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„Mister Schott“: Peter Hanser-Strecker. Foto: Martin Hufner
„Mister Schott“: Peter Hanser-Strecker. Foto: Martin Hufner
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Fünfzig Jahre für den Schott Verlag

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Peter Hanser-Strecker im Gespräch mit der neuen musikzeitung
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Mit 230 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von etwa 35 Millionen Euro ist die Schott Music GmbH & Co. KG Deutschlands führender Musik- und Musikbuchverlag und einer der ältesten noch bestehenden Musikverlage überhaupt. Gründer war Bernhard Schott im Jahre 1770. Der derzeitige Chef des Hauses – Peter Hanser-Strecker – trat 1968 im Alter von 26 Jahren als Leiter der Rechtsabteilung in den Schott-Verlag ein. Seit 1974 ist er Mitglied der Geschäftsleitung. Dass Hanser-Strecker 2018 als Vorsitzender der Geschäftsleitung sein 50-Jähriges Dienstjubiläum begehen kann, nahm die nmz als Anlass, den Verleger zu den Entwicklungen in seinem Haus, aber vor allem auch zu den Veränderungen in der Verlagslandschaft zu interviewen.

neue musikzeitung: Seit 50 Jahren sind Sie in leitender Position beim Schott Verlag. Wie fing denn alles an?

Peter Hanser-Strecker: Ich war 1968 erstmals in einem Unternehmen tätig – alles war neu für mich und ich fand eine Struktur vor, die gutbürgerlich-patriarchalisch organisiert war. Mein Großvater war 60 Jahre älter als ich und immer noch Seniorchef. Er wartete auf mich – letztendlich wartete der ganze Verlag. Insofern verspürte ich einen großen Erwartungsdruck – wie geht es weiter, welche neuen Perspektiven gibt es?

nmz: Welche Sparte hatte damals höchste Priorität für Sie? Das Auslandsgeschäft ausbauen?

Hanser-Strecker: Ich würde sagen, ich habe mich in alle Verlagsbereiche eingearbeitet. Aber auch das Auslandsgeschäft weiter zu entwickeln, habe ich als wichtige Aufgabe angesehen. Wir hatten europaweit und weltweit Vertretungen, die uns aber nicht alle gefielen. Vor allen Dingen in Amerika war Handlungsbedarf gegeben, dort hatte sich vieles verändert. Daher war ich 1971 fast ein Jahr in den Staaten, um mir den dortigen Markt anzuschauen, denn es war schon damals der große Einfluss aus Amerika spürbar.

nmz: Heute hat Schott Music aber ein anderes Land im Visier?

Hanser-Strecker: Es gibt ein Land, in dem ich seit 34 Jahren jedes Jahr einmal bin, das ist China. China hat eine Stellung, die vor 34 Jahren noch kaum erkennbar war, weil es damals dort gerade mal drei Sinfonieorchester gab und im Grunde nur zwei Verlage. In den letzten 20 Jahren hat sich alles sehr dynamisch entwickelt und der chinesische Markt hat mit weitem Abstand die meisten Musik-Nutzer.

nmz: In einem nmz-Leitartikel hatten Sie 2004 geschrieben: „Die große Gefahr droht aus vielen kleinen Krisen“. Damals ging es um die Gründung der Initiative „Pro Klassik“.

Hanser-Strecker: Es ist festgestellt worden, dass Kinder, die bis zum Alter von sechs Jahren keine Berührung mit klassischer Musik hatten, für immer für die Klassik verloren sind. Wir müssen uns daher im Gegensatz zu früher heute sehr viel mehr um das Musikleben und Infrastrukturfragen kümmern. Wir müssen das vor allem auf Initiativebene tun. Bei der Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ und ähnlichen Initiativen haben wir uns engagiert, weil wir hier auch unsere Aufgabe sehen, den Markt der Zukunft sicherzustellen. Wir sind davon überzeugt, dass klassische Musik ein wesentlicher Bestandteil des Lebens und der Erziehung sein sollte. Wir haben damals auch mit Professor Hans-Günther Bastian viele Studien veröffentlicht, deren Ergebnisse man so formulieren könnte: Mit Musik kann jedes Kind unter anderem sozial offener und konzentrationsfähiger werden – klassische Musik ist eine für die Lebens- und Charakterbildung ideale Voraussetzung.

nmz: Dem Aufsichtsrat der GEMA gehören Sie zwar noch nicht seit 50 Jahren an, aber immerhin seit 1. Juli 1979.  Wie hat sich die Situation der E-Musik dort entwickelt?

Hanser-Strecker: Die GEMA, die für mich ein ganz wesentlicher Teil meiner beruflichen Beschäftigung war, hat sich wesentlich verändert und zwar allein dadurch, dass heute alles sehr viel technokratischer gehandhabt wird. Die globalen und abrechnungstechnischen Notwendigkeiten trennen sich immer mehr vom Inhaltlichen. Das führt dazu, dass man Jahr für Jahr große Bilanzen mit Erfolgszahlen, Großabschlüssen und Steigerungsraten vorweisen kann, aber letztendlich ist das, was der einzelne Autor an Ausschüttung erhält der entscheidende Faktor – da ist leider ein besorgniserregender Rückwärtstrend zu beobachten.

nmz: Warum hat die  E-Musik bei der GEMA an Bedeutung verloren?

Hanser-Strecker: Die Bedeutung der E-Musik ist nach wie vor groß, auch wenn eine Reihe von bedeutenden Komponisten inzwischen urheberrechtlich frei geworden sind. Alles ist heute komplexer, globaler und schwieriger durchschaubar geworden. Das einzelne Werk und seine Verwertung  tritt dabei in den Hintergrund. Ein generelles Problem besteht darin, dass die rasant gestiegene Verwertung via Internet in den letzten wenigen Jahren zu einem stark gestiegenen Konsum geführt hat. Aber die globalen Verwertungsplattformen wie zum Beispiel YouTube und Spotify sind nicht bereit, die Urheber an den erzielten Einnahmen angemessen und transparent zu beteiligen. Faktisch heißt dies, dass die Komponisten und ihre Verleger durch diese Praxis auf technische Weise enteignet werden. Selbst die GEMA ist nicht in der Lage, gegen diesen Monopol-Missbrauch wirksam und zeitnah einzuschreiten. Hierzu bedarf es internationaler Anstrengungen.

nmz: Mit dem Schott-Verlag verbindet man große Namen wie Richard Wagner und Ludwig van Beethoven, später Igor Strawinsky, Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold, Carl Orff, Hans Werner Henze, Aribert Reimann und Toru Takemitsu, um nur einige wenige zu nennen. Sicher war das Akquirieren zukünftiger großer Namen für den Verlag Ihr Kerngeschäft vor allem in Ihren Anfangsjahren?

Hanser-Strecker: Bevor ich in den Verlag eintrat, hatte ich mich bereits auf die Suche nach genialen Komponisten gemacht. Und so schlug ich meinem Großvater bereits 1965 vor, nach Möglichkeit György Ligeti und Krzsysztof Penderecki für den Verlag zu gewinnen. Das hat dann auch 1966 bereits geklappt. Ich bin sehr glücklich, dass dieser Vorschlag so rasch in die Tat umgesetzt werden konnte.

nmz: Wie schätzen Sie die Relevanz der Neuen Musik und der Medien heute ein?

Hanser-Strecker: Medial hat sich Wesentliches dadurch verändert, dass die anspruchsvolle Musik bei den großen Film-Produktionen wie zum Beispiel Herr der Ringe eine immer größere Bedeutung angenommen hat. Erfolgreiche Filme haben heute zunehmend auch einen erfolgreichen Musikanteil.Immer häufiger finden Filmvorführungen mit einem Live-Orchester statt.

nmz: Welche Auswirkungen hatte die Digitalisierung des Musikverlags in den letzten Jahren?

Hanser-Strecker: Mit der Einführung des elektronischen Notensatzes haben wir bei Schott das digitale Zeitalter eingeleitet und wollten schon sehr früh die „unendlichen“ Möglichkeiten ausloten, indem wir uns an der israelischen Firma Musicnotes beteiligt haben, um mit deren Technologie völlig neue Angebote der Musikvermarktung zu entwickeln. Aus dieser Zeit stammt die Idee der CD-pluscore, die CDs der Topkünstler der DGG mit dem gleichzeitigen Abspielen des Notenbildes verbinden.

Aufgrund der Einführung von Windows 2000 war leider die auf DOS basierende Software nicht mehr nutzbar, so dass wir diesen ersten Schritt beenden mussten. Es folgte die Entwicklung von APPs, die aber erneut durch Veränderungen der Apple-Software nur eine kurze Laufzeit hatten. Heute konzentrieren wir uns auf neue Anwendungen im Buch- und Zeitschriftenbereich und verfolgen mit großem Interesse die neuen Entwicklungen im Bereich der diversen Plattformstrategien.

nmz: Ein Verlag muss stets in die Zukunft investieren. Doch die Zyklen werden schneller.

Hanser-Strecker: Ja, Lebenszyklen werden kürzer, die gesamte Vermarktung wird komplexer, vielseitiger und multidimensionaler.

nmz: Der digitale Noten-Download ist Normalität geworden?

Hanser-Strecker: Wir haben eine eigene Downloadplattform entwickelt, die sicherstellt, dass bei der Verbreitung im Internet das Watermarking nicht vergessen wird. So versuchen wir zumindest technisch, das Unwesen des Notenkopierens einzudämmen.

nmz: Wenn man heute den großen Ausstellungsbereich von Schott Music auf der Musikmesse Frankfurt sieht, um den sich andere Verlage fast bescheiden gruppieren – was sagt das aus?

Hanser-Strecker: Dass wir allein schon aus geografischer Nähe zu Frankfurt die Musikmesse Frankfurt als eine Art Heimspiel betrachten können, wird dabei offensichtlich. Das Zusammenwirken mit vielen Kollegenverlagen ist Ausdruck eines sinnvollen Sparzwangs und der allgemeinen Feststellung, dass eine Musikmesse für uns immer mehr ihre Bedeutung als Novitätenmesse und für die Pflege von Kundenkontakten verloren hat und weiter verliert. Es ist zu hoffen, dass die Musikmesse in Zukunft für alle Beteiligten als moderne Kommunikationsmesse eine neue Attraktivität erfährt.

nmz: In den vergangenen Jahrzehnten ist Schott Music auch durch Zukäufe gewachsen. Welche Geschäftsstrategie verfolgen Sie?

Hanser-Strecker: Der Markt wächst ja leider nicht. Daher kann man nur durch Zukäufe ein Wachstum erreichen. Das gehört somit auch zu unserer Geschäftsstrategie. Aber es war nie Selbstzweck, sondern eine sinnvolle Strategie im Sinne der Erweiterung unserer Angebote.

nmz: Das Bild vom größten Hecht im Karpfenteich passt nicht mehr?

Hanser-Strecker: Das passt nicht und war auch nie unsere Intention. Wir haben unsere Akquisitionen nie an die große Glocke gehängt. Insgesamt ist es bedauerlich, dass viele große und angesehene Musikverlage inzwischen  verkauft wurden und zwar nicht an Verleger, sondern fast überwiegend an Investoren. Damit haben sich auch die Schwerpunkte ihrer Tätigkeiten von dem Aufbau von Repertoire auf die Gewinnmaximierung verlagert.

nmz: Dass der Gesellschaft ein gewisser Konsens verloren gegangen ist darüber, dass klassische Musik ein zu schützendes und zu förderndes Kulturgut ist, hat viele Gründe. Einer davon ist sicher fehlender Musikunterricht?

Hanser-Strecker: Es fehlen nicht nur Angebote von Musikunterricht, dieses Fehlen wird leider auch nicht als ein Fehlen empfunden. Im Grunde müsste in alle Kindergärten Musik angeboten werden. Es müsste viel mehr gesungen werden. Hier ist immer noch sehr viel Basisarbeit zu leisten. Deshalb haben wir auch eine große Stiftung, die Strecker-Stiftung ins Leben gerufen, die diese Aufgabe als Hauptzweck verfolgt. Hier sind wir vor allem im pädagogischen Bereich unterwegs: Vom Baby­musikgarten angefangen bis zu Programmen für Senioren sehen wir viele Möglichkeiten, die Situation mit und auch für die Musik zu verbessern.

nmz: Sie haben viele Ehrenämter innegehabt und haben Sie noch inne. Wenn Sie morgens in das Verlagshaus im Weihergarten gehen, welchen Hut haben Sie dann wann auf?

Hanser-Strecker: Ich trage keinen Hut und werde auch keinen tragen. In 50 Jahren Einsatz für den Verlag gibt es immer weniger einen Unterschied zwischen mir und meiner Lebensaufgabe. Insofern ist mein bürgerlicher Name ein Pseudonym für den Mister Schott. Die Bekleidung von Ehrenämtern ist eine notwendige und wichtige Ergänzung für mich persönlich. Alle Aufgaben drehen sich um Menschen und für ein besseres Leben. Mit Musik.

nmz: Welche Aufgaben sind das?

Hanser-Strecker: Das Wichtigste: das Engagement für die Musik gleichsam vom Babyalter bis zum Seniorentum auszudehnen. Hier gibt es noch viele neue Betätigungsfelder. Dann die Rückbesinnung auf die wahren Werte. In diesem Zusammenhang muss auch eine Bewusstseinsveränderung eintreten. Aus Verbrauchersicht sollte der Zugang und die Nutzung von musikalischen Inhalten so einfach und so günstig wie möglich gewährt werden. Die Idee vom geistigen Eigentum und einer angemessenen Vergütung für die Urheber ist stark in den Hintergrund gedrängt worden. Durch Spotify wird die Leistung faktisch zum  fast kostenlosen Mitnahmeartikel degradiert. Dies halte ich für eine der gefährlichsten Entwicklungen der Neuzeit. Vor allem vor dem Hintergrund, dass der Konsum von Musik steigt und die Einnahmen der Komponisten trotzdem sinken.

  • Interview: Andreas Kolb

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