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In einer Turnhalle spielt eine Frau auf dem Boden Glockenspiel, eine andere im Vordergrund Cello und im Hintergrund spielt ein Trompeter. An seiner Trompete hängt ein Dämpfer herunter.
In einer Turnhalle spielt eine Frau auf dem Boden Glockenspiel, eine andere im Vordergrund Cello und im Hintergrund spielt ein Trompeter. An seiner Trompete hängt ein Dämpfer herunter.
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Ganz ohne Noten – im:NOW!23

Untertitel
Interdisziplinäres Improvisationsfestival der Rheinischen Musikschule Köln
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Die Rheinische Musikschule Köln fällt immer wieder durch ausgefallene und innovative Projekte auf, sei es durch das Cello-Bigband-Projekt „Celloversum“, das große Tanzfest, das Alte-Musik-Fest oder das mehrfach ausgezeichnete Jugendfestival für Zeitgenössische Musik und Tanz „Zett Emm“. Und auch diesmal hatten sich die Verantwortlichen etwas Ambitioniertes ausgedacht, was den normalen Rahmen einer Musikschulveranstaltung übersteigt.

Das neue interdisziplinäre Improvisationsfestival im:NOW!23 hat sich zum Ziel gesetzt, verschiedenste Facetten von Improvisation in Workshops und Konzerten an einem Tag zu präsentieren. Allen Interessierten sollte so die Möglichkeit gegeben werden, unterschiedliche Ansätze wie zum Beispiel stilgebundene, freie, modell- oder konzeptbasierte Improvisation aktiv kennenzulernen. Dabei lag der Fokus vor allem auf dem gleichberechtigten Nebeneinander verschiedener Stilistiken.

Die Festivalbesucher*innen hatten hier die Gelegenheit, an über 30 Workshops zu orientalischer oder indischer Improvisation, mittelalterlicher, experimenteller, zeitgenössischer, Rock-, Jazz-, Pop- oder Folk-Improvisation, zu Tanz- und Bewegungs-Improvisationen, an Cross-Over-Projekten, Flashmobs, Improvisationstheater, Sprachimprovisation, Chor- und Stimmimprovisation oder an instrumentenspezifischen Workshops wie zum Beispiel für E-Gitarre, Orchester oder Schlagwerk und vielem mehr teilnehmen zu können. Man konnte zu selbst erfundenen und aufgenommenen Begleitmodellen spielen, das Kölner Improvisations-Orches-ter dirigieren, mit der Stimme experimentieren, an Salvatore Sciarrinos „Il Cerchio Tagliato Dei Suoni“ für hundert (100) wandernde Querflöten mitmachen oder innerhalb weniger Stunden eine Offhand-Opera realisieren! Das Organisationsteam hatte aus jedem Fachbereich Vorschläge eingebunden und so sorgfältig geplant, dass für jede Altersstufe und für jedes spielerische Niveau Angebote dabei waren.

Zudem fanden währenddessen im Treppenhaus des Bürgerzentrums, den Räumen der Rheinischen Musikschule und dem Zentrum für Zeitgenössischen Tanz der Hochschule für Musik und Tanz Köln, den umliegenden Kirchen sowie dem Flüchtlingszentrum „Flieh Kraft“ improvisierte Konzerte sowie Konzerte mit improvisatorischen Beiträgen statt. Keiner wusste vorher, was dort passieren würde, es gab kein Programm. Die Dozent*innen und Musiker*innen waren dabei ausgewiesene Spezialist*innen in ihrem jeweiligen Bereich.
Im:NOW!23 – der Titel war Programm. Die Idee hinter diesem Festivaltag war sowohl musikalisch wie didaktisch motiviert: Bei Improvisation denken die einen normalerweise an ausgeflippte E-Gitarrensoli, andere an wilden Jazz, wieder andere an Besonderheiten in der Alten Musik, an modernen Tanz oder an ‚Neue Musik‘. Und dabei war Improvisation eigentlich schon immer ein wichtiger Bestandteil der Musikausübung und des Musik-Erfindens, bei der sich das musikalische Material aus spontanem Einfall generiert. Improvisatorische Elemente findet man ebenso in Volksmusiken wie in der europäischen Kunstmusik, als Solokadenz, in Improvisationswettbewerben über ein gestelltes Thema, als Stegreifmusik oder Spontanbegleitung et cetera. In allen Epochen der Musikgeschichte findet sich die Kunst der Improvisation, so etwa im Generalbass-Spiel des Barocks, dem Fantasieren in der Klassik, der experimentellen und zeitgenössischen Musik der Gegenwart, dem Gospelgesang oder dem liturgischen Orgelspiel. Auch die Musik des Orients ist bis heute weitgehend durch improvisiertes Solo- und Ensemblespiel geprägt, im Jazz ist das Improvisieren ebenso fester Bestandteil wie in der Rockmusik, dem Tanz oder dem Improvisationstheater.

Und gleichzeitig ist gerade bei klassisch ausgebildeten Musikschüler*innen häufig festzustellen, dass eine zunehmende Zahl von ihnen verlernt hat, sich ohne Noten auf ihrem Instrument spontan auszudrücken, mit ihm außerhalb der Übestücke zu kommunizieren oder sich in einen klingenden Zusammenhang eigenverantwortlich und einfühlsam einzubringen.

Der Eintritt für den ganzen Tag betrug gerade einmal zehn Euro. Dafür konnten beliebig viele Workshops besucht werden. Alle Schülerinnen und Schüler der Rheinischen Musikschule sowie alle externen Interessierten waren eingeladen, an diesem Workshop-Festival teilzunehmen. Und das Angebot wurde angenommen: Über 130 Interessent*innen hatten sich angemeldet, oftmals mit mehreren Workshopwünschen, hinzu kamen zahlreiche Kurzentschlossene. Manche Workshops waren schon vor Beginn des Fes­tivals ausgebucht, andere erweiterten spontan ihre maximale Teilnehmerzahl, so dass schließlich alle mitmachen konnten. Um so viel wie möglich ausprobieren zu können, hatten sich einige kreuz und quer sowohl für „Joculatores – Improvisation im Mittelalter“ als auch für „Rock-School-Improvisieren für Gitarre und E-Gitarre“, für „Hip-Hop-Improvisation“ oder „Instant Composing aus indischen Ragas“ angemeldet. So manche*n sah man erst bei der Jazz-Gesang-Improvisation, dann bei der „Vokal- und Sprach­improvisation“, später bei der „intuitiven Musik“ oder der persischen „Gesangs- und Trommelimprovisation“ wieder. Und am Schluss noch bei dem Konzert der Offhand Opera!

„Könnt ihr das nicht öfter machen?“ Das war die wohl am häufigsten gestellte Frage, die die Organisatoren des Festivals an diesem Tag zu hören bekamen. In den improvisierten Konzerten zeigten die Workshopteilnehmer*innen die Ergebnisse. Das vielstöckige Treppenhaus des Nippeser Bürgerzentrums (eine Neuentdeckung als Konzertraum!)dröhnte, knarzte und quiekte, Spontan-orchester gestalteten in den Tanzstudios ganze Suiten, Teilnehmer*innen des Flashmob-Improvisationstheaters rannten, sprangen und krochen zwischen dem Publikum herum, das sich sichtlich amüsierte.

Natürlich konnten die verschiedenen Möglichkeiten, Genres und Stilistiken nur angerissen werden. Und so wünschen sich auch viele der Besucher*innen eine Fortsetzung und Intensivierung. Doch dazu war das Fes-
tival gedacht: ein unkompliziertes, schrankenüberwindendes Angebot für alle, sich mit dem spontanen (oder regelgebundenen) Musizieren zu beschäftigen. Ein dringendes, zeitgemäßes und unmittelbares Angebot, von dem zu wünschen ist, dass es unbedingt fortgesetzt wird!


Der Autor ist Komponist und Leiter des Fachbereichs „Komposition, Musiktheorie und Improvisation“ an der RMS Köln

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