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Fredrik Pacius als Fünfzigjähriger. Foto: Finnische Nationalbibliothek
Fredrik Pacius als Fünfzigjähriger. Foto: Finnische Nationalbibliothek
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Einmal Helsinki ohne Rückfahrkarte

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Wie mit Fredrik (Friedrich) Pacius ein Hamburger zum Vater der finnischen Musik wurde
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Das Jahr 2009 ist mit Komponistenjubiläen nur so gespickt: Haydn, Händel, Mendelssohn... Doch in Finnland feiert man dieses Jahr einen hierzulande fast vergessenen deutschen Komponisten, der einige Grundsteine für das heutige, international bewunderte finnische Musikleben legte: Fredrik Pacius.

Jugend in Hamburg, Studium in Kassel

Er wurde als Friedrich Pacius am 19. März 1809 in eine gebildete Hamburger Kaufmannsfamilie hineingeboren. Sein Vater war ein ausgesprochener Musikliebhaber, der seinem Sohn selbst die ersten Geigenstunden erteilte und ihn in die Hamburger Singakademie einführte. Ungewöhnlich für einen Kaufmann war, dass er den Sohn auch unterstützte, als dieser die Musik zum Beruf machen wollte. Nach zwei Schuljahren am berühmten Johanneum begann Friedrich bereits 1824 sein Studium in Kassel. Sein Geigenlehrer wurde kein Geringerer als Louis Spohr, Komposition unterrichtete der spätere Thomaskantor Moritz Hauptmann. Pacius mag kein Wunderkind gewesen sein – die ersten erhaltenen Kompositionen stammen erst aus der Kasseler Zeit – er machte aber so rasche Fortschritte, dass er bereits nach zwei Jahren sein Studium für eine ausgedehnte Konzertreise durch Norddeutschland unterbrach. Dort ereilte ihn sozusagen sein Schicksal in Gestalt des Schiffsmaklers und Musikliebhabers Gustav Flygarson, der ihn 1828 in Stralsund hörte und davon überzeugte, mit ihm nach Stockholm zu reisen und sich auf eine Stelle in der dortigen Hofkapelle zu bewerben. Pläne für eine Fortsetzung des Studiums in Kassel oder Wien waren damit vom Tisch.

Erst Stockholm, dann Helsinki

Schweden war um diese Zeit keine europäische Großmacht mehr, und das Musikleben Stockholms dürfte mit dem einer deutschen Musikstadt wie Leipzig oder Dresden kaum vergleichbar gewesen sein – für einen kaum zwanzigjährigen Geiger und Komponisten war die Stadt aber sicher nicht uninteressant. Pacius bekam denn auch umgehend seine Orchesterstelle; in der Hofkapelle wirkte damals unter anderem der Klarinettist Bernhard Crusell sowie zahlreiche deutsche Musiker. Doch Pacius’ Aufstiegschancen schienen begrenzt, eine Bewerbung an die Universität Uppsala blieb erfolglos, und so sah er sich bald nach neuen Möglichkeiten um. In Helsinki suchte man 1834 nach einem neuen Universitätsmusikdirektor und kam – unter Umgehung der offiziellen Kandidatenliste! – dabei auf Pacius. Die Leitung der Universität, wohl aber auch die kleine gebildete Oberschicht der Stadt, suchten mit strategischem Weitblick nach einem Musiker, der in Helsinki ein Musikleben nach mitteleuropäischem Vorbild aufbauen sollte. Pacius’ Referenzen und Fähigkeiten scheinen sehr überzeugend gewesen zu sein; immerhin war er zum Zeitpunkt der Berufung erst 25 Jahre alt.

Aufbauarbeit

Wer heute das prachtvolle Stadtzentrum Helsinkis bewundert, kann sich kaum noch vorstellen, dass diese nordeuropäische Metropole damals eine Kleinstadt war, welche die russischen Zaren gerade erst zur Hauptstadt jenes Großfürstentums Finnland ausbauen ließen, das ihnen 1809 nach dem Krieg mit Schweden zugefallen war. Immerhin war unter der schwedischen Herrschaft bereits 1640 eine Universität gegründet worden, die 1825 von Turku nach Helsinki verlegt worden war, und es gab funktionierende Verwaltungsstrukturen. Regen Handel mit den Ostsee-Anrainerstaaten betrieb man schon seit der Hansezeit – Finnland war also, zumal im Süden und an der Küste, keine Wildnis. Doch in musikalischer Hinsicht hatte das Land, von ein paar Militärkapellen, wenigen professionellen und etwas zahlreicheren Amateurmusikern abgesehen, wenig zu bieten. Opern wurden ab und zu von reisenden ausländischen Ensembles aufgeführt, von einer Oratorien-, Sinfonie- und Kammermusikpraxis wie in Deutschland konnte keine Rede sein. Doch der Wille des einheimischen Bildungsbürgertums, diese mit Hilfe ausländischer Fachkompetenz zu etablieren, war da, und das Engagement groß.

Pacius gründete nach bewährtem Vorbild akademische und andere „Musikalische Gesellschaften“, also in erster Linie Chöre, aber auch Instrumentalensembles. Dabei konnte er sich auf die Studenten der Universität stützen, während er die Frauenstimmen vor allem unter den Damen der besseren Gesellschaft rekrutierte. Vor dem bescheidenen Hintergrund der Lage bei seiner Ankunft dürfte praktisch jeder seiner Schritte als großer Erfolg gewertet worden sein, und Pacius wurde in den gebildeten Kreisen mit offenen Armen aufgenommen; 1842 heiratete er die Beamtentochter Nina Martin. Eine Sprachbarriere gab es nicht, da das finnische Bürgertum damals noch Schwedisch sprach, das Pacius ja aus seiner Stockholmer Zeit beherrschte, und der finnische Nationalgedanke steckte noch in seinen Anfängen, so dass es auch fast keine Vorbehalte gegenüber einem Ausländer auf dieser wichtigen Position gab. Die Konzertprogramme, vor allem die der Oratorienaufführungen, sind beeindruckende Zeugnisse von Pacius’ Tätigkeit: Neben mehreren eigenen Kantaten und Melodramen stellte er unter anderem Aufführungen von Spohrs „Die letzten Dinge“, Mendelssohns „Paulus“ und Händels „Messias“ auf die Beine. Diese festlichen Oratorienkonzerte waren natürlich nur die Sternstunden neben dem täglichen Brot von Chorproben mit der dazugehörigen Organisation, Unterricht, Kammermusik und zahlreichen Festveranstaltungen an der Universität, die mit Chorgesang bereichert wurden. Bei der Orchestergründung war Pacius weniger Erfolg beschieden – ein von ihm gegründetes kleines Sinfonieorchester war nur wenige Jahre aktiv; hier musste Finnland noch auf die Arbeit seiner Nachfolger Kajanus und Faltin warten.

Nationalhymne und erste finnische Oper

Das mag auch daran gelegen haben, dass Pacius in erster Linie Vokalkomponist war. An größeren Instrumentalstücken hat er nur einen Satz einer Sinfonie und ein Violinkonzert hinterlassen, dafür aber verdankt ihm Finnland zwei der wichtigsten Vokalwerke seiner Musikgeschichte. Im Mai 1848 fand ein Festumzug von Studenten vor die Tore Helsinkis statt, für den ein patriotisches neues Chorlied gebraucht wurde – als Textvorlage diente ein Gedicht von Johan Ludvig Runeberg, „Vårt Land“ („Unser Land“). Pacius schrieb dazu einen festlichen, aber nicht steifen Chorsatz im Dreivierteltakt: das Stück dient heute noch, in seiner finnischen Textfassung, als Nationalhymne. Für das Musikleben seiner Zeit aber war es ein weitaus mehr beachtetes Ereignis, dass Pacius die erste auf finnischem Boden komponierte Oper schuf und deren Uraufführung mit einheimischen Kräften realisierte: „Kung Karls jakt“ („König Karls Jagd“) auf ein Libretto von Zacharias Topelius wurde 1852 uraufgeführt. Das Stück handelt von einem Jagdausflug des schwedischen Königs Karl XII. auf die Åland-Inseln und rankt darum allerhand operntaugliche Szenen. Es zeigt Pacius auf der Höhe seines Könnens als geschickten Vokal- und Bühnenkomponisten, stilistisch dürfte man neben Carl Maria von Weber wohl auch den von Pacius zeitlebens als größtes Vorbild betrachteten Louis Spohr zum Vergleich heranziehen.

War dieses Ereignis in Finnland die musikalische Sensation und mit ein Auslöser für den Aufbau einer eigenen finnischen Oper, so zeigt sich an diesem Stück wie an vielen anderen Werken, dass Pacius mit seiner noblen, aber eher unspektakulären und konservativen Musiksprache etwas den Anschluss an die aktuellen Entwicklungen in Deutschland verloren hatte. Wahrscheinlich aber stand er diesen auch kritisch gegenüber: eine Briefstelle über Wagners Tannhäuser („...keinen inneren Gehalt, keine wirklichen Idéen, wie fast bei aller neuen Musik“) zeigt, dass Pacius, jedenfalls den Wirkungen des Wagner’schen Musikdramas oder der Grand Opéra nie nacheifern wollte; in Finnland hätte er dazu auch gar nicht die Möglichkeiten gehabt. Eine der Gattungen, denen sein besonderes Interesse galt, war das Melodram – in seinem zweiten Bühnenwerk, dem Singspiel „Prinsessan af Cypern“, spielt dieses Genre eine wichtige Rolle. Das Stück ist auch insofern interessant, als hier Erzählungen aus dem finnischen Nationalepos „Kalevala“ (1835 erstmals in der Bearbeitung von Elias Lönnrot veröffentlicht) mit griechischer Mythologie verknüpft werden. An seine zweite, 1887 unter großen Schwierigkeiten uraufgeführte Oper „Die Loreley“ (auf ein Libretto von Emanuel Geibel, das dieser ursprünglich für Mendelssohn verfasst hatte) mit ihrem „urdeutschen“ Sujet knüpfte Pacius wohl auch Hoffnungen auf einen späten Erfolg in der alten Heimat. Nach seiner Pensionierung 1869 hatte er – wenn auch inzwischen ein Großteil seiner Familie nach Finnland übergesiedelt war – häufiger erwogen, wieder nach Deutschland zurückzukehren, musste jedoch einsehen, dass seine Beziehungen zu den musikalischen Kreisen abgebrochen oder nicht mehr stark genug waren, um dort noch einmal Fuß zu fassen. Auch seine Gesundheit wurde schwächer, am 8.1.1891 starb er in Helsinki.

Wenngleich es inzwischen viele „richtige“ finnische Komponisten zu Weltruhm gebracht haben – zahlreiche Aktivitäten zum Jubiläumsjahr zeigen, dass man doch Pacius nicht vergessen hat, den man dort schon zu Lebzeiten „Vater der finnischen Musik“ nannte.

Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr

  • Ausstellung Musik als Heimat. Friedrich Pacius, Hamburger Rathausdiele, 1. bis 18.10.2009
  • Symposium in der Hochschule für Musik Hamburg am 17.10.2009
    Umfangreiche Internetseite: www.pacius.fi

 

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