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Fachliches Können und menschliche Qualitäten

Untertitel
Beschreibung und Analyse musikalisch hoch Begabter des Musikgymnasiums Belvedere in Weimar
Publikationsdatum
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Regina Lorek: Musikalische Hochbegabung bei Jugendlichen. Empirische Untersuchung zur Persönlichkeit und zum Umgang mit Musik. Lang Verlag, Frankfurt am Main 2000

Die Arbeit von Regina Lorek glie- dert sich in drei Großkapitel, einer Einleitung und einer Zusammenfassung des empirischen Teils der Arbeit. Im ersten Kapitel geht es zuerst um die allgemeine Begabung, während sich der zweite Teil mit der musikalischen Begabung befasst. Diese theoretische Auseinandersetzung liefert Lorek das Fundament, auf dem ihre im zweiten Kapitel folgende empirische Untersuchung aufbaut. Im dritten Kapitel folgt ein auf den Untersuchungsergebnissen aufbauendes pädagogisches Fazit.

Für ihre empirische Untersuchung braucht Frau Lorek ein theoretisches Konstrukt, das letztlich stark an das Bedingungsgefüge außergewöhnlicher Leistungen nach Stapf und Stapf erinnert. Der einzige Unterschied ist der, dass die allgemeinen Faktoren durch musikspezifische ersetzt wurden. Im Rahmen des Modells lassen sich drei Ebenen unterscheiden: die Dispositionsebene, die Ebene vermittelnder Faktoren und die Verhaltensebene. Zu der Dispositionsebene gehören nach diesem Modell sowohl die allgemeine Intelligenz, die musikalische Begabung als auch angeborene, physische und psychische Persönlichkeitsmerkmale. Zu den vermittelnden Faktoren zählen die Umweltbedingungen, erworbene personale Bedingungen und biografische Zufallsfaktoren. Musikalische Fähigkeiten und Leistungsformen kennzeichnen die Elemente der Verhaltensebene.

All diese Faktoren der drei Ebenen stehen in einem Wechselverhältnis zueinander. Mithilfe dieses Modells geht es nun um eine differenzierte Beschreibung und Analyse musikalisch Hochbegabter, Schülerinnen (71,1 %) und Schüler (28,9 %) der Klassen 7 bis 10 und 11 bis 12 des Musikgymnasiums Schloss Belvedere in Weimar. Bei dem Musikgymnasium handelt es sich um eine Internatsschule, die nur Schülerinnen und Schüler aufnimmt, die in einer Eignungsprüfung bereits ihre vorhandene Musikalität unter Beweis gestellt haben. Während des Schulbesuchs werden die angenommenen Schülerinnen und Schüler in ihrem jeweiligen Hauptfach am Instrument von Lehrern der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar unterrichtet.

Im Vorfeld der empirischen Untersuchung kommt es bei Lorek zu folgender Hypothesenbildung (vgl. S. 68):

1. Musikalisch-interpretatorisch Begabte sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Faktoren, die im Modell der Entstehung musikalischer Leistungen auf der Dispositionsebene und der Ebene der vermittelnden Faktoren angesiedelt sind:
1.1. Intelligenz
1.2. Persönlichkeitsstruktur
1.3. Motivation, Hörweisen, Musikpräferenzen, Üb- und Auswendiglernstrategien.
2. Die Unterschiede in den unter 1. genannten Bereichen bedingen gemäß dem Modell zur Entstehung musikalischer Leistungen Leistungsdifferenzen auf musikalischem Gebiet. Intelligenz und musikalische Leistung korrelieren positiv miteinander.
3. Die Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur ermöglichen eine Unterteilung musikalisch-interpretatorisch hoch Begabter in verschiedene Typen.
4. Verschiedene Arten des Umgangs mit Musik lassen sich den unter 3. gefundenen Typen zuordnen.
Was zeigen nun die Ergebnisse der Datenanalyse?
1. Musizierende Jugendliche haben, entgegen häufig formulierten Vorurteilen, ein breites Spektrum außermusikalischer Interessen.
2. Hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft heben sich die musizierenden Schülerinnen und Schüler des Musikgymnasiums Schloss Belvedere in Weimar deutlich von der Gesamtpopulation ab. „Eine hohe Bildung der Eltern [...] entspricht den theoretischen Annahmen und empirischen Befunden bisheriger Forschungen“ (S. 184).
3. Mitentscheidend für den eigenen Erfolg auf dem Instrument ist das Verhältnis zum Hauptfachlehrer. Interessant ist, dass dessen menschliche und charakterliche Kompetenz genau so wichtig ist wie dessen fachliche.
4. Die intensive Beschäftigung mit Musik im Allgemeinen und mit dem Instrument im Besonderen ist intrinsisch motiviert.
5. Die musikalischen Vorlieben der Schülerinnen und Schüler liegen im Bereich der Romantik und der Klassik.
6. Wie auch andere musikalische und musikinteressierte Jugendliche gehören auch sie zu den emotionalen, nicht wie vielleicht zu erwarten wäre zu den analytischen Hörern.
7. Was die Stichprobe betrifft, so geht hier hohe Intelligenz mit hoher Musikalität einher. „Die Kernaussage über das Verhältnis von Intelligenz und musikalischen Leistungen lautet: Gymnasialniveau ist ein Kennzeichen der Stichprobe insgesamt (letztlich bereits durch die Selektion der Schulart bedingt), aber aus Intelligenzunterschieden auf hohem Niveau resultieren keine besseren Erfolge auf dem Instrument“ (S. 186).
8. Die Persönlichkeitsprofile der Schülerinnen und Schüler lassen sich letztlich auf vier Typen zurückführen, wobei nicht nur reine Persönlichkeitsmerkmale gemeint sind, sondern auch aus der Persönlichkeit resultierende Verhaltens- und Umgangsweisen zur und mit Musik, die dann wieder auch von musikpädagogischer und instrumentalpädagogischer Relevanz sind.
Wie steht es mit der Verifizierung beziehungsweise der Falsifizierung der eingangs aufgestellten Hypothesen? Während die Hypothesen 1, 3 und 4 bestätigt werden können, kann die zweite Hypothese „nur mit Einschränkungen aufrecht erhalten werden“ (S. 189), da sich Leistungsdifferenzen „nicht auf alle im Modell genannten und untersuchten Variablen zurückführen (ließen)“ (S. 189). Zudem ließ sich auch der erhoffte Zusammenhang zwischen Intelligenz und musikalischer Leistung nicht nachweisen.

Aus instrumentalpädagogischer Sicht fällt wie schon hervorgehoben besonders die Vorbildfunktion des Lehrers auf. Diese bezieht sich sowohl auf sein fachliches Können als auch auf seine menschlichen Qualitäten und sein pädagogisches Geschick. Letzteres hängt wohl auch davon ab, inwieweit der Lehrer seine Schüler kennt beziehungsweise sich bemüht, diese wirklich kennen zu lernen. Besonders hier werden dem Lehrer die von Lorek herausgestellten Persönlichkeitstypen nahe gelegt. Bildungspolitisch gesehen bieten Spezialschulen Vor- wie Nachteile, die es zu bedenken gilt. Diesbezügliche Gedanken beziehen sich auf die Schulform, das Klientel solcher Schulen und letztlich auch auf die Finanzierung dieser Schulen.

Die Ergebnisse der Studie von Lorek bringen für die Diskussion um die musikalische Hochbegabung nicht unbedingt neue Erkenntnisse. Für mich gibt die Arbeit vielmehr einen Einblick in die Schule und die Schülerschaft einen Musikgymnasiums.

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