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Fülle von Ideen, Visionen und Begeisterung

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Zum Tode von Professor Dr. Günther Weiß am 12. März 2007
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Der Landesverband Bayerischer Tonkünstler trauert um Professor Dr. Günther Weiß, der über Jahre die Arbeit des Landesverbandes mitgestaltet hat und ihr eng verbunden war. Günther Weiß ist am 12. März 2007 in seinem Wohnort Attenham bei München nach längerer Krankheit verstorben.

Günther Weiß wurde am 24. April 1933 in Coburg geboren, eine Stadt, die stammesmäßig Oberfranken zugehört, jedoch erst 1920 durch Volksentscheid zum Freistaat Bayern kam. Den Coburgern wird nachgesagt, dass sie trotz ihres Votums für Bayern eine besondere Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit bewahrt haben. Eigenständig und eigenwillig war dann auch die Bahn, die der gebürtige Coburger Günther Weiß beschritt. Nach dem Abitur studierte er an der Musikhochschule in München Schulmusik, schloss musikwissenschaftliche Studien an den Universitäten München, Erlangen und Chicago ab, promovierte in Erlangen zum Dr. phil. und kehrte dann nach Bayreuth zurück. Er baute dort an der neu errichteten Pädagogischen Hochschule das erste Lehrerbildungsseminar auf. Seine Fachkompetenz als Musikpädagoge und Musikwissenschaftler wie auch sein Geschick im Umgang mit Lehrern und Studenten brachten ihm bald einen Ruf auf eine a.o. Professur an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg ein. Bayern lässt seinen qualifizierten künstlerischen und wissenschaftlichen Nachwuchs gern außerhalb des Freistaates Erfahrungen sammeln, holt ihn dann aber ebenso gern und zielstrebig wieder zurück. So erteilte der Bayerische Kultusminister bereits vier Jahre nach Übernahme der Freiburger Professur Herrn Professor Weiß einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Schulmusik an der Musikhochschule München. Hier hat Günther Weiß eine Fülle von Ideen inhaltlicher und organisatorischer Art entwickelt und die Schulmusikausbildung in Bayern und darüber hinaus über Jahrzehnte maßgeblich mitgestaltet.

Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer, Organisator und als örtlicher Prüfungsleiter für das Lehramt an Gymnasien widmete sich Professor Weiß von Anfang an wissenschaftlichen Fragestellungen, die weit über den engeren Kreis der Schulmusik und der Didaktik hinaus in Bereiche der historischen Musikwissenschaft reichten. Als Vizepräsident der Hochschule für Musik in den Jahren 1978–1986 setzte er sich für den Ausbau der Musikwissenschaften an der Münchner Hochschule und in engem Zusammenhang damit für eine Aufwertung der Ausbildung an den Musikhochschulen und deren Gleichwertigkeit mit den wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland ein. Dabei handelte es sich für ihn keinesfalls nur um eine abstrakte Forderung: Er wirkte vielmehr ganz konkret an dieser Zielsetzung mit, indem er an der Münchner Musikhochschule gemeinsam mit anderen renommierten Wissenschaftlern eine musikwissenschaftliche Schriftenreihe ins Leben rief, die bald in Fachkreisen und weit darüber hinaus Zustimmung und Anerkennung fand. In dieser Reihe wurden neben fachwissenschaftlichen Aufsätzen Dokumentationen zu musikwissenschaftlichen und musikpraktischen Symposien herausgegeben; außerdem wurde Studenten die Möglichkeit eröffnet, herausragende Staatsexamen- und Diplomarbeiten zu veröffentlichen. Eine Schriftenreihe, die Vorbildcharakter hatte und dazu beitrug, Ansehen und Status der Musikhochschulen im deutschsprachigen Raum aufzuwerten.

Günther Weiß hat neben der Klein- und Detailarbeit, die einem Wissenschaftler und Lehrer nicht erspart bleibt, primär große Konzepte und Visionen entwickelt. Hatte eine Vision von ihm Besitz ergriffen, so verfolgte er sie mit Beharrlichkeit und einem Enthusiasmus, der ihn oftmals gegen alle Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führte. Von einer solchen Vision, dem dornenvollen Weg und schließlich dem erfolgreichen Abschluss sei hier kurz berichtet. Eines Tages erzählte mir Professor Weiß von einem Deutsch-Amerikaner, Mr. Moldenhauer, der in seinem Wohnort Spokane die bedeutendste Privatsammlung von Autographen Gustav Mahlers und der Komponisten der zweiten Wiener Schule (A. Schönberg, A. Berg, A. von Webern) zusammengetragen habe. Dieser Sammler – hoch betagt – sei verkaufsbereit. Der Freistaat Bayern und die Harvard University sollten im Zusammenwirken mit einer Weltfirma die-
se Sammlung aufkaufen. Im Auftrage der Bayerischen Staatsbibliothek sichtete Professor Weiß bei mehreren USA Aufenthalten das Archiv; seine Begeisterung wurde bei Durchsicht der Autographen immer größer. Dann begann der schwierige, Jahre dauernde Weg der Verhandlungen mit dem Sammler auf der einen, dem Freistaat Bayern auf der anderen Seite; diese führten schließlich – als kaum jemand mehr an den Erfolg glaubte – zum Erwerb eines wesentlichen Teils der Sammlung, insbesondere bedeutender Mahlerautogra-phen durch die Bayerische Staatsbibliothek. Wer dies miterlebt hat, der weiß, dass es insbesondere dem unerschütterlichen Optimismus und Enthusiasmus eines Günther Weiß zu verdanken ist, dass die Angelegenheit trotz zeitweiliger völliger Aussichtslosigkeit zu einem erfolgreichen Ende geführt wurden. Die wissenschaftliche Auswertung dieses Archivs – nach dem Namen des Sammlers als Moldenhauer-Archiv bezeichnet – war schließlich Grundlage für eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Münchner Musikhochschule mit einer der renommiertesten Universitäten der USA, der Harvard University, auch dieses eine große Vision, deren Realisierung Günther Weiß in seiner Zeit als Vizepräsident an der Münchner Musikhochschule in die Wege leiten und später vollenden sollte.

Im Aufspüren von Quellen hat Günther Weiß stets ein ganz besonderes Geschick gezeigt. Das begann mit dem Marteau-Archiv, in dem er Aufsehen erregende Funde machte. Es setzte sich fort im Erwerb der erwähnten Privatsammlung aus Spokane und gipfelte in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Auffinden einer Skizze der Metamorphosen von Richard Strauss, die dieser unmittelbar nach dem Krieg seinem Arzt in der Schweiz als Ausgleich für ein Honorar übergab. Dieses Autograph konnte durch Vermittlung von Günther Weiß schließlich von der Bayerischen Staatsbibliothek erworben werden. Zahlreiche Veröffentlichungen von Günther Weiß sind unmittelbar Frucht der von ihm aufgespürten Quellen. Sie rücken manches Klischee, manche falsche Annahme der Musikwelt zurecht, sei es, was das Verhältnis Henri Marteaus zu Max Reger angeht, sei es die Widmung eines Violinkonzerts von Bela Bartok oder das Verhältnis von Alma zu Gustav Mahler, zu dem Weiß nach Einsicht in Unterlagen des genannten Privatsammlers wichtige neue Erkenntnisse vortrug. Großes Aufsehen erregte dann die Ausgabe von Briefen von Gustav Mahler an Alma unter dem Titel „Ein Glück, ohne Ruh“, die Günther Weiß zusammen mit dem Mahlerforscher de La Grange erarbeitet und herausgegeben hat. Auf große Resonanz sind auch seine Biographien über den Arzt und Brahmsfreund Max Billroth und den Geiger Henri Marteau gestoßen, in denen er zahlreiche neue Quellen, die er in mühsamer Arbeit eruiert hatte, verwertete.

Günther Weiß war neben seiner Tätigkeit als Pädagoge, Wissenschaftler und Berater ein viel gefragter Redner und Referent. Er war Mitglied des Kuratoriums des Internationalen Musikpreises der Frankfurter Musikmesse, den er mit ins Leben gerufen hatte und nicht zuletzt künstlerischer Leiter der Musikbegegnungsstätte „Haus Marteau“. Dass diese heute unter den Musikakademien und den musikalischen Fortbildungsstätten einen einzigartigen Rang einnimmt, das verdankt sie wesentlich ihrem künstlerischen Leiter. Dieser brachte seine im nationalen und internationalen Raum erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen ein und setzte seine Kontakte für den Aufbau eines Kurs- und Fortbildungssystems ein, das dem „Haus Marteau“ sein ganz besonderes Profil gibt: Neben Fortbildungskursen für Schüler und Studenten der bayerischen Ausbildungsstätten, für Schulmusiker und Laienmusiker aus der Region stellt es in Fortführung der Tradition des großen Geigers und Pädagogen Henri Marteau ein Angebot an hoch qualifizierten Meisterkursen bereit. Dieses zieht Dozenten und Nachwuchskünstler aus aller Welt in das oberfränkische Lichtenberg und macht dieses – wie zur Zeit Marteaus – wieder zu einem lebendigen, internationalen musikalischen Begegnungszentrum. Neben den vielfältigen von ihm wahrgenommenen Aufgaben stellte Günther Weiß nach der Wende seine Fachkompetenz und seine reichen Erfahrungen im Rahmen einer Struktur- und Evaluierungskomission der Musikhochschule Weimar bereit und wirkte so am Aufbau einer neuen Schulmusikabteilung mit. Wegen des zeitweiligen Mangels an qualifizierten Schulmusikdozenten hielt er außerdem Vorlesungen an der Weimarer Musikhochschule. Im Landesverband Bayerischer Tonkünstler leitete Prof. Weiß den Pädagogischen Ausschuss und wirkte beim Ausbau und der Gestaltung der Vorbereitungs-,
Fortbildungs- und Meisterkursen mit. Prof. Weiß war darüber hinaus maßgebend an Konzeption und Realisierung der von Prof. Dr. Suder im Auftrag des Landesverbandes herausgegebenen Monographienreihe „Komponisten in Bayern“ beteiligt. Zahlreiche darin abgedruckte Interviews mit Komponisten, deren Angehörigen und anderen Persönlichkeiten hat Prof. Weiß mit Geschick und Einfühlungsvermögen geführt.

Das bisher in Umrissen gezeichnete Bild des Musikpädagogen, Musikwissenschaftlers und in vielfältigen sonstigen Bereichen Verantwortung Tragenden wäre unvollständig, wollte man den Musiker Günther Weiß vergessen. Sein Instrument war die Geige, hervorgetan hat er sich vor allem als Dirigent von Orchestern. Bereits während seiner Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Bayreuth leitete er das Orchester der Internationalen Jugendfestspiele. In Oberfranken hat er ein eigenes Jugendorchester aufgebaut, das jungen Nachwuchsinstrumentalisten Literaturkenntnisse und Orchesterpraxis vermittelte und mit dem er an zahlreichen Orten der Region erfolgreich auftrat. Nahe seinem Heimatort leitete er über Jahre das Philharmonische Orchester und den Chor Isartal, mit denen er zahlreiche Werke der großen Chor und Orchesterliteratur aufführte und auf CD aufnahm. Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Musizieren bildeten so eine Einheit. Musikwissenschaft und Musikpädagogik standen nicht im luftleeren Raum, das Musizieren erfolgte vor dem Hintergrund einer umfassenden Kenntnis der Musik, ihrer Voraussetzungen und in vielen Jahren dienstlicher Zusammenarbeit, die mich als Referatsleiter Musik im Bayerischen Wissenschaftsministerium mit Günther Weiß verband, hat sich ein persönlicher Kontakt, eine freundschaftliche Beziehung herausgebildet, die weit über das Dienstliche hinausreichte. Günther Weiß war ein Mensch, der denjenigen, die sich ihm öffneten, mit überwältigenden Vertrauen und herzlicher Freundschaft begegnete. Mit der Fülle seiner Ideen, seiner Visionen und mit seiner Begeisterung riss er seinen Gesprächspartner mit sich. Im vertrauten Gespräche habe ich manches über Almas Verhältnis zu Gustav Mahler, über Marteaus Beziehung zu Max Reger, über Richard Strauss, Hans Pfitzner und andere erfahren, was dann später in wissenschaftlichen Veröffentlichungen der interessierten Musikwelt zugänglich wurde. Diese Begegnungen brachten stets eine große geistige und persönliche Bereicherung. So hinterlässt der Tod von Günther Weiß nicht nur der Fachwelt, sondern auch bei seinen Freunden und Bekannten eine schmerzliche Lücke. Wir werden den Professor, Fachmann und Verantwortlichen auf vielen Gebieten der Musik, insbesondere auch den Menschen Günther Weiß sehr vermissen.

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