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Kinder als Konzertveranstalter in eigener Sache

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Zu einem Grundschulprojekt im Bremer Konzerthaus „Die Glocke”
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Kaum zu glauben, aber wahr. Am Ende des 20. Jahrhunderts stehen das Bremer Konzerthaus „Die Glocke” und die Freie Hansestadt Bremen vor einem kulturellen Desaster. Weniger als 50 Prozent aller Schulen verfügen über einen funktionierenden Musikunterricht, die Studierenden der Universität Bremen und der Hochschule für Küns-te Bremen kennen das Konzerthaus und die Orchester meist nur vom Hörensagen und das Durchschnittsalter der Konzertbesucher liegt bei über 50 Jahren. Und – der gute Wille der Musikerzieher ist dahin. Zur Pressekonferenz zum Start der „Familienkonzerte in der Glocke” im Januar 1999 kommen 2 (in Worten: zwei) von 108 eingeladenen Musiklehrern.

Kaum zu glauben, aber wahr. Am Ende des 20. Jahrhunderts stehen das Bremer Konzerthaus „Die Glocke” und die Freie Hansestadt Bremen vor einem kulturellen Desaster. Weniger als 50 Prozent aller Schulen verfügen über einen funktionierenden Musikunterricht, die Studierenden der Universität Bremen und der Hochschule für Küns-te Bremen kennen das Konzerthaus und die Orchester meist nur vom Hörensagen und das Durchschnittsalter der Konzertbesucher liegt bei über 50 Jahren. Und – der gute Wille der Musikerzieher ist dahin. Zur Pressekonferenz zum Start der „Familienkonzerte in der Glocke” im Januar 1999 kommen 2 (in Worten: zwei) von 108 eingeladenen Musiklehrern.Als sich der Leiter der Grundchule „An der Gete“, L. Bodo Götze nach dem ersten Familienkonzert im Januar 1999 meldete, war die Verwunderung dementsprechend groß. Seine Kollegin Dorte Burkert hätte „den Flyer der Familienkonzerte gesehen und meinte, Sie könnten bestimmt irgendwas für uns tun.” Sie baten um einen Termin bei Ilona Schmiel, der Geschäftsführerin der Glocke Veranstaltungs-GmbH. Gute Produkte ziehen Kreise. Diese Marketingregel bestätigte sich wieder einmal.

Die Grundschule engagierte sich schon vorher im Bereich Kunst und Kultur, zusammengefasst unter dem Titel „Profil”. Es waren zusätzliche Unterrichtsstunden, die den Kindern viel Spaß jenseits des Leistungsdrucks brachten und gleichzeitig neue Inhalte vermittelten. Das war der Anknüpfungspunkt. Erst motivieren, dann informieren!

Die Glocke Veranstaltungs-GmbH ist als Tochtergesellschaft der Hanseatischen Veranstaltungs-GmbH in erster Linie für die Vermietung des Konzerthauses „Die Glocke” zuständig (80 Prozent aller Veranstaltungen). Der Einfluss auf die Profilbildung des Hauses ist somit lediglich über 20 Prozent aller Veranstaltungen möglich, bei denen die Glocke Veranstaltungs-GmbH für die Auswahl der Künstler und Programme verantwortlich zeichnet. Sie verfügt zudem über kein eigenes Ensemble. Jedoch nutzen zwei Bremer Orchester die Glocke für ihre Abonnementkonzerte: das Philharmonische Staatsorchester Bremen und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die beide zu den Kooperationspartnern der Glocke im Rahmen der Familienkonzerte gehören.

Der Tätigkeitsschwerpunkt der Glocke-Veranstaltungs-GmbH liegt also eher in der Organisation und technischen Durchführung von Konzerten und nicht, wie von den Lehrern der Grundschule „An der Gete“ vermutet, in der Vermittlung der musikalischen Inhalte. Und somit war klar, dass das Programmangebot der Glo-cke die Bereiche Konzert- und Konzerthausmanagement einschließen würde. Die Kinder sollten also nicht nur musikalisch, sondern auch organisatorisch in die Durchführung des Konzerts miteinbezogen werden.

Aber auch „die Glocke” durfte nicht zu kurz kommen. Das 1928 im Art-Déco-Stil gebaute und erst kürzlich renovierte Konzerthaus mit dem „für Sänger besten Saal der Welt“ (Dame Margaret Price) wurde schon von Herbert von Karajan zu den drei akustisch besten Häusern Europas gezählt. Die heutzutage seltene Schuhschachtelakustik war nur eines der vielen Geheimnisse, die zu lüften waren. Es galt, die Potenziale des Hauses zu erschließen.
Entscheidend für das Grundschulprogramm „Profil in der Glocke“ war das Engagement aller Beteiligten. Jeder Mitarbeiter der Glocke Veranstaltungs-GmbH unternahm einen Rundgang durch seinen Schwerpunktbereich oder die Leitung einer Lektion „Konzerthausmanagement“.
Die Durchführung dieses anspruchsvollen Projektes fand im 1. Halbjahr des Schuljahres 1999/2000 statt. Alle zwei Wochen lernten 14 Kinder und zwei neugierige Betreuer „Die Glocke“ in 90 Minuten unter einem anderen Aspekt kennen. Ziel war es, die Kinder ein eigenes Konzert im Großen Saal der Glocke veranstalten zu lassen.

Die musikalische Betreuung wurde den Profis überlassen. Die 14-köpfige Gruppe aus der Gete nahm an einer Probe des Philharmonischen Staatsorchesters Bremen teil, erlebte ein Familienkonzert in der Glocke und stellte in der Meisterwerkstatt für Blechblasinstrumente der weltweit renommierten Firma Thein den Brüdern Max und Heinrich Thein Fragen rund um das schöne Blech.

Probedurchlauf

„Warum unser Konzerthaus ‚Glocke‘ heißen soll? Die Glocke steht für schöne Musik, weil doch Glocken so einen schönen Klang haben.“ Diese Erklärung hatte Michael (9) auf die Frage nach dem Ursprung des Namens gefunden. Beim ersten Besuch in der Glocke hatten er und seine Mitschüler sich die Fresken zur Geschichte der Glocke im Restaurant angesehen, die Anzahl der Garderobenhaken herausgefunden und mit ihnen Musik gemacht. Außerdem mussten die Kinder im Kleinen Saal aus voller Kehle schreien (natürlich nur, um die Akustik zu testen ...) und die Sitze im Großen Saal ausprobieren. Sie wollten schließlich wissen, welche Plätze sie den restlichen Gete-Kids für das Familienkonzert empfehlen konnten.

Vor dem technischen Teil hatten die Betreuer große Angst. Unnötig, wie sich beim zweiten Rundgang herausstellte. Von der Bühne im Großen Saal über das Produktionsbüro mit Gong und Alarmansage und den alten Kinoraum aus der Kriegszeit bis zum Dachboden machten die Kleinen große Augen. Als Michael Jordan, der stellvertretende technische Leiter, den Viertklässlern die schwebende Decke des Großen Saales von oben zeigte, merkte man, dass sie sich fester ans Geländer klammerten. Wenige Meter unter ihnen war die Decke nur hier und da mit Stahldrähten am Gebälk befestigt.

„Backstage“ klang fremd und verlockend. Hier übernahm Geschäftsführerin Ilona Schmiel die Federführung. Eine Konzertsimulation erforderte alle Kräfte. Die Kinder konnten nun begreifen, wie nützlich jeder Einzelne sein kann, wenn er seinen Job gut macht. Und so bekam jeder von ihnen ein Kärtchen, auf dem seine Rolle und seine Aufgaben standen. Ein Tourneeleiter betreute drei Chorsängerinnen, eine Dirigentin und einen Erzähler, eine Leiterin kümmerte sich um das Foyerteam und zwei Gäste, zwei Künstlerbetreuer bereiteten die Garderoben inklusive Catering vor, ein technischer Leiter war in Verbindung mit seinen zwei Aufbauhelfern und einem Pförtner tätig.

Vor der Aufführung gab es allerlei zu erledigen. Die Namensschilder für die Künstlergarderoben im Sekretariat abholen, die Künstler empfangen und in die Garderoben führen, die Bühne aufräumen und ins rechte Licht rü-cken, kurze Anspielprobe organisieren, die Gäste empfangen. Kurz vor Beginn beschwerten sich die Sängerinnen über den Tourneeleiter, weil sie keine Lebkuchen hatten und dann wurden die Blumen fast vergessen. Und die kleine Geschäftsführerin Vivian wühlte das Geschehen mit ihren Durchsagen per Funkgerät auf. Aber – das Testkonzert fand statt. Die erste gemeinsame „Veranstaltung“ hatte tadellos geklappt. Das Konzerthausmanagement hatte für die AG Glocke seine abstrakte Form verlassen. Nachdem sich die Kinder das Konzerthaus vor und hinter den Kulissen erschlossen hatten, wurde allen klar: Ohne die Konzertbetreuung läuft nichts. Für den großen Auftritt der Gete am 30. Januar 2000 war noch einiges zu tun.

„Das Konzert wird toll“, versicherte Maria, „beide Chöre, die Zwitscherlinge und die Gete-Kids, proben fleißig. Und das Eltern-Salonorchester sogar zweimal pro Woche.“ Wenn die Qualität stimmt, muss nur noch die Werbetrommel gerührt werden – „im Fernsehen zum Beispiel”, schlugen die Kinder mit strahlenden Augen vor. Unter der Anleitung von Enno Samp, Assistent der Geschäftsführung, wurde über die Werbung nachgedacht und ein Plakatentwurf gemacht. „Gete-Bunt“ erblickte das Licht des Papiers.

Bei der Pressekonferenz war die Aufregung groß, die Kinder hatten heimlich ihre Texte auswendig gelernt. Sie berichteten selbst über ihr „Profil“, die AG Glocke und natürlich über ihr Konzert „Gete-Bunt“. „Die Glocke ist nicht ganz billig”, sagte Jara mutig, woraufhin viele zusätzliche Karten für das Konzert gekauft wurden und das bedeutete weitere Verantwortung. Von da an fieberten alle mit: das Kollegium, die Verwandtschaft und die Nachbarn.
Am Tag des Konzertes überließ die Leiterin des Ticket-Service in der Glocke, Heike Zürnstein, den erfahrenen Kindern der AG Glocke ein Kassenhäuschen für die Tageskasse. Die übrigen Kinder kümmerten sich um die Einlasskontrolle und die Ehrengäste. Die Künstlerbetreuung wurde, wie bei der Generalprobe, hervorragend gemeistert. Das bunte Konzertprogramm, das in der Schule zusammengestellt worden war, kam bestens an: Es wurde ordentlich getrampelt, und – Gewinn gemacht.

Wenige Tage danach ließ ein begeisterter Konzertbesucher den Gete-Kids einen anonymen Scheck über einen vierstelligen Betrag zukommen. Und so konnte ein halbes Jahr später die Produktion „Die kleine Zauberflöte“ für eine Sonderaufführung in der Schule engagiert werden.

Ergebnisse und Zukunft

Eine solch intensive Zusammenarbeit eines Konzerthauses mit einer einzigen Grundschule ist sicher recht unkonventionell. Meistens bemühen sich kulturelle Institutionen um einen flächendeckenden Einsatz und somit um die Massenproduktion. Anhand dieses Projektes haben wir versucht aufzuzeigen, dass auch ein anderer Weg möglich ist und für alle ein großer Gewinn sein kann. In erster Linie ist es gelungen, die Lethargie der Bremer Nachwuchslandschaft zu überwinden und neue Perspektiven aufzuzeigen: Viel Lärm um die Qualität.

Die Grundschule An der Gete konnte ihr Profilangebot erweitern und die Wahrnehmung ihrer Schüler abseits von traditionellen Grundschulthemen schärfen. Darüber hinaus bekam sie professionelle Unterstützung bei der Planung und Durchführung einer eigenen Veranstaltung. Dieser Erfahrungsschatz kann seitdem für die Organisation von Großveranstaltungen in der Schule genutzt werden. Hinzu kommt die nicht zu unterschätzende politische Dimension der Lobbyarbeit für eine Grundschule bei der Bildungsbehörde. Die Anwesenheit des Senators für Bildung, Senator Willi Lemke, bei der Pressekonferenz der Grundschule in der Glocke war der beste Beweis dafür.
Das Bremer Konzerthaus „Die Glo-cke“ konnte sich mit diesem Projekt endgültig seines Museums-Images entledigen und zusätzlich zu den aus der Initiative der Glocke Veranstaltungs-GmbH im selben Jahr (1999) gestarteten „Familienkonzerten in der Glocke“ Engagement und Offenheit durch konkrete Taten unter Beweis stellen. Es reicht nicht, wie ein Aschenputtel darauf zu warten, entdeckt und gewürdigt zu werden. Eigeninitiative motiviert und schützt vor dem Erschlaffen.

Konkret ist es gelungen, die Potenziale des Hauses herauszustellen und zu nutzen. Denn dank der Reaktionen der Kinder schärft sich der Blick für das Wesentliche, Abwechslungsreiche und Interessante. Die Begeisterung, die das Konzerthaus bei diesen Kindern geweckt hat, spornt zur Kreativität an. Auf der Grundlage der bereits erstellten Sammlung der Materialien ist eine neue Veranstaltungsart entstanden – die Kinderführungen durch die Glocke, die seit Dezember 2000 für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind.
Das „Profil in der Glocke“ und das Abschlusskonzert „Gete-Bunt“ haben dem Konzerthaus eine feste Freundschaft beschert. Eine ganze Schule ist an diesem Projekt beteiligt gewesen, inklusive des sozialen Umfeldes. Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkel und Tanten haben sich auf die Glocke gefreut und beim Großen Finale zum Klatschen und Trampeln hinreißen lassen: „Kennt ihr schon den größten aller Hits? – Gete-Kids!“ Die Glocke gehörte ihnen. Und so soll es auch bleiben!

Weitere Informationen zu den Projekten und Programmen für Kinder der Bremer Glocke unter der Telefonnummer 0421/33 66-5 oder im Internet unter: http://www.glocke.de

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