unterschied zum Musizieren im Format „Solo und Begleitung“. Bei Duowertungen musizieren zwei Partner*innen gleichberechtigt miteinander und treten in einen musikalischen Dialog. Sie inspirieren sich gegenseitig, entwickeln eine gemeinsame musikalische Sprache und stimmen, in genauer Kenntnis des jeweils anderen Parts, Phrasierung, Artikulation und Präsenz aufeinander ab.
nmz: Welche Qualitäten des Musizierens spielen demnach bei der Bewertung durch die Jury eine Rolle?
Rademacher: Die Jury wird in dieser Kategorie nicht in erster Linie die jeweilige Qualität der beiden Musizierenden bewerten, sondern großes Gewicht auf die gemeinschaftliche Interpretation und den lebendigen Dialog beider Partner*innen legen.
nmz: Welche Spielliteratur macht diese besondere musikalische Interaktion dann am besten sicht- und hörbar?
Rademacher: Beste Voraussetzungen für eine künstlerische Leis­tung dieser Art bieten Werke, die beiden Partner*innen vergleichbar anspruchsvolle Aufgaben stellen und ihnen im musikalischen Dialog gleiches Gewicht zumessen. Deshalb und in diesem Sinne sind bei den Duo-Kategorien nur Originalwerke zugelassen, also keine Konzerte, Konzertsätze oder Arien für Instrumente oder Stimmen, bei denen das Klavier so gut es geht den Orchesterpart ersetzt.
nmz: Welche konkreten Vorschläge für geeignete Literatur gibt es?
Rademacher: Klar, dass sich die Sonaten von Beethoven, Schumann, Brahms oder Kompositionen der Klassischen Moderne wie etwa von Bartók, Hindemith, Prokofjew, Schostakowitsch, oder Kunstlieder etwa von Clara und Robert Schumann, Wolf oder auch Debussy, Sibelius, Vaugham Williams besonders eignen.
nmz: Und von welcher Literatur rät „Jugend musiziert“ in den Duo-Kategorien ab?
Rademacher: Ungeeignet für die Duo-Wertung sind Stücke, die als virtuose „Show pieces“ für das Melodieinstrument angelegt sind – etwa Werke von Kreisler, Popper, Godard oder ähnliche, die eine gute Wahl für die jeweiligen Solo-Kategorien sein mögen, die aber den Stoff für ein spannendes Duo-Musizieren oft nicht bieten. Dies gilt zumindest, wenn das Klavier im wesentlichen nur Akkordlieferant oder unterstützender Begleitpartner ist.
nmz: Die Literaturhinweise beziehen sich alle auf das 19. und 20. Jahrhundert. Sind Werke früherer Epochen gar nicht Duo-geeignet?
Rademacher: Doch, durchaus. Auch die Barockmusik bietet hier gute Möglichkeiten. Falls eine Komposition für Melodieinstrument mit Basso continuo, wie beispielsweise Werke von Bach, Händel oder anderen Komponist*innen aus dieser Epoche vorgetragen werden soll, ist es daher entscheidend, mit wie viel Lebendigkeit und Phantasie der Continuo-Part gestaltet wird – im Idealfall durch geschmackvolle Verzierungen oder improvisierte Elemente. Hier spielt auch die Auswahl der Ausgabe eine wichtige Rolle, sie soll dazu geeignet sein, diese Freiheiten zuzulassen.
nmz: Welche Hilfestellung leistet „Jugend musiziert“ bei der Suche nach Literatur, die garantiert Duo-geeignet ist?
Rademacher: Unter https://www.jugend-musiziert.org/ausschreibung/literaturlisten.html hat „Jugend musiziert“ als Orientierungshilfe eine beispielhafte Vorschlagsliste von Duo-Literatur erarbeitet. Die dort aufgeführten Werke haben sich als bestens geeignet erwiesen.
nmz: Also geht die Empfehlung von „Jugend musiziert“ hier in Richtung Wahl-Pflichtstücke?
Rademacher: Nein, keineswegs. Man muss keine Komposition aus dieser Liste spielen: Sie soll lediglich die Richtung zeigen, in die sich eine zum Erfolg führende Literaturauswahl bewegen soll.
nmz: Was zeigt das Video auf www.jugend-musiziert.org?
Rademacher: Das Video dient der Verdeutlichung unseres Anliegens. Das Stück von Samuel Zyman begegnete der Jury im Rahmen der letzten WESPE – kein Jurymitglied kannte das Stück zuvor, aber alle waren sich einig, dass es sehr anschaulich verdeutlicht, was gutes Musizieren im Duo ist.
Es beginnt mit einem rhythmisch komplizierten Motiv in exponierter Lage der Flöte, vom Klavier kraftvoll kontrastiert. Dann folgt – typisch Duo – ein Rollentausch: Das Klavier übernimmt in tiefer Lage das Eröffnungsmotiv der Flöte, bevor erneut die Rollen getauscht werden und der erste Teil mit einem Unisono beider Instrumente im fortissimo abschließt. Es folgt eine wilde Jagd beider Instrumente mit einem Trillermotiv über einem Ostinato. Zur Entspannung stellt die Flöte nach zwei Takten Überleitung ein lyrisches Motiv im punktierten Rhythmus vor, das dann vom Klavier übernommen wird, zum Schluss dann auch mit veränderter Charakteristik, markant oktaviert in der Basslage. Nach zwei Dritteln des Stückes bietet die Musik Spielenden wie Hörenden etwas Ruhe vor dem finalen Sturm: Das Eröffnungsmotiv und das punktierte Motiv führen einen ruhigen Dialog in beiden Instrumenten, bevor ein accelerando in eine Art Reprise mündet und das Stück in einer unisono-Stretta rasant endet.
nmz: Steht dieses temporeiche Stück musterhaft für das Musizieren im Duo?
Rademacher: Es gibt natürlich auch Duo-Literatur, in der es weniger rasant zugeht, in der beide Parts auch zum Zurücklehnen und Genießen komponiert sind. In jedem Fall gilt: Der spannende musikalische Dialog ist der Weg, den wir uns bei „Jugend musiziert“ für die Musizierenden in dieser Kategorie wünschen. 

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