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„In Frisco ist der Teufel los“ in einer Aufführung von 1962. Abbildungen aus dem Ausstellungskatalog „Welt der Operette“ (Brandstätter Verlag, Wien)
„In Frisco ist der Teufel los“ in einer Aufführung von 1962. Abbildungen aus dem Ausstellungskatalog „Welt der Operette“ (Brandstätter Verlag, Wien)
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Faszinierende Zeitdokumente mit Schmiss

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Operette in der DDR – Plädoyer für eine Wiederbeschäftigung
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In der Ausstellung „Welt der Operette“ wurde jüngst in Wien und München auf das so genannte „Heitere Musiktheater“ der DDR hingewiesen, aber kein Journalist fand es der Mühe wert, darüber zu berichten. Wieso? Und wieso weigert sich die deutschsprachige Operettenforschung, sich des Themas anzunehmen? Wieso spielt zudem kein Theater die ehemals erfolgreichen DDR-Stücke, auch nicht zum 100. Geburtstag von Komponist Guido Masanetz?

Eine Bestandsaufnahme

Auf den ersten Blick würde man meinen, dass an einer umfassenden Aufarbeitung der DDR-Geschichte nun wirklich kein Mangel besteht. Egal ob es um die Stasi oder Homosexualität im Ostteil Deutschlands, Filme der DEFA oder das Alltagsleben im real existierenden Sozialismus geht – regelmäßig erscheinen Bücher, Ausstellungen, Dokus und Spielfilme, die alle nur erdenklichen Aspekte der DDR-Geschichte beleuchten. Umso erstaunlicher ist es, dass ein ganzer Forschungszweig das Thema mit Missachtung straft. Die Rede ist von der deutschsprachigen Operettenforschung und ihrer Totalverweigerung, sich mit dem so genannten „Heiteren Musiktheater“ der DDR auseinanderzusetzen. Das hat eine andere Entwicklung erlebt als die Nachkriegs­operette im Westen. Während in der DDR versucht wurde, Operette als lebendige Kunstform neu zu beleben – mit einer Vielzahl von erfolgreichen Uraufführungen, wie etwa „Bolero“ (1952), „Messeschlager Gisela“ (1960), „In Frisco ist der Teufel los“ (1962) oder „Mein Freund Bunbury“ (1964) –, wurde das Genre im Westen mehr oder weniger „abgewickelt“. Es ging nur mehr darum, alte Stücke zu recyceln und in ein post-nationalsozialistisches Nostalgiegewand zu stecken, mit ewig wiederholten Titeln wie „Schwarzwaldmädel“, „Csárdásfürstin“ und „Im weißen Rössl“. Titel, die irgendwann in dieser Retro-Form niemanden mehr interessierten und vom US-Musical einfach überrollt wurden, beginnend mit dem Sensationserfolg „My Fair Lady“, 1961 am Theater des Westens herausgekommen, zwei Monate nach Bau der Mauer.

Glamour, Stars und Showbusiness

Anders lief die Sache in der DDR, wo seit den 50er-Jahren bewusst eine neue Tradition mit Stücken geschaffen wurde, die den veränderten Alltag reflektieren und kritisch durchleuchten sollten. „Vielfältige Bemühungen um eine neue Operettenkunst drücken überzeugend aus, welche kulturpolitische Konzeption der sozialistische Staat auf dem Gebiet der Unterhaltung verfolgt“, schrieb DDR-Autor Otto Schneidereit in „Berlin, wie es weint und lacht“ 1968. Und eine Beschäftigung – heute – mit diesen „kulturpolitischen Konzeptionen“ ist auch für Nachgeborene spannend, da sich anhand der entsprechenden Stücke von Gerd Natschinski, Guido Masanetz und anderen viel über das Selbstverständnis und das ideologische Wunschdenken der DDR-Machthaber ablesen lässt, was auch für jene Historiker von Interesse ist, die sich nicht sonderlich für Musik interessieren. Denn so wie zu Offenbachs Zeiten die Operette immer genauer Spiegel der Zeitläufte war, so war sie es auch in der DDR. Man muss bloß richtig in den Spiegel schauen!

Als meine Co-Kuratorin Marie-Theres Arnbom und ich vor einem Jahr in Wien am Theatermuseum eine umfangreiche Ausstellung mit dem Titel „Welt der Operette“ eröffneten, ging es uns darum, die vielen Widersprüche des Genres zu beleuchten und vor allem die Parallelwelten aufzuzeigen, die von Anfang an den Reiz der Kunstform ausmachten: die frech-frivole Operette Offenbachs auf der einen und die rührselige Gute-alte-Zeit-Operette auf der anderen Seite. Oder die „entartete“ Jazz-Operette der Weimarer Jahre im Gegensatz zur „arisierten“ Opium-fürs-Volk-Operette der Nazis. Wie erwähnt bildeten sich nach 1949 in Deutschland unterschiedliche Operettenformen in der DDR und BRD heraus. Auf diese innerdeutschen Parallelwelten wollten wir in der Ausstellung ebenfalls hinweisen und das Thema für die spätere Münchner Variante der Schau, die im vergangenen Oktober am dortigen Theatermuseum eröffnet wurde, mit einer eigenen Wand und eigenen Exponaten ausführlicher behandeln. Dazu wurde für den Katalog ein Essay beim Spezialisten Roland Dippel in Auftrag gegeben, der erste große Text zum Thema überhaupt: „Operette in der Deutschen Demokratischen Republik (1949–1989)“.

Bordell im Admiralspalast

Während nun Rezensenten viel über „Die Pornographie der Operette“ und „Operette unterm Hakenkreuz“ schrieben – zwei der großen Themen der Schau und zwei große, bewusst provokante Aufsätze im Katalog –, gingen sie am DDR-Schwerpunkt kommentarlos vorbei, genauso wie die berühmten deutschsprachigen Forscher, etwa Volker Klotz. In seinem „Operette: Handbuch einer unerhörten Kunst“ (1991/2004) wird so ziemlich alles behandelt von französischer über italienische bis spanische Operette, nur DDR-Stücke nicht. Es gibt sie in Klotz’ Operettenuniversum einfach nicht. Auch nicht in anderen Operettenbüchern der Nachkriegszeit, zum Beispiel in Heike Quisseks brandneuem „Das deutschsprachige Operettenlibretto“ von 2012 (J.B. Metzler). Nur in Otto Schneidereits „Operette A–Z“ (1965) finden sich Informationen sowie im wunderbaren Katalog „Theater in Berlin nach 1945: Musiktheater“, den die Stiftung Stadtmuseum Berlin 2002 beim Henschel Verlag herausgebracht hat. Dort gibt es neben einem Kapitel zu Walter Felsenstein und seiner legendären Version von Offenbachs „Ritter Blaubart“ zwei Essays von Ines Hahn mit den Titeln „Denn der Mensch nach Ladenschluss liebt den leichten Musenkuss“ zur Operettensituation in West-Berlin sowie „Die alten Operetten vergessen machen“ zur Situation im Osten. Aber sonst? Weit und breit nichts.

Bemerkenswerterweise schienen jedoch selbst die Feuilletonisten – egal ob österreichisch oder deutsch – kein Interesse an DDR-Dingen zu haben. Ebenso wenig die Direktorin des Münchner Museums, die die neu geplante DDR-Wand höchstselbst auf ein lächerliches Minimum an Exponaten und Informationen zurückdrängte, so dass der Großteil der Ausstellungsfläche leer blieb und einige besonders interessante Aspekte schlichtweg nicht erwähnt werden durften. Zum Beispiel der, dass im Berliner Admiralspalast, wo das DDR-Metropoltheater nach 1955 einquartiert war, auch eines der berüchtigtsten Bordelle des Landes zu finden war, inklusive Abhöranlage. Das heißt, ausgerechnet im sozialistischen Teil Deutschlands wurde bis 1989 die ursprünglich von Offenbach geschaffene Nähe von Operette und Halbwelt aufrechterhalten, im Gegensatz zur gesamten restlichen Welt, wo diese Verbindung spätestens in den 1920er Jahren aufgegeben worden war.

Man mag auch staunen, dass heute in Theatern – inklusive jenen im Gebiet der ehemaligen DDR – kein einziger Titel des DDR-Repertoires gespielt wird. Roland Dippel, der selbst als Dramaturg am Theater Rostock arbeitet, sagt dazu: „Vor zehn Jahren schien es noch, als würde neben den regelmäßigen Einstudierungen von ‚Mein Freund Bunbury‘ in den neuen Bundesländern mit den Neuproduktionen von ‚Messeschlager Gisela‘ an der Neuköllner Oper und am Opernhaus Chemnitz sowie von ‚Servus Peter‘ am Theater Annaberg eine Renaissance des Operetten- und Musical-Schaffens der DDR einsetzen. Vor allem die Neuköllner Aufführung von Regisseur Peter Lund bewies mit Witz und einem zeitgemäßen Arrangement die Unterhaltsamkeit und Bühnenwirksamkeit des Stücks von Natschinski und fand bei einem jugendlichen Großstadtpublikum Anklang. Heute scheint es dagegen so, als ob neben der Rehabilitierung unbekannter Johann-Strauß-Operetten und Léhar-Einspielungen für DDR-Operetten kein Bedarf besteht, auch nicht an der Staatsoperette Dresden und der Musikalischen Komödie Leipzig, den beiden einzigen reinen Operettenhäusern der Gesamtrepublik, die direkt aus der Operettenpflege der DDR hervorgegangen sind und daher eigentlich eine besondere Nähe zu diesem Repertoire haben müssten.“

Die Staatsoperette Dresden unter ihrem immerhin in der DDR sozialisierten Intendanten Wolfgang Schaller widmete sich in den letzten Jahren in Form von Tagungen vielen Operettenthemen: nur nicht dem Thema „DDR“. Fast so, als würde man sich in Dresden für die eigene Vergangenheit schämen.

Während an der Staatsoperette Neueinspielungen von seltenen Strauß-Stücken entstehen, schlummern die vorhandenen Aufnahmen von berühmten DDR-Werken in den Archiven und sind – ausnahmslos – nicht auf CD erhältlich. Und das, obwohl auf diesen Aufnahmen berühmte Künstler wie Gisela May oder Reiner Süß zu hören sind – etwa in „In Frisco ist der Teufel los“, bis zur Wende eines der meistgespielten Musiktheaterwerke der DDR.

Klassenkampf-Opus

2014 steht der 100. Geburtstag des „Frisco“-Komponisten Masanetz an. Roland Dippel hat sich als Musiktheaterdramaturg des Volkstheaters Rostock für eine Neuproduktion des Stücks stark gemacht, das nach 1989 nicht mehr aufgeführt wurde. „In die maritime Soziokultur der Hansestadt würde es hervorragend passen“, sagt Dippel, „überdies setzt der Verlag Bärenreiter/Alkor auf den bevorstehenden runden Geburtstag des sich bester Gesundheit erfreuenden Komponisten. Neben Rostock, wo das Projekt aufgrund der wirtschaftlich und kulturpolitisch drastischen Situation höchstwahrscheinlich platzen wird, hat nur ein weiteres Theater vages Interesse an ‚Frisco‘ bekundet.“

Dabei ist diese „kritische Durchleuchtung des amerikanischen Alltags“, wie DDR-Operettenexperte Schneidereit einst schrieb – aus Perspektive des Sozialismus – nicht nur oftmals unfreiwillig komisch für heutige Betrachter, sondern als Zeitdokument endlos faszinierend. Und schmissig ist die Musik von Masanetz allemal, die das Geschehen rund um Alkoholschmuggler im Hafen von San Francisco mit den Mitteln der DDR-Tanzmusik ausmalt, die wie amerikanischer Jazz klingen soll. Ein großes Klassenkampf-Opus, in dem am Ende die bösen Kapitalisten untergehen und die guten Hafenarbeiter kameradschaftlich zusammenrücken.

Schuld am gegenwärtigen katastrophalen Zustand rund um die DDR-Operette haben auch die Verlage, die nach dem Zusammenbruch der DDR die entsprechenden Titel übernommen haben. Einerseits sind die nicht daran interessiert, Studien zum DDR-Schaffen zu veröffentlichen, selbst wenn ihnen diese quasi druckfertig angeboten werden, wie im Fall von Roland Dippel. Andererseits ergreift zum Beispiel Schott Music, der den Vertrieb des Notenmaterials von den DDR-Verlagen Henschel und VEB Lied der Zeit übernommen hat, wenig Initiative zur Promotion dieser Werke.

„Heute, fast 24 Jahre nach Fall der Mauer, ist es so gut wie aussichtslos, DDR-Operetten zu positionieren“, meint Dippel. „Einerseits ist die Hochphase der Ostalgie abgeebbt, in der Wiederaufführungen auf ein breiteres Interesse gestoßen wären. Zum anderen unterscheiden sich die Werke zu sehr von den heute populären Musicals und ihren Sujets. Die Theaterleitungen scheuen sich, die vermuteten Erwartungen ihres Operetten- und Musicalpublikums zu unterwandern.“ Dem steht gegenüber, dass beim Festkonzert zum Jubiläum „100 Jahre Musikalische Komödie“ im November 2012 der Block mit Ausschnitten aus DDR-Werken weit heftigeren Applaus erhielt als Ausschnitte aus bekannten West-Werken, wie Dippel konstatiert.

Heißer Sommer

Gerade diese heute geschmähten DDR-Titel würden Operetten- und Musicalforschern auch interessante Vergleiche erlauben, wie beispielsweise die Oscar-Wilde-Adaption vom „Bunbury“ als direkte Antwort auf die erfolgreiche George-Bernhard-Shaw-Adaption „My Fair Lady“ gesehen werden kann, die in einem ähnlichen historischen britischen Ambiente spielt. Oder wie „Messeschlager Gisela“ eine Antwort auf das Musical „Pajama Game“ ist (1957 mit Doris Day verfilmt), wo es ebenfalls um Mode, Arbeiter und Gewerkschaften geht, nur eben aus US-Blickwinkel. Auch könnte man „Messeschlager Gisela“ in Bezug setzen zum DEFA-Film „Heißer Sommer“ von 1967, der nicht nur viele Elemente von „Gisela“ weiterführt, sondern ebenfalls Musik von Gerd Natschinski enthält, die hier Schlagerstar Frank Schöbel singt.

„Heißer Sommer“ ist immerhin derzeit mühelos auf DVD erhältlich und erfreut sich eines gewissen Kult-Status’, auch bei Zuschauern, die nicht in der DDR aufgewachsen sind. Wäre es da nicht höchste Eisenbahn, auch die zeitgleichen und inhaltlich oft ähnlichen DDR-Operetten neu bereitzustellen, aufzuführen und zu diskutieren?

Mag sein, dass unsere Wiener- und Münchner Operettenausstellung inzwischen abgelaufen ist und die DDR-Wand wieder abgebaut wurde. Der Beitrag von Roland Dippel ist jedoch nach wie vor im Katalog erhältlich. Der Geburtstag von Guido Masanetz steht nach wie vor vor der Tür. Und eine umfassende Auseinandersetzung mit dem „Heiteren Musiktheater“ der DDR bleibt ein Desiderat, dessen sich auch Forscher aus den alten Bundesländern problemlos annehmen könnten. Es ist ja nicht so, als würde die (Kultur)Geschichte der DDR nur ehemalige DDR-Bürger betreffen, oder?

  • Der Musikwissenschaftler Kevin Clarke hat die Ausstellung „Welt der Operette: Glamour, Stars und Showbusiness“ zusammen mit Marie-Theres Arnbom für das Theatermuseum Wien kuratiert (siehe nmz 12-2012/1-2013, S. 41). Seit 2006 ist er Direktor des Operetta Research Center Amsterdam.

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