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Frank Kämpfer. Foto: Martin Hufner
Frank Kämpfer. Foto: Martin Hufner
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Glauben und Avantgarde

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Interview mit Frank Kämpfer zum „Forum Neuer Musik“ in Köln 2012
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Das Internationale Werkstattfestival FORUM NEUER MUSIK in Köln hat in den letzten Jahren durch eigenständige Erkundungen und entdeckerfreudige Programme von sich reden gemacht. Veranstalter Deutschlandfunk richtet den Fokus auf jüngere Künstler, Exklusivität der Programme, auf Eigenproduktion und Themen mit Gesellschaftsbezug. Vom 20. bis 22. April läuft das FORUM 2012 unter dem Motto „Komponieren als Dialog mit Gott“. Benjamin Burkhart sprach mit Festivalkurator und DLF-Redakteur Frank Kämpfer.

 

neue musikzeitung: Neue Musik weckt für gewöhnlich Assoziationen zur Philosophie, nicht zur Theologie. Was gab den Anstoß, das Forum den religiösen Bezügen der Avantgarde zu widmen?

Frank Kämpfer: Am Anfang stand die Idee, das ensemble recherche und die Renaissance-Formation Capella de la Torre zusammenzubringen. Komponist Brice Pauset wählte für seinen Kompositionsauftrag als Ausgangspunkt die Missa „L’homme armé“ von Pierre de la Rue. „L’homme armé“ war im 15. Jahrhundert ein gängiger Cantus firmus für katholische Messen, eigentlich jedoch ein Soldatenlied. Dieses Sinnbild, das den gläubigen und den bewaffneten Mann in sich vereint, eröffnete uns, dass die Frage nach dem Glaubensbezug in der Avantgardekunst auch sozial, das heißt gesellschaftlich und nicht allein nur theologisch betrachtet werden kann. Dies macht das Thema für den Deutschlandfunk möglich und wichtig. Religion wird philosophisch betrachtet, und im Verständnis und Handeln des Individuums, hier des Komponisten beziehungsweise der Komponistin, diskutiert und präsentiert.

nmz: Gibt es Forschungspublikationen zu dieser Thematik, auf die sich das Forum beruft, die Anhaltspunkte geben?

Kämpfer: Es gibt kaum etwas dazu. Die Forschungspublikation sind wir folglich selbst – das FORUM mit seinen Konzerten, Kompositionsaufträgen, Diskussionen, Präsentationen, Hochschul- und Vermittlungsprojekten, interferierenden und zeitversetzten Sendungen im DLF-Programm, und erstmals auch auf DRadio Wissen. 

nmz: Sind religiöse Bezüge in der Neuen Musik eine „Nische in der Nische“?

Kämpfer: Ich meine: Nein. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein ist materialästhetisch neue Musik ja ohnehin nur im Rahmen der Kirche als Institution möglich gewesen. Später individualisierte sich das. Nach dem Jahrhundert der gescheiterten Ideologien gibt es heute bei vielen, sogar bei sehr namhaften Urhebern persönliche Glaubensbezüge. Kulturgeschichtlich gesehen ist „Religiosität“ für den Künstler in diesem Zusammenhang also eine Art Auftrag, Stellung zu nehmen dazu, dass jeder vergänglich ist, ganz gleich, was er tut. Auf dem Kulturmarkt allerdings sind Kollisionen vorprogrammiert, sobald jemand den Auftrag der menschlichen Sinnsuche zu ernst nimmt. 

nmz: Kann/soll die Verbindung Neuer Musik mit Religion zusätzliche Publikumsschichten mobilisieren/aufmerksam machen?

Kämpfer: Das wünsche ich mir sehr. Denn das verweist avancierte Kunst letztendlich auf ihren ursächlichen Auftrag zurück: sich nicht in Materialspielerei zu erschöpfen, sondern sich existenziellen Fragen zu stellen. Beim FORUM 2012 werden wir immer mehrerlei Publikumskreise zeitgleich ansprechen. Am ersten Abend hört man zum Beispiel Renaissance-Instrumente und kurz darauf Avantgarde-Rock, an einem anderen Tag byzantinische Sänger und zuvor ein avanciertes Orgelkonzert. 

nmz: Das Forum ist bekannt für eine exquisite Auswahl an Künstlern. Nach welchen Kriterien haben Sie diese für die Ausgabe 2012 ausgewählt? 

Kämpfer: Komponisten wie Interpreten müssen beim FORUM exklusive Programme zum Thema entwickeln. Dominik Susteck, mit dem wir auch sonst koproduzieren, ist ein Idealfall dafür. Jörg Herchets Frühwerk ist für ihn eine Herausforderung, die ihn sehr reizt. Auch beim Archaeus Ensemble in Bukarest hat unsere Anfrage Euphorie ausgelöst. Bisher hat sich kaum jemand, geschweige das Ausland, für das lange verbotene rumänische-orthodoxe Erbe und dessen Niederschlag in der Avantgardemusik interessiert. Neben solchen Entdeckungen will das FORUM 2012 Ressentiments abbauen, Grenzen durchlässig machen. Mit Hellmut Hattler und Siyou Isabelle, Matthias Bauer, Dominique Visse und Cappella de la Torre haben wir geeignete Protagonisten dafür im Programm.  

Details unter: www.dradio.de/veranstaltungen. 

s. auch Dokumentation von nmzMedia: l'homme armé - Musik im Spannungsfeld zwischen Alt und Neu

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