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Björn Gottstein im Gespräch mit der neuen musikzeitung. Zu sehen im Video ab Mitte September unter www.nmzMedia.de. Foto: Jörg Lohner
Björn Gottstein bleibt Chef der Donaueschinger Musiktage. Foto: Jörg Lohner
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Goldene Momente und das Wissen darum, wo vorne ist

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Björn Gottstein über künstlerische, kulturpolitische und musikvermittlerische Aspekte der Donaueschinger Musiktage
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Im Vorfeld der Donaueschinger Musiktage vom 14. bis zum 16. Oktober 2016 traf sich Chefredakteur Andreas Kolb mit dem Künstlerischen Leiter des Festivals, Björn Gottstein, zu einem Gespräch über aktuelle Diskurse und neue Werke.

nmz: Was werden wir bei der neuesten Ausgabe der Donaueschinger Musiktage zu hören bekommen?

Björn Gottstein: Zunächst einmal das, was wir in Donaueschingen erwarten, nämlich zeitgenössische Musik, allerdings in einer Bandbreite, die fast von Techno bis hin zu sehr traditioneller klassischer Neuer Musik reicht. Es gibt zum Beispiel ein Flüchtlingsprojekt mit Hannes Seidl, bei dem mehr arabische Popmusik gespielt und gehört wird, als dass Dissonanzen komponiert werden. So verstehe ich die Donaueschinger Musiktage auch, dass ein solches Spektrum abgebildet werden kann.

nmz: Die Donaueschinger Musiktage stellen sich nicht unter ein Motto oder einen Titel, trotzdem gibt es immer thematische Schwerpunkte. Schnittstelle Pop/Avantgarde ist das Thema 2016. Was kann man darunter verstehen?

Gottstein: Anders als bei meinem Vorgänger entstehen die Themen bei mir mehr, als dass ich sie setze. Beim Programmieren ist es auch sehr schön mit solch einem Dispositiv zu arbeiten, zu versuchen ein Thema in verschiedenen Lagen und Gestaltungsebenen auszuarbeiten. Die Frage des Crossovers oder der Schnittstelle zwischen E- und U-Musik ist eigentlich eine sehr alte Frage, die seit den 60er-Jahren immer wieder diskutiert worden ist. Dabei wurde früher häufig postuliert, dass es eine solche Annäherung an die Popkultur nicht geben dürfe, denn, so ein berühmt gewordenes Wort von Heinz-Klaus Metzger, wer im 4/4-Takt komponiert, nähere sich ideologisch schon den marschierenden Soldaten des Faschismus an. Es ist schön, dass wir über solche Abgrenzungsversuche hinweg sind und jetzt mehr daran interessiert sind, solche Grenzgänger genauer in Betracht zu nehmen. In der Metallkunde spricht man davon, dass bei Korngrenzen zwischen zwei Metallschichten neue kristalline Strukturen entstehen, die jeweils einzigartig sind und trotzdem ganz klare Strukturmerkmale aufweisen. So können wir vielleicht auch sagen, dass in einem Werk von Bernhard Gander oder Michael Wertmüller solche neuen Strukturmerkmale entstehen. Bei der Zusammenarbeit des Klangforums Wien mit Steamboat Switzerland, die als Avantcore-Band wirklich einen eigenen Sound gefunden haben, gibt es diesen Berührungsmoment. An der Partitur lässt sich oft gar nicht ablesen, denn da steht „g“ und „e“, „f“ und „a“ – man muss sich also schon in die Klangwelt der Ensembles hineinhören, um dann zu überlegen, wie sich der E-Bass und die Hammond Orgel eigentlich mit der Oboe und dem Cello reibt. Dann kann man erahnen, wohin die Reise geht.

Was bleibt, was wird anders

nmz: Durch den plötzlichen Tod von Armin Köhler sind Sie 2014 schneller in ihr neues Amt gekommen als geplant. Was wird bei den Donaueschinger Musiktagen weiter bestehen, was möchten Sie anders machen?

Gottstein: Zum einen muss ich sagen, dass ich – auch wenn ich immer große Sympathien mit den Revolutionären der Musikgeschichte hatte – selbst kein Revolutionär bin. Ich bin jemand, der auf behutsame Art und Weise verändert. Die neue Handschrift wird man deshalb jetzt noch gar nicht so deutlich bemerken. Es ist ja so, dass ich die Musiktage bis maximal 2026 leiten werde. Und ich wünsche mir, dass man dann eine echte Veränderung zu heute erkennen kann. Für 2016 hat Armin Köhler noch viele Programmpunkte vorgegeben, aber einiges war eben auch unfertig, und ich konnte dadurch noch Dinge selbst gestalten, noch Kompositionsaufträge vergeben und ungewöhnliche Spielstätten wählen. Zum Beispiel das Konzert mit Curd Duca, ein Minimal- Techno-Künstler, der sich mit seinen Platten stark in Richtung Avantgarde bewegt und der in Donaueschingen in einem Tanzsaal auftritt.

Was die aktuellen Diskurse angeht, habe ich das Gefühl, dass die Generation der jetzt 40-Jährigen plötzlich vieles noch einmal auf den Prüfstand stellt, vor allem das, was bereits institutionalisiert wurde. Die Institutionen verhindern ja vielleicht eine gewisse Bewegungsfreiheit. Die großen Ensembles und Festivals sollen natürlich nicht abgeschafft werden, das käme einem ästhetischen Selbstmord gleich. Das sind die Ankerpunkte unseres Musiklebens. Aber diesen kritischen Positionen Raum zu geben, finde ich extrem wichtig.

nmz: Machen sie uns doch etwas Lust auf die neue Ausgabe der Donaueschinger Musiktage anhand von einzelnen Werken, die wir noch nicht kennen.

Gottstein: Es gibt einen thematischen Schwerpunkt im Programm, der sich erst im Laufe der Zeit abgezeichnet hat. Er hat, ganz allgemein gesprochen, etwas mit Kontrollverlust zu tun; aber auch damit, dass Musik eigentlich in eine Region vordringen kann, wo es nicht mehr um Objektivität geht, sondern ganz bewusst eine Schwelle überschritten wird. James Dillon spricht  zum Beispiel darüber, dass man bei einem japanischen Tempel viele Tore durchschreiten muss, um in in den spirituellen Innenraum zu gelangen. Sein Stück heißt „The Gates“ und beschreibt eine solche Passage. Das Stück von Klaus Schedl hat einen sehr erschreckenden Titel: „Blutrausch“, also ein Moment der grausamsten Enthemmung. Spannend finde ich auch Peter Eötvös’ Sirenen-Zyklus, dem Kafkas ironischer Text „Das Schweigen der Sirenen“, aber auch Homers Erzählung vom Versuch Menschen durch Musik zu verführen, zugrunde liegt. In Peter Ablingers Stück „Die schönsten Schlager der 60er- und 70-er Jahre“ geht es letztlich auch um einen Moment der Verführung durch Musik. Ich finde es interessant, dass die Komponisten dieses Thema suchen und sich mit diesen Qualitäten von Musik befassen. Die Zeit, in der man meinte, sein Gegenüber nicht auf unsittliche Weise mit Klang anzutasten ist offenbar vorbei.

nmz: Insbesondere im Bereich der Neuen Musik hat es in letzter Zeit viele Versuche gegeben, neues Publikum zu gewinnen, es zur Neuen Musik zu verführen. Wie sieht das konkret bei den Musiktagen 2016 aus?

Gottstein: Neue Hörer neugierig zu machen, ist eine große Herausforderung. Natürlich ist es wichtig, dass man Künstler einlädt, die genreübergreifend arbeiten. Es gibt viele Hörer, die ein offenes Ohr für avancierte Popmusik oder experimentellen Jazz haben und die das, was in Donaueschingen zu hören ist, sicher auch wertschätzen können. Das hat sicherlich damit zu tun, wie sich das Fes­tival darstellt und fängt mit ganz einfachen Dingen an, wie die Frage, wo man eine Anzeige schaltet. Und natürlich gibt es noch das Publikum vor Ort, und ich glaube, es ist ein Anliegen aller, die in Donaueschingen an den Musiktagen mitarbeiten, dass man auch die Donaueschinger anspricht. Die Donaueschinger sind stolz auf ihr Festival, es gibt eine große Anerkennung. Gelegentlich, das sage ich jetzt mit einem Augenzwinkern, muss man die Donau-eschinger aber auch in Schutz nehmen. Wie oft bekomme ich von Komponisten oder Künstlern zu hören, dass sie gerne die Donaueschinger Bevölkerung in ihre Arbeit einbeziehen möchten. Ich finde, die Menschen, die in Donaueschingen leben, machen schon so viel für die Musiktage, die müssen jetzt nicht noch in jedem Stück mitspielen.

nmz: In den letzten Jahren ist in Donaueschingen ein ganzes Repertoire an Vermittlungseinrichtungen entstanden. Es begann mit der Music Academy Donaueschingen und ging weiter mit dem Next-Generation-Projekt mit den Musikhochschulen. Inzwischen hat sich die Volkshochschule, also eine Institution, die mehr die Breite der Bevölkerung repräsentiert, eingeschaltet, und es gibt ein neues biennales Festival „Upgrade“, das sich an Schulklassen wendet. Wie sind die Erfahrungen und was hat das für Auswirkungen auf das Festival?

Gottstein: Die Erfahrungen sind sehr gut. Alle diese Programme finden ihr Publikum: die Musiklehrer, die Musikstudenten et cetera. Es sind einfach lebendige Veranstaltungen mit tollen Dozenten, Probenbesuchen, Komponistengesprächen, Workshops, alles Aspekte, die über den einfachen Konzertbesuch hinausgehen. „Upgrade“ ist ja nun eine Biennale und findet im Frühjahr statt. Ein „Festivalkongress“, der sich ausschließlich der Vermittlung Neuer Musik widmet. Die erste Ausgabe 2015 war eine gute Erfahrung. Gegründet wurde es als Trabant der Donaueschinger Musiktage, der allerdings zunehmend an Eigenständigkeit gewinnt und in Kürze wohl auch als eigener Planet anerkannt werden muss. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es 2017 mit „Upgrade“  weitergeht.

nmz: Zu was sind die Donaueschinger Musiktage da und zu was sollen sie in Zukunft da sein?

Gottstein: Henze hat einmal festgestellt, dass niemand weiß, in welcher Richtung vorne liegt. Und er hatte natürlich Recht. Trotzdem bilde ich mir ein, dass die Richtung, in die ich mit meinem Programm schaue, nach vorne weist. Gleichzeitig wirkt ein Festival immer auch  „gemeinschaftsstiftend“. Und damit diese Gemeinschaft sich findet, benötigt sie so etwas wie „goldene Momente“. Und diese goldenden Momente haben uns in der Vergangenheit nicht selten die klassisch komponierten Werke beschert. Es ist also wichtig, dass man Neues erkundet und experimentiert. Aber es kann nicht darum gehen, mit den Traditionen zu brechen.

Das neue Orchester

nmz: Sie haben ja dieses Jahr einen Eleven auf dem Festival – nämlich das neue Orchester. Wie geht es Ihnen dabei?

Gottstein: Ich bin sehr gespannt. Dadurch, dass ich in Stuttgart das Eclat Festival mitgestalten durfte und letztes Jahr in Donaueschingen noch mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg arbeiten konnte, habe ich beide Orchester kennengelernt. Die Mentalität und die Arbeitsweise sind durchaus verschieden, aber ich schaue hoffnungsvoll auf das neue Orchester. Diese Fusion ist ein schmerzhafter Prozess. Aber irgendwann kam doch für alle an diesem Prozess Beteiligten der Punkt, an dem klar wurde, dass uns nur der konstruktive, positive Blick nach vorne weierbringt. Und letztlich auch der Musik dient.

nmz: Das neue SWR Symphonieorchester zählt zu den fünf Marken unter dem neuen SWR-Classic. Was verbirgt sich hinter diesen Logos?

Gottstein: Dahinter verbirgt sich der Wunsch, das, was der SWR an klassischer Musik produziert, besser sichtbar zu machen und darzustellen. Die anderen SWR-Marken sind alle auf einen Sender bezogen. SWR-Classic ist die einzige Marke, die unabhängig von einer Welle auftritt.

nmz: Wir haben jetzt den Künstlerischen Leiter zu Wort kommen lassen. Abschließend vielleicht noch den – profan ausgedrückt– „Geldbeschaffer“ für das Festival. Was müssen Sie unternehmen, um die Festivalzukunft gestalten zu können?

Gottstein: Wir haben fünf große Hauptförderer. Als eine sehr stabile Säule den schon genannten SWR, der nach dem 2. Weltkrieg in dieses ursprünglich fürstliche Festival eingestiegen ist und es auf eine ganz eigene Weise geprägt hat. Stabile Partner sind auch die drei Säulen Bundeskulturstiftung, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Donaueschingen selbst. Ein weiterer Partner ist die Ernst von Siemens Musikstiftung, mit der wir in der letzten Zeit viel zusammengearbeitet haben und die unser Festival seit vielen Jahren unterstützt hat. Ich kann im Moment davon ausgehen, dass wir 2021 das 100-jährige Jubiläum der Donaueschinger Musiktage feiern können.

Es ist schön, zu wissen, dass das Festival auf guten Beinen steht. Da hat mein Vorgänger fantastische Arbeit geleistet. Er war ein sehr mitreißender Mensch und konnte unglaublich gut andere Leute begeistern und anstecken. Davon profitiere ich noch ein bisschen. Diese Welle wird irgendwann abebben, und dann muss ich eine neue Welle anstoßen, damit ich weiter reiten kann.

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