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Winrich Hopp. Foto: Lucie Jansch
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Gang durch ein Panorama französischer Musik

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Winrich Hopp zur 15. Ausgabe des Musikfestes Berlin
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Das Musikfest Berlin 2019, das vom 30. August bis 19. September von den Berliner Festspielen in Kooperation mit der Stiftung Berliner Philharmoniker veranstaltet wird, bringt zum Auftakt der Berliner Konzertsaison die großen Berliner Orchester und internationale Gastorchester in einem gemeinsamen Festivalprogramm zusammen. Dass sich das größte deutsche Orchesterfestival 2019 zum 15. Mal jährt, war für die nmz Anlass für ein Interview mit dem Künstlerischen Leiter, Winrich Hopp.


neue musikzeitung: Herr Hopp, wenn Sie auf diese 15 Jahre zurückblicken: Was ist Ihr bestimmendes Gefühl?

Winrich Hopp: Einen Rückblick habe ich mir bislang noch nicht leisten können. Schon jetzt geht es ja wieder um die Planungen und Vorbereitungen dessen, was beim Musikfest Berlin in zwei, drei und vier Jahren stattfinden „könnte“. Ein bestimmtes Gefühl? Wenn eines, dann das von Frühling. Das Musikfest Berlin liegt ja auf dem Übergang vom Sommer in den Herbst, und es eröffnet jeweils die neue Saison. Insofern nicht Herbst, sondern Frühling! Alles auf Neustart eben. Jede Saison.

nmz:  Wie haben sich die Themen und Konzepte verändert in den letzten 15 Jahren? Besser: Wie haben Sie sie verändert?

Hopp: Um zu präzisieren: das Musikfest Berlin wurde vor 15 Jahren gegründet, das Geschäft habe ich vor 14 Jahren übernommen, die Programmarbeit vor 13 Jahren. In der Sache ist das Musikfest Berlin die Re-Installierung des zentralen Musikprogramms der früheren Berliner Festwochen, das für einige Jahre mehr oder weniger ausgesetzt war. Insofern ist das Musikfest Berlin Teil einer rund 70-jährigen Geschichte. Was sich verändert hat, wird begreifbar an dem, was als Konstante geblieben ist: die Entwicklung des Programms aus der Perspektive der Gegenwart heraus; die Auseinandersetzung der großen Orchester und Ensembles des internationalen Musiklebens mit der Musik der Gegenwart und jüngeren Geschichte in einem repräsentativen Festivalrahmen. Das setzt permanente Veränderung voraus.

nmz:  Sie sind bekannt für Ihre ausgefeilten und anspruchsvollen Festivaldramaturgien. Wie ist ihr roter Festivalfaden 2019 gewirkt?

Hopp: Da ist einmal das ingeniöse und bis heute bedeutsam gebliebene Werk des Komponisten und Essayisten Hector Berlioz, der vor 150 Jahren verstarb. Von ihm aus durchschreitet das Festivalprogramm in Riesenschritten ein Panorama französischer Musik, das von Jean-Philippe Rameau bis zu Gérard Grisey reicht, auch mit Ausflügen zum Beispiel zum japanischen No-Theater oder auch zur Weltpremiere der restaurierten Fassung des siebenstündigen Stummfilms „La Roue“ von Abel Gance mit der Musik von Arthur Honegger.

nmz: 2019 greifen sie im Berlioz-Jubiläumsjahr sein Konzept einer „Orchestermaschine“ auf. Gibt es so etwas wie ein Orchester 4.0?

Hopp: Tatsächlich ist Berlioz der erste, der das Orchester als eine Maschine, als eine Fabrik, die Klänge herstellt, reflektiert. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es bei der „4.0“-Debatte darum, inwiefern der Mensch in einem umfassenden Kommunikations- und Ökonomisierungsprozess der Maschinen untereinander überhaupt noch eine Rolle spielen wird und was für eine das gegebenenfalls sein könnte. Im Fall der Orches-ter und Ensembles sollten wir von dem grundsätzlichen Einverständnis ausgehen können, dass in der Kunst generell und in der Musik speziell der Mensch bislang zentral und maßgeblich war und es dabei auch künftig bleibt, so maschinell es bisher auch zugegangen ist und es künftig zugehen mag. Dann ist vieles denkbar und machbar.

nmz:  In einem Interview mit dieser Zeitung haben Sie einmal gesagt: „Künstlerisch gesehen, wird die Zukunft des Orchesters von den Werken der Komponisten entworfen. Sie eröffnen die Perspektiven.“ Wie stellt sich die Gegenwart im Programm 2019 dar?

Hopp: Der Gedanke geht auf Helmut Lachenmann zurück: Komponieren bedeute, ein Instrument zu bauen – zum Beispiel auch ein Orchester, eine Maschine oder eine „Fabrik“, siehe das IRCAM in Paris oder das Experimentalstudio des SWR. Man findet diese spezielle Selbstverständigung des Komponierens auch bei Hector Berlioz, Richard Wagner und anderen. Aber von Lachenmann wurde dieser Gedanke in einem Wolfgang Rihm gewidmeten Essay besonders luzide entfaltet. Beim kommenden Musikfest Berlin gibt es eine Reihe von Werken Lachenmanns, außerdem Musik von Olga Neuwirth, Peter Eötvös und Louis Andriessen, der am 6. Juni seinen 80. Geburtstag feiern konnte.

nmz:  Die Frage muss kommen: Wie ist es mit der „Last mit der Auslastung“ bei so einem anspruchsvollen Festivalprogramm? Wie vermarkten Sie künstlerische Qualität?

Hopp: Die Auslastung ist uns keine Last, und wir haben mit 36.000 bis 42.000 Besuchern pro Festivalausgabe auch keine Not. Wir halten unser Publikum beisammen, versuchen Interesse zu wecken und freuen uns über jeden neuen Besucher.

Wie vermutlich viele Festivals und Konzertreihen arbeitet auch das Musikfest Berlin mit eng geschnalltem budgetären Gürtel. Marketingmaßnahmen, die auf dem Spielfeld des Kommerzes konkurrieren könnten, kosten ein Heidengeld und sind außerhalb jeder Reichweite.

Das Musikfest Berlin jedoch hat seit seiner Gründung bis heute keine roten Zahlen geschrieben. Alles im grünen Bereich also. Der nächste Frühling kann kommen.

  • Interview: Andreas Kolb

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